Trotz hoher Gewinne stellen Versicherer künftige lebenslange Garantien infrage und kürzen die Beteiligung der Kunden an stillen Reserven.
Der Branchenverband der deutschen Versicherer sagt: „Die deutsche Lebensversicherung ist sicher.“ Doch wie viel die Lebensversicherungskunden am Ende der Laufzeit herausbekommen, nachdem sie viele Jahre eingezahlt haben, ist derzeit so ungewiss wie nie zuvor.
Die Hauptverantwortung für die Verunsicherung tragen die Versicherungsgesellschaften selber. Einerseits beteuern sie, niemand müsse sich um seine Lebensversicherung sorgen. Andererseits spekulieren Versicherungsmanager darüber, ob sie Zinsgarantien in künftigen Verträgen noch für die gesamte Vertragslaufzeit geben oder zeitlich begrenzen sollten.
Die Versicherer haben außerdem durchgesetzt, dass die Beteiligung der Kunden an den stillen Reserven bei der Auszahlung des Vertrags zurückgefahren wird. Das hat jüngst der Bundestag beschlossen. Dabei haben Kunden mit Lebens- und Rentenversicherungen sich darauf verlassen, dass ihre Ablaufleistung oder Rente steigt, wenn der Versicherer stille Reserven hat.
Stille Reserven oder Bewertungsreserven entstehen, wenn der Marktwert einer Anlage des Versicherers über dem Anschaffungspreis liegt – wenn also zum Beispiel der Wert seiner Immobilien, Aktien, Staats- und Unternehmensanleihen gestiegen ist.
Seit 2008 müssen die Lebensversicherer ihre Kunden mit 50 Prozent an den Bewertungsreserven beteiligen, wenn der Vertrag ausgezahlt wird. Doch dies ändert sich ab 21. Dezember 2012, wenn auch der Bundesrat zustimmt. Kunden sollen dann nicht mehr an den Reserven aus festverzinslichen Wertpapieren beteiligt werden, wenn der Garantiezins ihres Vertrages höher ist als die Umlaufrendite, also der Durchschnittswert aus den Renditen öffentlicher Anleihen. Dies gilt sowohl für laufende als auch für neu abgeschlossene Verträge.
Bleibt die Umlaufrendite so niedrig wie derzeit, haben Kunden, deren Vertrag ausläuft, keinen Anspruch auf eine Beteiligung an den Bewertungsreserven aus festverzinslichen Wertpapieren – und dies sind gut 87 Prozent aller Kapitalanlagen der Lebensversicherer. Die Umlaufrendite liegt derzeit bei unter 2 Prozent. Im Durchschnitt aller Lebensversicherungsverträge liegt der Garantiezins derzeit bei 3,2 Prozent. Kunden, die beispielsweise Anfang 2000 einen Vertrag abgeschlossen haben, bekommen für die gesamte Laufzeit sogar 4 Prozent Zins auf den Sparanteil ihres Beitrags garantiert. Bei den ab 2012 geschlossenen Verträgen sind es aber nur noch 1,75 Prozent.
Die Beteiligung der Kunden an den Reserven werde begrenzt, „um zu verhindern, dass die Erfüllung der garantierten Zahlungen aller Versicherungsnehmer gefährdet wird“, begründet das Bundesfinanzministerium die Neuregelung. Die Kunden, die jetzt ihre Versicherungsleistung ausgezahlt bekommen, müssen sich also mit weniger zufriedengeben – damit die Versicherer die Garantien für die Kunden, die noch Jahre einzahlen müssen, erfüllen können.
Gleicher Beitrag, weniger Leistung
Timm Voß ist noch nach alter Regelung an Bewertungsreserven beteiligt worden. Seine beiden privaten Rentenversicherungen mit Kapitalwahlrecht bekam er im Juni 2012 ausgezahlt, nachdem er 16 Jahre lang jeweils 2 556 Euro im Jahr eingezahlt hatte.
„Um das Risiko ein wenig zu streuen, hatte ich mich entschieden, die Summe für die Altersvorsorge auf zwei Versicherungen zu verteilen“, sagt der 64-Jährige. Einen Vertrag hatte Voß im Juni 1996 bei CosmosDirekt abgeschlossen, den zweiten am selben Tag beim Versicherer Neue Leben. Beitragshöhe, Laufzeit und Garantiezins beider Verträge waren identisch.
Nicht identisch war die Ablaufleistung: Die CosmosDirekt zahlte 63 649 Euro aus. Die Neue Leben 2 487 Euro weniger. Ein Hauptgrund für den Leistungsunterschied: die Neue Leben hat mehr von den Beiträgen für Kosten abgezogen als die CosmosDirekt.
Voß hat sowohl von der CosmosDirekt als auch von der Neuen Leben Bewertungsreserven erhalten. 3 186 Euro waren es bei der Neuen Leben: „Gäbe es diese Beteiligung nicht, hätte ich noch weniger bekommen.“
Kunden tappen im Nebel
Wie viel ein Kunde erhält, hängt von der Höhe der Bewertungsreserven des Versicherers ab und von dem Verteilungsschlüssel, mit dem sie den einzelnen Kunden zugeordnet werden. Doch der Kunde kann „nicht ansatzweise beurteilen, ob er das bekommt, was ihm laut Gesetz zusteht“, schreibt der Betriebswirtschaftsprofessor Hermann Weinmann von der Fachhochschule Ludwigshafen in einer Stellungnahme für den Finanzausschuss des Bundestags.
Diese Erfahrungen machte auch Norbert Nienaber, der sich an unserer Leserbefragung zu den Bewertungsreserven beteiligte (siehe Finanztest 05/2012, „Lebensversicherung: Kunden an Reserven beteiligen“). Seine Lebensversicherung bei der LVM wurde im Oktober 2008 fällig. Als das Geld Anfang November 2008 überwiesen wurde, war kein Anteil an den Bewertungsreserven dabei – obwohl die LVM in ihrem Geschäftsbericht für das Jahr 2008 Bewertungsreserven in Höhe von 129 Millionen Euro ausweist.
Erst als Nienaber nach Erscheinen unseres Artikels bei der LVM nachfragte, erläuterte ihm der Versicherer, die stillen Reserven seien erst „innerhalb des letzten Quartals 2008 entstanden“. Deshalb habe er keinen Anspruch. Dies möge zwar angesichts der im Geschäftsbericht ausgewiesenen 129 Millionen Euro „merkwürdig“ erscheinen, doch am Ende sei seine Versicherung „korrekt abgerechnet worden“.
Nach anderer Auffassung sind die Kunden aber gerade an den Bewertungsreserven gemäß Geschäftsbericht zu beteiligen.
Manche Versicherer zahlen ihren Kunden einen Sockelbetrag, um Schwankungen während des Geschäftsjahres abzufedern. So macht es beispielsweise die Allianz. Das Problem für die Kunden, die ihren Vertrag bis zum Schluss durchhalten: Die Allianz kürzt den Schlussüberschuss einfach um diesen Sockelbetrag.
Allianz kürzt Schlussüberschuss
Seit Kunden an den Bewertungsreserven beteiligt werden müssen, hat die Allianz „die Schlussüberschussbeteiligung gekürzt“, schreibt der Versicherer in einer Stellungnahme an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Denn die „Höhe der gesamten Überschussbeteiligung bestimmt sich weiterhin nach dem Grundsatz der Finanzierbarkeit“. Im Klartext: Eine Beteiligung der Kunden zusätzlich zum bisherigen Schlussüberschuss sei nicht finanzierbar. Dabei haben die Lebensversicherer zusammen im Jahr 2011 einen Gesamtgewinn von 12 Milliarden Euro erzielt.
Wenn Versicherer wie die Allianz den Kunden jetzt sowieso nicht mehr zahlen wollen als vor Einführung der Beteiligung an den Bewertungsreserven, drängt sich eine Frage auf: Warum wollen sie die Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven überhaupt verringern?
Die Antwort ist einfach: Der Schlussüberschuss ist nicht garantiert und kann gekürzt oder gestrichen werden. Die Bewertungsreserven, und damit auch der so deklarierte Teil des Schlussüberschusses, müssen jedoch ausgezahlt werden. Darauf hat der Kunde einen gesetzlichen Anspruch.
Es geht um viel Geld. Allein im Jahr 2010 hatten alle Lebensversicherer zusammen Bewertungsreserven in Höhe von 30,6 Milliarden Euro.
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Versicherungen und Banken waren schon immer die Gewinner und Versicherungsnehmer bzw. Kunden schon immer die Verlierer!
Hoffentlich fällt diesmal der Gesetzgeber nicht um!!!