
Schlappe für die Versicherungsbranche: Der Bundesrat hat Einspruch gegen die Verringerung der Beteiligung von Kunden an den Bewertungsreserven der Lebensversicherer erhoben.
Wie hoch ist der Rückkaufswert?

Harry Matzeik hat seine Lebensversicherung gekündigt – „vielleicht zu schnell“.
Harry Matzeik hatte eine kleine Lebensversicherung bei der Allianz. Seit 1995 zahlte er ein und im September 2013 wäre sie fällig gewesen. Doch er hat den Vertrag zum 1. Dezember 2012 gekündigt. 20 870 Euro betrug der Rückkaufswert. Dieser Betrag ist immerhin um mehr als 1 500 Euro höher als die von seinem Versicher in Aussicht gestellte Ablaufleistung am Vertragsende, dem 1. September 2013.
Viele Kunden womöglich zu früh ausgestiegen
Noch größer ist der Unterschied zwischen Rückkaufswert und regulärer Ablaufleistung bei Hubert Niemeier. Am 20. November nannte ihm die Allianz einen Rückkaufwert von gut 43 500 Euro für den Fall, dass er seine Versicherung zum 1. Dezember 2012 kündigt. Bei regulärem Ablauf am 1. Januar 2013 bekäme er nur rund 37 300 Euro ausgezahlt. Niemeier kündigte seinen Vertrag. Denn hätte er noch den einen Monat bis zum regulären Ablauf gewartet, sollte er etwa 6 200 Euro weniger bekommen. Eigentlich. Denn nach einem Beschluss des Bundestags soll die Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven drastisch zurückgefahren werden. Mit dieser neuen Regelung würden Matzeik, Niemeier und viele andere Kunden Geld verlieren, wenn sie ihren Vertrag bis zum Ende laufen ließen. Doch der Bundesrat hat dies erst einmal gestoppt. Und Matzeik, Niemeier und viele andere Kunden sind womöglich zu früh ausgestiegen.
Auch Riester-Verträge betroffen
Bewertungsreserven entstehen, wenn der Marktwert einer Kapitalanlage des Versicherers über dem Anschaffungspreis liegt. Daran müssen die Versicherer ihre Kunden seit 2008 zu 50 Prozent beteiligen (siehe „Lebensversicherung: Die deutschen Verunsicherer“ aus Finanztest 01/2013). Dies hat das Bundesverfassungsgericht 2005 verlangt. Die entsprechende gesetzliche Vorschrift wollte der Bundestag teilweise wieder aufheben. Nach Protesten von Verbraucherschutzorganisationen und einem Beschluss des jüngsten CDU-Parteitags, der die Rücknahme dieses Schritts verlangte, wollte der Bundesfinanzminister die Absenkung der Beteiligung für Kunden, deren Verträge gerade auslaufen, wenigstens „deckeln“.
Bundesrat ist dazwischen gegangen
Doch dem Bundesrat reichte dies nicht. Auf Antrag Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns rief die Länderkammer den Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag an. Nicht allein die Kunden, sondern auch die Versicherer selbst müssten einen Beitrag leisten, um die Folgen der aktuellen Niedrigzinsphase zu tragen. Die niedrigen Zinsen machen es den Versicherern schwer, ihre Leistungszusagen zu erfüllen. Der Bundestag hatte die Neuregelung am 8. November beschlossen; bereits am 21. Dezember sollte sie in Kraft treten. Betroffen wären nicht nur Kapitallebensversicherungen, sondern auch private Rentenversicherungen, also auch Riester-Versicherungen. Kunden, die ihren Beitrag monatlich zahlen, konnten bis Ende November kündigen, um sich die Auszahlung der Bewertungsreserven für ihren Vertrag zu sichern. Kunden, die jährlich, halbjährlich oder vierteljährlich zahlen, hatten keine Möglichkeit mehr, rechtzeitig zu kündigen.
Vermittler empfahlen Ausstieg
Wir wissen von Lesern, dass sie von ihrem Versicherungsvertreter den Rat bekommen haben, vorzeitig aus dem Vertrag auszusteigen. Ob dies ein guter Rat war, das war bei Redaktionsschluss noch ungewiss. Denn die vom Bundestag beschlossene Regelung wird so keinen Bestand haben. Es geht um viel Geld. Im Jahr 2011 hatten die Versicherer Bewertungsreserven von 42,6 Milliarden Euro. Bekämen ausscheidende Kunden weniger, bliebe mehr im Unternehmen, also auch für die Aktionäre. Die vom Bundestag beschlossene Regelung sei „sehr aktionärsorientiert“, sagt die Juristin Astrid Wallrabenstein, Mitglied des Sozialbeirats der Bundesregierung. Als Anwältin erstritt sie 2005 das kundenfreundliche Verfassungsgerichtsurteil.