Im Dienst der Verbraucher suchen Kontrolleure täglich nach Missständen – überall dort, wo Lebensmittel hergestellt und gehandelt werden. Wie sieht ihr Arbeitsalltag aus?
Eine Bäckerei ist ein Paradies für Mäuse. Ihre Lieblingsspeisen, Getreide und Saaten, gibt es hier zuhauf. Für die Gesundheit des Menschen sind Mäuse jedoch eine Gefahr. „Sie haben eine schwache Blase. Ihr Urin und Kot können Krankheitskeime übertragen“, erklärt Lebensmittelkontrolleur Klaus Fischer. Mit weißem Kittel, Kopfbedeckung und Clogs kniet der schlanke 53-Jährige auf dem Boden einer familiengeführten Landbäckerei im Kreis Lippe. Er versucht, einen Kugelschreiber in eine Türritze zu schieben: „Passt der Stift rein, kommt auch eine Maus durch.“ Anzeichen, dass Mäuse hier über Mandelhörnchen oder Mischbrote laufen, findet Fischer nicht – eine wirksame Schädlingsbekämpfung durch regelmäßig kontrollierte Mausefallen aber auch nicht.
Tote Fliegen, schmierige Boxen
Der Kontrolleur prüft, ob alle Backwaren richtig gekennzeichnet sind, leuchtet mit der Taschenlampe in dunkle Ecken der Backstube und misst die Temperatur in Kühlschränken. Seine Bilanz nach rund eineinhalb Stunden: Krümel auf dem Boden, ausgebrochene Fliesen, ein angerosteter Kühlschrank, schmierige Aufbewahrungsboxen für Nüsse und Saaten, tote Fliegen in der Deckenleuchte, Spinnweben in einer Ecke, abgelaufene Backzutaten im Schrank. Fischer runzelt die Stirn: „Die Grundhygiene stimmt nicht.“ Sein Bericht fällt nicht gut aus. Es wird eine Nachkontrolle geben. Die muss der Bäcker bezahlen.
Der Kunde erfährt meist nichts davon
Hygieneprobleme, wie Fischer sie hier vorfindet, beanstanden die rund 2 400 deutschen Lebensmittelkontrolleure bei ihren in der Regel unangemeldeten Besuchen am häufigsten. Letzter prominenter Fall: Mäuse und Mäusekot in der bayerischen Großbäckerei Müller-Brot. Oft entdecken die Überwacher auch fehlende betriebliche Eigenkontrollen und falsch gekennzeichnete Lebensmittel. Bei etwa jedem vierten 2010 kontrollierten Betrieb stellten sie Verstöße fest Der Kunde erfährt meist nichts davon – es sei denn, es besteht akute Gesundheitsgefahr.
In fünf Tagen muss es picobello sein
Eine Gesundheitsgefahr besteht in der Landbäckerei nicht. Klaus Fischer schreibt das Protokoll sofort am Küchentisch. Dafür hat er einen Laptop und einen mobilen Drucker zur Verfügung, was übrigens nicht Standard ist. Sachlich, aber bestimmt macht er dem Bäckerehepaar den Ernst der Lage klar. Wenn er in fünf Tagen wiederkommt, muss alles picobello sein. Ansonsten droht ein Bußgeld. „Ich gebe Ihnen eine zweite Chance“, sagt Fischer, „weil es sonst besser bei Ihnen aussah.“
Nicht immer kann er so verfahren: Im Januar schloss Fischer eine andere Bäckerei vorübergehend, ließ Brot, Gebäck und Zutaten wegwerfen. Massenhaft Mäusekot und unsachgemäß ausgelegte Köder waren der Grund. Erst nach einer Grundreinigung durfte die Bäckerei wieder Brötchen und Kuchen verkaufen. Im Fall Müller-Brot, der selbst in überregionalen Medien Aufsehen erregte, handelten die Behörden nicht so schnell so streng. Sie legten die Produktion erst Ende Januar still, obwohl sie schon seit zweieinhalb Jahren von den Hygienemängeln wussten. Bis dahin hatten sie nur Teilbereiche gesperrt, einzelne Produkte zurückgerufen und Bußgelder erteilt.
Nach solchen Fällen ist schnell zu hören, die Lebensmittelkontrolleure würden nicht richtig durchgreifen. Fischer bleibt da gelassen. Er fühlt sich von solchen Vorwürfen nicht angesprochen. Es ärgert ihn aber, wenn Kollegen nicht genau genug hinsehen: „Ist das denn richtig? Da bräuchte ich meinen Beruf nicht zu machen“, sagt er. Verbraucherschutz sei schließlich Ziel seiner Arbeit. Seit gut 20 Jahren ist er schon Lebensmittelkontrolleur. Vorher hat er sieben Jahre als Fleischermeister gearbeitet.
Ein Lebensmittelkontrolleur muss von Fall zu Fall entscheiden, welche Maßnahme er ergreift – das Gesetz erlaubt Flexibilität. Eine Art Bußgeldkatalog gibt es nicht. „Da sind Erfahrung und Fingerspitzengefühl gefragt“, meint Fischer. Das versucht er als Ausbilder auch angehenden Kollegen zu vermitteln. Dass er Betriebe vorübergehend schließt, kommt selten vor: „Hier im Ländlichen mit vielen Traditionsbetrieben vielleicht zwei-, dreimal im Jahr“, sagt er.
Dann lässt Fischer den Motor seines Dienstwagens an und fährt zur nächsten Kontrolle. Die findet in der Küche der „Schule am Teutoburger Wald“ statt. Die Küchenleiterin ist nervös, begrüßt ihn aber mit einem Lächeln.
Es gibt Bestechungsversuche
Das ist nicht überall so. Drohungen musste sich Fischer auch schon anhören. Wieder andere haben versucht, das Ergebnis mit einer Flasche Wein, einer Essenseinladung oder einem Geldumschlag aufzupolieren. „Aber ich riskiere deswegen doch meinen Job nicht“, sagt Fischer. Er setzt auf Dialog und Kooperation. Das zahlt sich aus: „Ich kann feststellen, dass es in vielen Betrieben mittlerweile besser aussieht.“
Sehr gut sieht es heute in der Schulküche aus. Dennoch dauert es zwei Stunden, bis Fischer jeden Raum und jedes erforderliche Dokument geprüft hat. Er fragt nach Unterlagen zur Infektionsschutzbelehrung, zur Kontrolle des Wareneingangs und der Kühlraumtemperaturen. Bei größeren Abweichungen der notierten Temperaturen soll auch erkennbar sein, wie die Küchenmitarbeiter reagiert haben. Bei so viel Papierkram schafft Fischer nicht mehr als drei bis vier Betriebe pro Tag. Insgesamt ist er mit vier Vollzeitkollegen und einer Teilzeitkollegin für etwa 3 500 Betriebe zuständig – macht im Schnitt zirka 600 für jeden. Damit haben sie im Kreis Lippe mehr zu tun als der Bundesdurchschnitt mit rund 500 Betrieben pro Kontrolleur. Dennoch sei der Kreis gut aufgestellt, sagt Fischer. Sie erfüllten nahezu das geforderte Soll.
„Jedes Land kocht sein Süppchen“
Das schaffen andere Landkreise nicht. Der Bundesvorstand der Lebensmittelkontrolleure, Martin Müller, schätzt, dass bundesweit fast 1 500 Kontrolleure fehlen. Auch der Bundesrechnungshof hat in einem Bericht im vergangenen Jahr empfohlen, die Überwachung personell zu stärken.
Verantwortung und fachliche Anforderungen sind hoch. Ein Kontrolleur muss sich mit einer Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen, Leitsätzen und Leitlinien auskennen. Finanziell ist der Job dagegen beschränkt reizvoll: Neu eingestellte Lebensmittelkontrolleure werden in den meisten Bundesländern nach Entgeltgruppe 8 des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst vergütet. Das macht im ersten Jahr rund 2 200 Euro brutto im Monat.
Fischer glaubt nicht, dass mehr Kontrolleure die Lebensmittelsicherheit wirklich erhöhen würden: „Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.“ Er schätzt die Lebensmittelsicherheit in Deutschland als sehr hoch ein. Die Statistik gibt ihm recht: Von rund 408 000 untersuchten Proben im Jahr 2010 beanstandete die Lebensmittelüberwachung 3 Prozent wegen mikrobiologischer Verunreinigungen, noch seltener wegen Pestizidrückständen und anderen Schadstoffen. Auch die Tests der Stiftung Warentest bestätigen, dass unsere Lebensmittel im Großen und Ganzen sicher sind. Wir finden sehr selten gesundheitsbedenkliche Rückstände oder Keime.
Dennoch gibt es immer wieder Krisenfälle wie die Ehec-Erkrankungen durch Bockshornkleesamen im vergangenen Jahr, wodurch 53 Deutsche starben. Der Bundesrechnungshof kritisiert: Gerade im Krisenfall zeigt die föderal organisierte Lebensmittelüberwachung Schwächen. Notfallpläne der Länder existieren nebeneinander. Bundesweiten Maßnahmen müssen alle Länder zustimmen. Generell arbeiten die mehr als 400 Kontrollbehörden uneinheitlich. Es fehlen bundesweit gültige Vorgaben, wie tief oder wie häufig zu kontrollieren ist. Klaus Fischer bestätigt: „Jedes Land kocht sein eigenes Süppchen.“ Er befürwortet eine Vereinheitlichung und sogar die Abschaffung des Föderalismus bei der Lebensmittelüberwachung. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz will nichts an der Zuständigkeit der Länder ändern. Es plant aber, einen jederzeit einsatzbereiten Krisenstab von Bund und Ländern einzurichten. Außerdem soll es engmaschigere Kontrollen geben.
Das Untersuchungsamt testet Proben
Egal wie viel Klaus Fischer kontrolliert: Seine Arbeit ersetzt nicht die Verantwortung von Hersteller und Handel für einwandfreie Lebensmittel. Wie die Kontrollen ausfallen, erfahren die Bürger in der Regel nicht. Fischer empfiehlt, selbst genau hinzusehen. „Ob ein Betrieb sauber arbeitet, ist oft schon von außen erkennbar“, sagt er in der Pause und beißt in ein Brötchen.
Die Proben, die er zieht, testet das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Ostwestfalen-Lippe unter anderem auf Krankheitserreger und Pestizide. Interessierte können die Ergebnisse nicht einsehen. Das soll sich ab September mit dem novellierten Verbraucherinformationsgesetz ändern. Dann müssen alle Kontrollergebnisse der amtlichen Lebensmittelüberwachung, die Höchstgehalte oder Grenzwerte betreffen, veröffentlicht werden.
Barometer für Restaurants
Was Gaststätten betrifft: Die Kontrollergebnisse vieler Berliner Restaurants sind unter www.berlin.de/sicher-essen veröffentlicht. Ob künftig alle Bundesländer Transparenz zeigen, ist noch unklar. Politiker diskutieren derzeit über ein Kontrollbarometer. Fischer ist skeptisch: So ein Barometer würde zwar den Druck auf die Unternehmer erhöhen, bedeutet aber mehr Kontrollaufwand. Er gibt auch zu bedenken: „Der Verbraucher wüsste nicht, wo die Mängel liegen – ob es Hygieneprobleme sind oder fehlende Eigenkontrollen“. Man könnte auch nicht sehen, ob die Mängel inzwischen beseitigt sind.
Im Restaurant „Die Windmühle Fissenknick“, das er heute zum Schluss besucht, wird Klaus Fischer freundlich begrüßt. Im Keller schraubt er die Zapfanlage auf – sie ist sauber. In der Küche sucht er nach altem Fett im Dunstabzug – Fehlanzeige. Nach rund zwei Stunden ist er zufrieden: „Die Windmühle läge beim Kontrollbarometer im vorderen grünen Bereich.“
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