Interview: Streiks nehmen zu
Arbeiter in chinesischen Fabriken verlangen immer häufiger nach besseren Arbeitsbedingungen – und bekommen sie auch zunehmend. Das sagt Li Qiang, Arbeitsrechtsexperte und Gründer von China Labor Watch.
Nike und Saucony haben die Prüfung ihrer Laufschuhhersteller in China verweigert. Kennen Sie da die Zustände?
Über Saucony wissen wir wenig. Bei Nike waren die Arbeitsbedingungen vor einigen Jahren deutlich besser als bei Adidas. Heute liegen beide Firmen gleichauf, lassen sogar in denselben Fabriken produzieren. Man kann auch sagen: Während sich die Bedingungen bei Adidas in den vergangenen Jahren gebessert haben, sehen wir bei Nike eher Rückschritte.
Wir haben einen Nike-Zulieferer in Guangdong besucht. Dort klagten Arbeiter über schlechte Arbeitsbedingungen.
An sich liegen Nike und Adidas, was Arbeitsbedingungen betrifft, im oberen Mittelfeld. Bei Nike glaubt man, dass es nicht nötig sei, weitere Anstrengungen zu unternehmen. Dabei gibt es auch Zulieferer, die sich nicht an die von Nike vorgeschriebenen Regeln halten: Wo Arbeiter 80 statt 60 Wochenstunden arbeiten, nicht versichert sind, die Löhne nicht pünktlich gezahlt werden.
Warum bekommen Hersteller diese Missstände nicht in den Griff?
Das Problem sind die mangelhaften Kontrollen. Das System ist durch und durch korrupt. Gegen etwas Bestechungsgeld drücken viele der Kontrolleure, die die Hersteller zu ihren Zulieferern schicken, gern ein Auge zu. Manchmal wollen die Kontrolleure die Missstände auch bewusst nicht sehen. Die Marken wollen ihre Umsätze erhöhen, Lieferungen eilen, Läden wollen bestückt werden. Ob Arbeitszeiten eingehalten werden, ist da zweitrangig. Externe Kontrolleure sind Herstellern oft zu teuer. Und selbst Externe lassen sich täuschen.
Wie sind die Arbeitsbedingungen bei Laufschuhherstellern im Vergleich zu Textilien wie etwa T-Shirts?
Etwas besser. Textilfabriken sind üblicherweise kleiner, da die Herstellung weniger Stationen durchlaufen muss. Das heißt, schneller getaktete Lieferungszyklen und mehr Überstunden. Verkauft sich ein Artikel gut, müssen die Fabriken sofort nachlegen. Die kleineren Textilfabriken sind zudem schwerer zu kontrollieren.
Haben sich die Arbeitsbedingungen in der Laufschuhproduktion in den vergangenen Jahren verändert?
Große Veränderungen gab es zuletzt Ende der 1990er Jahre, als Medien und Verbraucher Druck auf die großen Sporthersteller ausübten. Damals hat Nike als einer der Ersten die 60-Stunden-Woche eingeführt. Zuvor waren 70, 80 Arbeitsstunden in der Branche normal, sogar 100. Seit einigen Jahren geht der Druck weniger von der Öffentlichkeit aus. In China sind es Arbeiter selbst, die nach besseren Bedingungen verlangen. Ein Beispiel: Versicherungen. Noch vor wenigen Jahren gab es sie in kaum einer Schuhfabrik. Inzwischen bieten sie immer mehr Arbeitgeber an. Ich nenne das „passive Verbesserung“ – Hersteller in China sehen sich gezwungen, etwas zu tun, weil die Arbeiter sich nicht mehr mit allem zufriedengeben. Es wird immer öfter gestreikt.
Die Fabriken haben es schwerer als früher, Arbeiter zu finden?
Die Arbeiter werden wählerischer, es gibt ein größeres Angebot an Arbeitgebern als früher. Gerade junge Arbeiter heuern mittlerweile lieber bei Handy- und Computerherstellern an, die in der Regel höhere Gehälter zahlen. Anders als noch vor zehn Jahren arbeiten in Schuhfabriken heute viele ältere Arbeiter.
Wie haben sich Löhne und Lebenshaltungskosten in China verändert?
Die Löhne in der Schuhproduktion waren mal vergleichsweise hoch. Heute liegen sie im unteren Mittelfeld und sind um einiges niedriger als in der Elektroindustrie oder anderen Branchen. Dort sind allerdings auch die Arbeitszeiten weniger geregelt als in der Schuhproduktion, zudem ist die Arbeitsbelastung wesentlich höher. Seit einigen Jahren steigen Löhne in der produzierenden Industrie im Schnitt um 15 Prozent im Jahr. Viele Schuhhersteller können oder wollen nicht mithalten, die Lohnzuwächse sind gering, die Lebenshaltungskosten für die Arbeiter dagegen steigen stark.
Stimmt es, dass immer mehr Fabriken nach Südostasien abwandern?
Ja, die Abwanderung hat schon vor Jahren begonnen. Die Arbeitskosten in China steigen und liegen inzwischen mitunter ein Vielfaches über dem Niveau von Ländern wie Myanmar oder Kambodscha.