Die traditionelle Kur genehmigen die Kassen jungen Patienten immer seltener. Doch es gibt Alternativen.
Eine Kur hätte sich Ralf Henning nicht leisten können. Das Geld wäre zwar da gewesen, aber nicht die Zeit. Drei Wochen war der selbstständige Grafikdesigner aus Berlin schon wegen eines Bandscheibenvorfalls nicht mehr im Atelier gewesen. Jetzt türmten sich die Aufträge, und die Kunden ließen sich nicht mehr vertrösten.
Deswegen war es ihm mehr als recht, dass ihn seine Krankenkasse nicht in ein entlegenes Sanatorium, sondern zur "ambulanten Rehabilitation" in ein Rehazentrum um die Ecke schickte. Dort erwartete ihn ab morgens um acht ein straffes sechsstündiges Programm aus Gymnastik, Entspannungstraining und Rückenschule. Am Nachmittag konnte er dann die wichtigsten Arbeiten für seinen Betrieb erledigen. "Drei Wochen lang habe ich gelebt wie ein Mönch", erinnert sich der 34-Jährige. "Ich habe auch zu Hause noch meine Übungen gemacht, keinen Alkohol getrunken und bin früh schlafen gegangen."
Der selbstdisziplinierte Kreative ist für die Krankenkassen der Kurpatient der Zukunft. Sie wollen weg von den alten Bäderkuren mit sanftem Therapieprogramm und schwer nachweisbarer medizinischer Wirkung. Doch nur wenige Patienten sind bereit, sich so wie Grafiker Henning einer Kompaktkur zu unterziehen. Diese für den Patienten arbeitsintensiven Maßnahmen konnten im vergangenen Jahr nur 4.000mal verschrieben werden.
Stattdessen füllen sich die deutschen Heilbäder noch mit Kurgästen, die es sich bei Bäderkuren mit Heilwasser und Massagen gut gehen lassen. 244.000 klassische Bäderkuren verschrieben die Krankenkassen 1999, vor allem an Rentner. "Viele Kassen verteilen die Kuren immer noch als Bonbon, um langjährig Versicherte an sich zu binden", meint Burkhard Stoyke vom Deutschen Heilbäderverband. Die Frage, ob die Kur tatsächlich medizinisch Erfolg versprechend ist, wird bei dieser Altersgruppe kaum noch gestellt.
Marsch durch die Institutionen
Wer dagegen als gestresster Arbeitnehmer im besten Alter seinem Körper auf Kassenkosten etwas Gutes tun möchte, muss einen bürokratischen Marathon hinter sich bringen. Zunächst muss der Hausarzt die Kurbedürftigkeit attestieren. Das wird er gerne tun, denn die Fangopackungen und Gymnastikstunden während einer Kur belasten sein Arzneimittelbudget nicht. Doch der Antrag landet dann auf dem Tisch der Rentenversicherung, die für die Kuren aller Arbeitnehmer zuständig ist. Das Wort "Kur" hört man hier gar nicht gerne. Der begehrte Sanatoriumsaufenthalt, der im vergangenen Jahr über 1,1 Millionen Mal beantragt und mehr als 800.000 Versicherten genehmigt wurde, heißt "stationäre Rehamaßnahme".
Die üblichen Rückenbeschwerden eines Schreibtischarbeiters reichen bei weitem nicht aus. Wenn der Hausarzt dem Gepeinigten nicht mindestens eine "Einschränkung der Beweglichkeit um ein Drittel" und "anhaltenden Charakter der Beschwerden" bescheinigt, hat ein Antrag gemäß den Leitlinien der Bundesversicherungsanstalt für Ange- stellte (BfA) wenig Aussicht auf Erfolg. "Auch eine psychische Erschöpfung, die mit einem normalen Urlaub wieder in den Griff zu bekommen ist, reicht für eine Maßnahme der Rentenversicherung nicht aus", betont Dr. Hanno Irle, für die Rehabilitation zuständiger Sozialmediziner in der Reha-abteilung der BfA.
Wird ein Antrag abgelehnt, kann das aber auch an der schlampigen Begründung durch den Hausarzt liegen. Gutachten mit dem lapidaren Satz "Patient hat häufiger Rückenbeschwerden" fallen beim Beratungsärztlichen Dienst der Rentenversicherung sofort durch. Doch der Abgelehnte kann innerhalb von vier Wochen form- und kostenlos widersprechen. Dann erfolgt meist eine ausführliche Untersuchung durch einen ärztlichen Gutachter der Rentenversicherung. Ist der Befund dann immer noch nicht klar, wird ein Ausschuss eingeschaltet, in dem Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter entscheiden. Etwa 10 bis 15 Prozent aller Widersprüche enden positiv für den Versicherten.
Wer diese Hürden genommen hat, muss sich um nichts weiter kümmern. Der Rentenversicherer sucht die passende Klinik aus und die Kosten übernimmt er auch, bis auf eine Zuzahlung von höchstens 17 Mark (West) oder 14 Mark (Ost) täglich. Der Patient muss noch nicht einmal Urlaub nehmen. Die Zeiten, in denen Urlaubstage und Lohnfortzahlung bei einer Rehamaßnahme gekürzt wurden, sind vorbei. Während der meist dreiwöchigen Therapie liegt für den Arbeitnehmer "Arbeitsunmöglichkeit" vor.
Vorsorgekur der Krankenkasse
Wer zu dem guten Viertel der Antragsteller gehört, die bei der Rentenversicherung kein Glück gehabt haben, kann einen neuen Antrag bei seiner Krankenkasse stellen. Im Gegensatz zur Rentenversicherung darf sie einen Kuraufenthalt vorbeugend genehmigen, wenn damit der Ausbruch oder die Verschlimmerung einer Krankheit verhindert werden kann.
Auch hier ist ein in sich schlüssiges ärztliches Gutachten die beste Chance für eine Kur. Denn bei der Flut der Anträge kann der Medizinische Dienst der Krankenkassen, der mit der Prüfung beauftragt ist, meist nur nach Aktenlage entscheiden. "Wichtig ist, dass der Patient die Behandlungsmöglichkeiten vor Ort ausgeschöpft hat und zu einer Vorsorgemaßnahme motiviert ist", sagt Theo Barth, Abteilungsleiter Rehabilitation in der Hauptverwaltung der Barmer Ersatzkasse.
Wer den "Bäderschein" der Krankenkasse bekommt, kann ihn in jedem anerkannten Kurort einlösen. Doch die Erholung von der Kasse kostet. Für den dreiwöchigen Aufenthalt muss der Patient die Unterkunft und einen Teil der Heilmittel selber zahlen. Selbst bei einfacher Unterbringung in einer Pension kostet die Kur den Gesundheitsbewussten etwa 1.400 Mark. Hinzu kommen noch Reisekosten und eine bittere Pille: Für eine Vorsorgekur der Krankenkasse muss der Versicherte Urlaub nehmen.
Kur auf eigene Kosten
Wer sich auf seine Kasse lieber nicht verlassen will und einfach nur mal vorbeugend etwas für seine Gesundheit tun will, kann auf ein breites Angebot privater Reiseveranstalter zurückgreifen.
Dafür interessieren sich zunehmend Menschen ab 35 Jahre. Seit das vom amerikanischen Arzt Halbert Dunn 1961 aus "fitness" und "well-being" zusammengesetzte Wort Wellness über den großen Teich geschwappt ist, erlebt der Gesundheitsurlaub in Deutschland einen Boom ohnegleichen. "Während der traditionelle Kuraufenthalt nach Genesung von Krankheit klingt, sind Wellnesskunden daran interessiert, dass es ihnen auch weiterhin gut geht", beschreibt Heike Wilms-Kegel, Geschäftsführerin des Deutschen Heilbäderverbands, die neue Kundschaft. 7 Prozent der Urlauber haben nach einer Untersuchung der Forschungsgemeinschaft Reisen 1999 eine Gesundheitsreise gebucht.
Umfragen sagen der Gesundheitsbranche ein rasantes Wachstum voraus. Nach einer Studie des Reiseveranstalters Tui haben 1998 14,3 Millionen Bundesbürger Interesse an Fitness-, Schönheits- und Kururlauben bekundet. Barbara Richter, Geschäftsführerin des Spezialanbieters IKD-Reisen in München: "Wellness ist ein neues Angebot, das vor allem Frauen als Zweit- oder Dritturlaub für eine Woche oder ein Wochenende ausprobieren." Wer sich nicht gleich an eine dreiwöchige Ayurveda-Kur in Sri Lanka für 6.852 Mark wagen will, die Tui anbietet, kann bei fast allen großen Reiseveranstaltern tageweise einen Hotelaufenthalt mit zusätzlichem "Wellness-Paket" bestellen.
Günstige Angebote der Kurorte
Einen Gesundheitsurlaub kann man auch direkt bei den deutschen Kurorten buchen. Sie haben auf die Wellness-Welle mit eigenen Angeboten für Kurzurlaube reagiert. Die direkte Buchung ist oft günstiger als vergleichbare Gesundheitsferien übers Reisebüro.
So kostet Anfang September das siebentägige Programm "Man gönnt sich ja sonst nichts" im Ostseebad Warnemünde mit Einzelzimmer im Hotel Neptun 1.467 Mark. Dafür bekommt man immerhin eine Anwendung auf der Thalasso Beauty Farm, Wassergymnastik und geführte Strandwanderungen. Bucht man das Hotel im September über Neckermann, kosten allein die Übernachtungen 1.421 Mark. Dazu kommen noch 335 Mark für das Programm "Thalasso zum Kennenlernen", das allerdings etwas mehr enthält als das Angebot der Kurverwaltung.
An die Preise wird man sich gewöhnen müssen. Denn die Kassen werden sich nach und nach aus dem Kurgeschäft zurückziehen. Dr. Hanno Irle von der BfA ist sich sicher, dass das bisherige System der Kuren auf Kassenkosten bald der Vergangenheit angehört. "Die gesetzliche Rentenversicherung hat die traditionelle Bäderkur schon vor Jahren abgeschafft. Sie wird auch in Zukunft nicht zu ihrem Leistungsspektrum gehören.
Schon jetzt kann man die typische dreiwöchige Krankenkassen-Kompaktkur privat buchen. In Bad Neinberg muss man bei einfacher Unterbringung für eine Anti-Stress-Kur mit 3.019 Mark rechnen. In Bad Wildbad werden in der Hauptsaison für eine Rückenkur 4.784 Mark fällig. Die Arztkosten kommen noch dazu.
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- Beiträge, Leistungen, Kosten – das gilt für Kinder, Studenten, Berufstätige und Rentner, wenn sie bei einer Krankenkasse versichert sind.
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- Wenn Mitarbeiter nach längerer Krankheit oder einem schweren Unfall wieder ins Arbeitsleben zurückkehren, können sie das stufenweise tun – nach dem Hamburger Modell.
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- Nach einem Jahr Pause steigen die Beitragsbemessungsgrenzen 2023 wieder. Gutverdienende zahlen rund 50 Euro mehr im Monat für ihre Krankenversicherung.
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