
Redakteur Michael Sittig, 45, mit seiner Ausbeute von drei Verkaufspartys. Die zwei Vibratoren (grün) schickt er zurück. Aber Amorelie lehnt den Widerruf ab. © Lox Foto
Wer bei Verkaufspartys bestellt, kann den Kauf 14 Tage lang widerrufen. Klappt das? Finanztest-Redakteur Michael Sittig hat es ausprobiert. Er war bei einer Tupperware-Party, hat sich einen Thermomix zugelegt und hat an einer Verkaufsparty für Sex-Spielzeug teilgenommen – in seiner Küche.
Die drei Töchter sind schuld
Meine Kinder sind schuld. Die drei Mädchen – eines zwölf Jahre, zwei zehn Jahre alt – verweigern mein Kartoffelpüree aus der Packung. Ich kann sie verstehen, selbst gemacht schmeckt besser. Aber für Schälen, Schneiden, Stampfen habe ich nach der Arbeit einfach nicht genug Zeit. Außerdem gehört Küche nicht zu meinen Kernkompetenzen. Als ich meinen Packungsbrei allein esse, entscheide ich: Es muss sich etwas ändern.
Das Küchengerät Thermomix der Firma Vorwerk soll Koch-Anfänger zu beachtlichen Resultaten verhelfen, lese ich. Das Ding kann ich aber nur kaufen, wenn ich an einer Wohnzimmerparty teilnehme. „Direktvertrieb“ nennen die Betriebswirtschaftler diese Verkaufsmethode. Okay, wenn es sein muss. Hauptsache, kein Gemecker mehr beim Essen.
Mit meinem Ja zur Verkaufsparty stehe ich nicht ganz allein da. 17 Milliarden Euro wurden 2016 in der Branche umgesetzt, meldet der Bundesverband Direktvertrieb (BDD).
Der Boom im Direktvertrieb ist bisher an mir vorbeigegangen. Ich entscheide, Privates und Berufliches zu verbinden und einen Artikel über die Kundenrechte bei Verkaufspartys zu schreiben. Wissen alle, dass Kunden dort ein Widerrufsrecht haben wie beim Onlineshopping? Zicken die Unternehmen rum, wenn man tatsächlich etwas zurückschickt? Bekommt der Kunde eine Garantie auf die gekauften Produkte?
Neben Thermomix nehme ich an einer Verkaufsparty von Tupperware und einer „Toyparty“ des Erotikhändlers Amorelie teil. Überall bestelle ich fleißig. Einiges lasse ich zurückgehen. Das Ergebnis: Nirgends funktioniert der Widerruf reibungslos.
Mai 2017, Brandenburg,Thermomix-„Erlebniskochen“
Meine erste Party beginnt mit einem Gefühl der Einsamkeit. Ich bin allein unter sieben Frauen, darunter eine Arbeitskollegin. Viele waren schon öfter da. Eine Frau will sich heute weitere „Munition“ besorgen, um ihren Mann endlich zum Kauf des teuren Küchengeräts zu bewegen. Andere überlegen noch und wollen den TM5 noch einmal in Aktion sehen.
Die Verkaufsberaterin von Thermomix, ich nenne sie Juliane, ist eine Frau Mitte Vierzig. Sie trägt eine rote Kochschürze. Schnell erkennt Juliane meine Fähigkeiten. Bevor es richtig losgeht, werde ich zu Hilfsarbeiten herangezogen: Möhren, Äpfel, Gurken schälen.
Auf Wunsch der Gastgeberin weicht Juliane heute vom Speiseplan ab, den Thermomix-Hersteller Vorwerk für das „Erlebniskochen“ vorsieht. Es gibt vegetarisch: mediterranes Baguette, Kräuter-Cashew-Aufstrich, Möhren-Mango-Suppe, Kräuter-Risotto, Mango-Thai-Basilikum-Lassi mit Kokos, Rotkohl-Birnen-Salat mit Walnüssen und Kompott aus Äpfeln und Ingwer. Ich darf am Salat mitarbeiten.
Ich merke schnell, der Thermomix und ich harmonieren. Der Bildschirm gibt die Befehle, ich führe sie aus. „Wer lesen kann, kann kochen“, sagt Juliane zu mir. Obwohl ich eher der Döner- und Currywurst-Typ bin, schmeckt das Essen auch mir.
Tipp: Die Stiftung Warentest hat den Thermomix und acht weitere Küchenmaschinen getestet. Nur drei der neun Geräte schnitten gut ab. Der Thermomix war nicht bei den Guten zum Test Küchenmaschinen.
Käuferin muss sich nach Widerruf rechtfertigen
Während wir essen, teilt Juliane Bestellzettel aus. Natürlich wirbt sie ordentlich für das Vorwerk-Produkt. „Die Sansibar auf Sylt hat sechs Geräte davon in der Küche. Die Gastronomie irrt doch nicht.“ Insgesamt hält sich die lobhudelnde Marktschreierei aber im Rahmen.
Zu Hause beratschlage ich mit meiner Frau. Ich sehe den Thermomix als Beginn meiner Küchenkarriere, sie das Gerät als Hilfe zur Erledigung zeitraubender Arbeiten. Wir bestellen den TM5 für 1 300 Euro.
Auch meine Arbeitskollegin bestellt, widerruft aber wenige Tage später. Es gibt keine Probleme. Vorwerk übernimmt sogar die Kosten für die Retoure. Auch die Hinsendekosten werden der Kollegin nicht berechnet. Sie hat den TM5 per „Express-Lieferung“ geordert. Die Zusatzkosten für einen besonders schnellen Versand dürfen sich Händler nach einem Widerruf eigentlich erstatten lassen.
Nachdem meine Kollegin widerruft, bekommt sie aber von Juliane über Monate SMS. „Habe gerade erfahren, dass Du den Thermomix zurückgegeben hast und den Vertrag storniert. Was ist passiert?“, simst Juliane etwa, als sie vom Widerruf erfährt. Rechtlich ist das nicht in Ordnung. Kunden müssen ihren Widerruf nicht erläutern.
Tipp: Antworten auf auf alle Fragen rund ums Shoppen finden Sie in den FAQ Kaufrecht.
Unser Rat
Widerruf. Haben Sie auf einer Verkaufsparty etwas gekauft, können Sie den Kauf widerrufen. Der Widerruf sollte eindeutig sein, etwa so: „Hiermit widerrufe ich den Kauf der am [Datum] bestellten Ware [Kaufgegenstand].“ Unkommentiert zurückschicken ist kein Widerruf.
Erklärfrist. Den Widerruf müssen Sie binnen 14 Tagen nach Erhalt der Ware an den Verkäufer absenden. Sie können zum Beispiel eine E-Mail oder ein Fax schicken. Bitten Sie den Verkäufer um eine Eingangsbestätigung. Erwarten Sie Ärger, sollten Sie den Widerruf lieber per Einschreiben verschicken. Wenn Sie den Widerruf erklärt haben, müssen Sie die Ware innerhalb von 14 Tagen zurückschicken.
Erstattung. Nach einem Widerruf muss der Händler den Kaufpreis erstatten. Ein Gutschein reicht nicht.
Ausschluss. Einige Waren sind vom Widerruf ausgeschlossen. Sextoys werden oft versiegelt. Sobald das Siegel gebrochen wurde, ist kein Widerruf mehr möglich.
November 2017, Hessen,Tupperware-Verkaufsparty
Ich bin wieder allein unter Frauen – diesmal sind es neun. Der Mann der Gastgeberin hat sich mit den Kindern zurückgezogen. Unsere Tuppertante – „Partymanager“ im Unternehmens-Jargon – ist Steffi (Name geändert), um die 30 Jahre alt. Sie kocht gern mit den Gästen. Steffi zeigt uns, wie man mit Tupperutensilien Brot selbst backt und einen Guacamole- und Quark-Dipp zaubert. Der „Quick-Chef“ häckselt die Zutaten klein. Das Brot backt im „UltraPro“. Diese Haushaltsgeräte sind mir neu. In meiner Vorstellung besteht die Tupperwelt nur aus bunten Schüsseln.
Steffi rührt natürlich die Werbetrommel für Tupper: „Das gekaufte Zeug aus der Packung schmeckt einfach nicht.“ Mit der Spätzleria von Tupper würden wir leckere Spätzle ganz einfach hinbekommen. Das klingt verlockend, also kommt die Spätzlereibe auf meine Bestellliste. Ebenso der „Reis-Maker“ und ein Behälter, mit dem ich die Reste vom Vortag mit ins Büro nehmen kann. Für die Kinder ordere ich einen Teigspachtel, der in der Tuppergemeinde „Nutella-Löffel“ heißt, weil er so gut in die tiefen Regionen vom Nutella-Glas kommt.
Zu Testzwecken kaufe ich auch einen Schüttelbecher, den ich später widerrufen will. Insgesamt bestelle ich im Wert von 106,50 Euro. Üblicherweise geben die Gäste der Gastgeberin am Abend der Party oder kurz danach das Geld in bar. Die Partymanagerin bringt die Sachen Tage später dann der Gastgeberin und diese verteilt sie weiter.
Da ich das Geld in bar nicht dabei habe, bietet Steffi mir an, dass ich die 106,50 Euro auch auf ihr Privatkonto überweisen kann. Trotz meiner Bedenken gegen Vorkasse wähle ich diesen Weg. Eine Verwandte aus Hessen schickt mir die Tuppersachen nach Berlin.
Nach langem Hin und Her klappt auch bei Tupperware der Widerruf
Ich überweise das Geld und widerrufe bei Steffi per E-Mail den Kauf des Schüttelbechers. Auch sie hakt nach: „Ist denn etwas nicht in Ordnung?“ Steffi will sich bei ihrer Chefin erkundigen, ob ich für den Becher einen Gutschein bekommen oder ihn gegen etwas anderes eintauschen könne. Mit der Rechtslage hat diese Auskunft wenig zu tun. Nach einem Widerruf hat der Händler den Kaufpreis zu erstatten.
Später schreibt Steffi, dass einer Rückgabe nichts im Wege stehe, wenn ich das Gerät unbenutzt im Originalkarton zurückschicke. Auch das ist nicht korrekt. Durch Ausprobieren verliert niemand sein Widerrufsrecht. Und die Retoure im Originalkarton ist nicht gesetzlich vorgeschrieben.
Ich gehe auf Steffis Einwände nicht ein und schicke den Becher einfach zurück. Einige E-Mails und Wochen später bekomme ich das Geld für den Becher zurücküberwiesen. Das Rückporto wird mir nicht ersetzt.
Februar 2018, Berlin, Amorelie-Party bei mir zu Hause
Als Mann an einer Verkaufsparty für Sexspielzeug teilzunehmen, ist nicht einfach. Solche Partys werden meist nur für Frauen angeboten. Ich versuche es trotzdem und melde auf der Website des Erotikhändlers Amorelie mein Interesse an einer „Toyparty“ an. Die Amorelie-Beraterin Eva (Name geändert), eine junge Studentin, ruft mich zurück. Sie habe bisher nur Frauenpartys gemacht, will es mit einer gemischten Runde aber versuchen.
Ein bisschen Sorge habe ich. Wird es verkrampft, wenn ich mit Freunden über Dildos und Vibratoren fachsimple? Können wir gemeinsam darüber lachen?
Ja, es klappt. Neun Personen sitzen an einem Samstagabend im Februar 2018 brav auf meinem Sofa. Eva lässt die Spielsachen und Massageöle rumgehen. Wir probieren alles aus. Natürlich nur als Trockenübung. Nach zweieinhalb Stunden zieht sich Eva in meine Küche zurück und nimmt Bestellungen entgegen. So erfährt niemand, was der andere kauft. Meine Freunde ordern auch. Eva macht 550 Euro Umsatz. Von mir sind 112,70 Euro. Ich habe zwei Vibratoren, Massageöl und einen Massagestein bestellt.
Die Vibratoren und der Stein kommen versiegelt. An einer Verpackung hat sich ein Siegel allerdings schon gelöst. Entweder wurde das Siegel vor dem Versand nicht ordentlich verklebt oder es hat sich beim Transport gelöst.
Amorelie liefert versiegelte Vibratoren. Widerruf scheitert

Amorelie liefert ein Sexspielzeug mit losem Siegel. Als unser Redakteur widerruft, unterstellt der Händler ihm den Bruch des Siegels. © Lox Foto
Händler wie Amorelie hebeln mit der Versiegelung das Widerrufsrecht aus. Möglich macht es der Paragraf 312g Absatz 2 Nummer 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Danach ist der Widerruf ausgeschlossen, wenn der Verbraucher eine Versiegelung an einem Artikel entfernt hat, der aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet ist. Artikel wie Vibratoren und der Massagestein sind nach Ansicht von Amorelie Hygieneartikel im Sinne dieser Vorschrift. Das Oberlandesgericht Hamm hat die Sichtweise von Amorelie im Jahr 2016 bestätigt (Widerruf, Reklamation und Garantie).
Ich versuche es trotzdem und widerrufe den Kauf der beiden Vibratoren. Beim ordentlich versiegelten Gerät breche ich das Siegel absichtlich. Den Vibrator mit dem abgelösten Siegel schicke ich so zurück, wie ich ihn erhalten habe. Laut Amorelie-Homepage muss ich das Rückporto selbst bezahlen. Zu meiner Überraschung bekomme ich aber ein Rücksendeetikett zugemailt, sodass ich die Vibratoren doch kostenfrei zurücksenden kann.
Es bleibt: Erotik-Gutschein, Tupper in der Küche und zufriedene Kinder

„Wer lesen kann, kann kochen.“ Mit diesem Spruch kriegte die Thermomix-Repräsentantin unseren Redakteur Michael Sittig zum Kauf des teuren Thermomix. © Lox Foto
Amorelie lehnt den Widerruf ab. Ich erhalte für beide Geräte einen Gutschein im Wert von 84,80 Euro. Das ist enttäuschend: Für den Vibrator mit dem abgelösten Siegel hätte mir der Kaufpreis erstattet werden müssen.
Meine Koch-Zwischenbilanz nach der Verkaufsparty-Tour hingegen fällt positiv aus: Tupper und Thermomix haben mich in der Küche von der Kreisklasse in die Kreisliga katapultiert (Selbsteinschätzung). Mein erster selbst gemachter Thermomix-Kartoffelbrei wird von den Kindern verhalten positiv angenommen. Ich werte das als Erfolg.
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- Thermomix und Co hacken, rühren und kneten nicht nur – sie braten, kochen und backen auch. Wir möchten wissen: Welche Erfahrungen haben Sie mit diesen Geräten?
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Wirklich unterhaltsamer Artikel. Ich habe öfters herzlich lachen können.
Wobei, und das ist meine Kritik, hier natürlich an die Grenze des Zumutbaren gegangen wurde. Damit meine ich, dass jedem Kunden klar sein sollte - vollkommen unabhängig von der rechtlichen Lage - dass man ein Sexspielzeug nicht zurückgeben kann. Welcher Kunde möchte ein zurückgegebenen Artikel noch kaufen? Und wenn bei einem Artikel sich das Siegel gelöst hatte und dann der Kommentar kommt, hier hätte der Kunde aber eigentlich widerrufen können, dann finde ich das weltfremd, albern und eklig.
Dass der Verkäufer bei einem Widerruf nachfragt, finde ich als Kunde dagegen vollkommen OK. Es reicht ja ggf. einfach mein Hinweis, dass ich es mir eben anders überlegt habe. Rechtlich muss ich meinen Widerruf nicht begründen, klar. Aber dass der Verkäufer freundlich nachfragt und ggf. anbietet, bei Problemen zu helfen, ist absolut OK und in vielen Fällen für mich als Kunde ja sogar vorteilhaft.
@Septimus24: Vielen Dank für die "Blumen". Was Verbraucherrechte bezüglich Verkaufsparties angeht, haben Sie Recht. Über Verbraucherrechte aufzuklären, ist aber eine unserer vornehmsten Aufgaben. Und das machen wir, seit dem es uns gibt. (TK)
Dies ist das erste Mal, das ich einen solchen Artikel auf test.de gelesen habe. Weiter so! Kann öfters vorkommen! Diese Art zu schreiben super! MfG Septimus