
© N. Kazakov
Darf eine Firma wegen Eigenbedarfs für Angehörige kündigen, obwohl sie gar keine Familienangehörigen hat? Nein, erklärte das Landgericht München. Ja, entschied jetzt aber der Bundesgerichtshof. Das Urteil ist ein weiterer Rückschlag für Mieter. Vermietern hingegen könnte es neue Möglichkeiten bieten, den bestehenden Kündigungsschutz zu umgehen.
BGH: Auch Angehörige von Gesellschaftern haben Wohnrecht
Eigenbedarf ist der häufigste Grund für die Kündigung einer Wohnung. Kündigt der Vermieter, weil er selbst oder Verwandte einziehen wollen, haben Mieter meist schlechte Karten. Auch wenn sie seit Jahren pünktlich zahlen und sich immer korrekt verhalten haben, kommen sie gegen eine solche Kündigung kaum an. Sogar eine Firma kann Eigenbedarf für Angehörige anmelden, obwohl sie gar keine Familienmitglieder hat. So urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) schon 2007. Im damals verhandelten Fall wollte einer der Gesellschafter die Wohnung für sich selbst nutzen (Az. VIII ZR 271/06). Der aktuelle Fall lag anders: Die Wohnung, um die es ging, gehörte einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Keiner der vier Gesellschafter der GbR brauchte die Wohnung für sich. Vielmehr wollte einer von ihnen seine Tochter dort einziehen lassen. Das Landgericht München gab daraufhin den Mietern Recht. Der BGH kassiert dieses Urteil jetzt (Az. VIII ZR 232/15).
Firma teilt Haus in Wohnungen auf
Es ging um eine 166 Quadratmeter große Fünf-Zimmer-Wohnung in München, die nur 1 375 Euro Monatsmiete kostete. Die GbR hatte das Haus 1991 gekauft mit dem Ziel, es zu sanieren, zu modernisieren und in Eigentumswohnungen aufzuteilen. So stand es im Gesellschaftervertrag. Einige der Wohnungen wurden in den Folgejahren verkauft. Die Wohnung, um die es im Streitfall ging, war die letzte, die noch nicht saniert war.
Chance für Spekulanten
Vorm Amtsgericht München hatten die Gesellschafter mit der Eigenbedarfskündigung keinen Erfolg. Auch das Landgericht ließ sie abblitzen. Die Richter dort sahen die Gefahr, dass Spekulanten ganz bewusst beim Kauf und der späteren Verwertung eines Hauses auf die Rechtskonstruktion der GbR zurückgreifen, um Eigenbedarf anmelden und Mieter herauskündigen zu können. In einer GbR kann es mehrere Gesellschafter geben. Außerdem können verschiedene Gesellschafter aus- und andere eintreten – im Zweifelsfall so viele, bis einer gefunden ist, der Eigenbedarf für sich oder für Angehörige anmelden kann.
Gezielte Umgehung des Kündigungsschutzes
Das würde nach Ansicht des Landgerichts die Möglichkeit eröffnen, den bestehenden Kündigungsschutz auszuhebeln. Der GbR fehle in diesem Zusammenhang auch die Transparenz, denn Gesellschafterwechsel vollziehen sich außerhalb des Grundbuchs, so das Gericht. Angesichts der aktuellen Situation auf dem Münchner Wohnungsmarkt könne es gezielt GbR-Gründungen geben, nur um sich das BGH-Urteil von 2007 zunutze zu machen.
Vergleichbar mit Erbengemeinschaft
Nach dieser Abfuhr zogen die vier Gesellschafter vor den Bundesgerichtshof – und bekamen Recht. Der BGH hielt die Eigenbedarfskündigung für völlig in Ordnung. Eine GbR – egal aus wie vielen Gesellschaftern sie besteht – sei in allen wesentlichen Punkten vergleichbar mit einer Erbengemeinschaft oder einer Miteigentümergemeinschaft, denen das Recht auf Eigenbedarfskündigungen zusteht. Auch bei solchen Vermieterstrukturen gebe es eine große Bandbreite unterschiedlicher Mitglieder. Manche Erbengemeinschaften würden sogar über mehrere Generationen geführt. Dass eine GbR aufgrund einer großen Zahl von Gesellschaftern besonders unüberschaubar sein könne, dürfe kein Kriterium dafür sein, sie schlechter zu stellen als eine Miteigentümer- oder Erbengemeinschaft.
Berechtigtes Interesse
Die Entscheidung passt in die Linie der Eigenbedarfsurteile, die der BGH in den vergangenen Jahren getroffen hat. Demnach können juristische Personen wie beispielsweise eine Firma zwar grundsätzlich keinen Eigenbedarf anmelden. Aber sie können ein „berechtigtes Interesse“ haben. So erlaubte der BGH es dem Gesamtverband der Evangelischen Kirchengemeinden, Mietern einer Zwei-Zimmer-Wohnung wegen Eigenbedarfs zu kündigen, um dort eine Beratungsstelle für Erziehungsfragen unterzubringen (Az. VIII ZR 238/11). Auch eine Kommanditgesellschaft darf Betriebsbedarf geltend machen, wenn sie genau diese Wohnung für einen Mitarbeiter benötigt (BGH, Az. VIII ZR 113/06).
Häufigster Kündigungsgrund: Eigenbedarf
Eigenbedarf durch den Vermieter ist der häufigste Grund für die Kündigung einer Wohnung. Benötigt er die Wohnung für sich oder seine Familie, kann er den Mietvertrag kündigen. Dem sind jedoch Grenzen gesetzt. Das Special zum Thema Eigenbedarf erklärt ausführlich, was Vermieter beachten müssen und wie Mieter sich wehren können. Antworten auf die zehn häufigsten Fragen zum Thema Mietrecht gibt unser FAQ Mietrecht.
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Die Urteile der Vorinstanzen waren in meinen Augen auch geradewegs absurd. Es ist unbestritten, dass wenn die Tochter eines Eigentümer in eine von ihm vermietete Wohnung einziehen möchte, er die Mieter fristgerecht kündigen kann. Warum sollte daran etwas anders sein, wenn der Eigentümer Mitglied einer GbR ist, die als Vermieterin auftritt? Bei einer Personengesellschaft stehen ja gerade die natürlichen Personen im Mittelpunkt und nicht die Gesellschaft, sonst wäre es eine Kapitalgesellschaft. Der BGH hatte bereits 2007 darüber entschieden. Der Fall lag eben nicht wirklich anders, die Vorinstanz hatte sich nur ganz bewusst, und auch in der Urteilsbegründung so angesprochen, gegen den BGH gestellt. Das wurde jetzt zurecht kassiert.