Zahlreiche Kreditnehmer haben Verträge mit fehlerhafter Widerrufsbelehrung widerrufen und profitieren jetzt von gesunkenen Zinsen. Doch fast alle mussten dafür zum Anwalt, viele gar vor Gericht. Über 500 Urteile und Vergleiche listet test.de inzwischen auf. Immer wieder scheitern Kläger. Vor allem in Frankfurt und in Schleswig Holstein wurden viele Klagen mit zweifelhaften Begründungen abgewiesen. Betroffene hoffen auf den Bundesgerichtshof. test.de sagt, worauf Kreditkunden sich bei Widerruf einrichten müssen.
Der Streit ums Widerrufsrecht
Rechtlicher Hintergrund: Bei rund 80 Prozent der von Oktober 2002 an geschlossenen Immobilienkreditverträgen sind die Widerrufsbelehrungen fehlerhaft. Kreditnehmer können solche Verträge auch heute noch widerrufen. Weil die Zinsen stark gesunken sind, können Kreditnehmer auf diese Weise viele Tausend Euro sparen. Bisheriger Rekord in der test.de-Liste mit verbraucherfreundlichen Urteilen und Vergleichen: Ein Kunde der BW Bank erhält genau 64 670,64 Euro Vorfälligkeitsentschädigung zurück, wenn die Verurteilung der Bank durchs Landgericht Stuttgart rechtskräftig wird. Zinsen kommen noch dazu. Einzelheiten, Tipps, Mustertexte und Excel-Arbeitsblätter liefert test.de im Special Immobilienkredite: So kommen Sie aus teuren Kreditverträgen raus.
Bankenfreundliche Richter in Frankfurt
Ausgerechnet in Frankfurt am Main, wo zahlreiche Banken ihren Sitz haben, urteilt das Landgericht allerdings oft bankenfreundlich. Dort befinden die Richter oft: Die Widerrufsbelehrung der Bank ist der Musterwiderrufsbelehrung so ähnlich, dass sie als korrekt gelten kann. Die meisten anderen Gerichte und der Bundesgerichtshof urteilen anders und meinen: Wenn Banken und Sparkassen das gesetzliche Widerrufsmuster verwendet haben, dürfen sie sich auf Vertrauensschutz nur berufen, wenn sie das Muster vollständig und richtig verwendet haben. Immer wieder befinden Richter in Frankfurt zudem, dass Kunden ihr Widerrufsrecht nach Treu und Glauben verwirkt hätten. Die andere Gerichte hingegen urteilen meist: Banken und Sparkassen haben das Recht der Kreditnehmer durch ihre Fehler überhaupt erst begründet und dürfen deshalb nicht darauf vertrauen, dass ihre Kunden dieses Recht nicht wahrnehmen. Außerdem hatten sie die Möglichkeit, die korrekte Belehrung nachzuholen. Wenn sie darauf verzichten, kann das Widerrufsrecht nicht verwirkt sein.
Richter verwehren Gang zur nächsten Instanz
Besonders zweifelhaft: Immer wieder lässt das Oberlandesgericht Frankfurt nicht mal die Revision zu, wenn es Klagen gegen Banken oder Sparkassen abweist. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht den Zivilgerichten gerade im Frühjahr zu Fällen mit grundsätzlicher Bedeutung noch wieder ins Stammbuch geschrieben: „Die (...) Entscheidung, die Revision nicht zuzulassen, ist (...) nicht nur als einfaches Versehen (...) einzuordnen, sondern als grobe Verkennung des Schutzumfangs von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (Anm. der Redaktion: Hier geht es um das grundgesetzlich gewährte Recht auf den gesetzlichen Richter)“, hieß es in einem Gerichtsbeschluss, mit dem die Verfassungsrichter ein Urteil des Landgerichts Bonn aufhoben.
Wende am Oberlandesgericht Frankfurt?
Bislang hat das Oberlandesgericht in Frankfurt zahlreiche Klageabweisungen des Landgerichts Frankfurt bestätigt. Jetzt scheint es auf die Linie der anderen Oberlandesgerichte einzuschwenken. Mehrere Rechtsanwälte berichten: In den letzten Monaten ergingen verbraucherfreundliche Urteile. So erreichten Rechtsanwälte Engler & Collegen in einem Streit um die Finanzierung von Anteilen an einem geschlossenen Fonds ein Urteil, wonach der Widerruf eines Kredits der Helaba Dublin Landesbank Hessen-Thüringen International wirksam war, obwohl der Kläger den Vertrag als zehn Jahre vor dem Widerruf abgeschlossen und vier Jahre vorher abbezahlt hatte. Das Landgericht Frankfurt am Main und das Oberlandesgericht in Schleswig entscheiden allerdings offenbar nach wie vor regelmäßig gegen Verbraucher.
Großer Ärger bei Betroffenen
Unter Betroffenen ist der Ärger über zweifelhaft begründete Klagabweisungen groß. „Die willkürliche Rechtsprechung ist für Bankkunden wie russisches Roulette“, schrieb eine Familie an Finanztest, nachdem eine Richterin in Frankfurt die Interessen ihrer Bank als „vorrangig schutzwürdig“ bezeichnet und ihre Widerrufsklage abgewiesen hatte. Zu allem Überfluss setzte das Gericht den Streitwert auf einen viel höheren Betrag fest, als es bei anderen Gerichten üblich ist. Die Gerichtskosten und Rechtsanwaltshonorare steigen dadurch um einen satt vierstelligen Betrag.
Ein Signal vom Bundesgerichtshof
Gescheiterte Kläger können sich beim Bundesgerichtshof lediglich darüber beschweren, dass die Richter in Frankfurt oder Schleswig keine Rechtsmittel zugelassen haben. Doch das ist nur zulässig, wenn es um mindestens 20 000 Euro geht. Ist diese Hürde genommen, haben solche Beschwerden gute Aussichten auf Erfolg. Klares Signal der Bundesrichter: Sie bewilligten im April Klägern für die Beschwerde gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt Prozesskostenhilfe und veröffentlichten diesen Beschluss, anders als es in vergleichbaren Fällen üblich ist, auf der Homepage des Gerichts.
Warten auf Urteile aus Karlsruhe
Trotzdem gibt es bisher noch keine Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu Fällen, in denen es um Verwirkung und um Vertrauensschutz bei Verwendung von nicht ganz dem Muster entsprechenden Widerrufsbelehrungen geht. Im Mai 2015 stand zwar ein Fall zur Verhandlung an. Doch der Termin platzte in letzter Minute – offenbar auf Betreiben der Bank. Auch das BGH-Verfahren, in dem die Bundesrichter den Klägern Prozesskostenhilfe für die Beschwerde gegen ein Frankfurter Urteil bewilligt haben, ruht derzeit. Rechtsanwalt Klaus Hünlein vertritt die Kläger in dem Verfahren. Er berichtet: Seine Mandanten und die DKB-Bank verhandeln über einen Vergleich. test.de vermutet: Die Bank wird den Klägern so viel Geld bieten, dass diese ihre Rechtsmittel zurücknehmen und es wieder kein verbraucherfreundliches Urteil des Bundesgerichtshofs geben wird. Die unerfreuliche Folge für Bankkunden, die am Landgericht in Frankfurt oder in Schleswig-Holstein klagen müssen: Sie laufen weiterhin Gefahr, dass ihre Klagen mit zweifelhaften Argumenten abgewiesen werden.
Bundesverfassungsgericht,Beschluss vom 04.05.2015
Aktenzeichen: 2 BvR 2053/14
Bundesgerichtshof,Beschluss vom 18.04.2015
Aktenzeichen: XI ZA 18/14
Klägervertreter: Hünlein Rechtsanwälte, Frankfurt
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 26.08.2015
Aktenzeichen: 17 U 202/14
Klägervertreter: Engler & Collegen, Unna
Vorgeschichte:Grundsatzurteil fällt aus
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Die Frage dürfte eher sein: Bei welchen OLG.s liegen keine Widerrufssachen an? Eine Liste mit Terminen, Aktenzeichen und den jeweils zu klärenden Rechtsproblemen wäre prima, aber ich fürchte: Das ist nicht zu schaffen. Ich habe schon keinen Überblick darüber, was genau alles derzeit beim Bundesgerichtshof liegt.
Gibt es dazu Aktenzeichen und Termine? Danke!
Während der 17. Zivilsenat am 26.08.2015 die Verwirkung verneinte, bejahte der 19. Zivilsenat am 07.08.2015 die Verwirkung (Az. 19 U 5/15). Laut eines Beitrags im finanz-forum wird dieses Verfahren von der Kanzlei SNB angeführt.
Quelle: http://www.finanz-forum.de/threads/11727-widerrufsjoker-erfahrungen?p=110589&viewfull=1#post110589
Den Urteilstext zum o.g. Az. konnte ich im Internet nicht zugänglich finden. Sonst jemand?
Wieso denn jetzt OLG Celle?
Vom OLG Frankfurt kann es nur zum BGH gehen.....
Bitte um Aufklärung!.
Kommentar vom Autor gelöscht.