Harte Zeiten für Banken und Sparkassen: Sie haben die Verbraucherschutzregeln unterschätzt und sich in den komplizierten Regeln verstrickt. Die Folge: Rund 80 Prozent der zwischen November 2002 und Juni 2010 abgeschlossenen Immobilienkreditverträge können Kreditnehmer auch heute noch widerrufen. Selbstbewusste und gut gebildete Kunden wie Jörg Herbertz aus Trier bitten jetzt die Branche zur Kasse. test.de schildert einen typischen Kreditwiderrufsfall.
Von Geburt an Sparkassenkunde
Fast von Geburt an war der heute 49-jährige Jörg Herbertz Kunde der Sparkasse Trier. Seine Eltern legten ein Sparbuch für ihn an, als er noch Säugling war. 1985, kurz nach dem 18. Geburtstag, bekam er ein Girokonto. Später wurde Herbertz Unternehmer. Fast jeder Euro, den er privat oder als Unternehmer einnahm, lief über Sparkassenkonten. „Ich war eigentlich immer zufrieden“, erinnert er sich.
Fehler in Kreditverträgen
Dann erfuhr er: Bei zwei privaten Immobilienkreditverträgen aus den Jahren 2005 und 2006 über insgesamt 230 000 Euro waren der Sparkasse Fehler unterlaufen. Sie belehrte ihn nicht genau genug über sein Widerrufsrecht. Die Folge für ihn: Er konnte die beiden Verträge auch Jahre nach Vertragsschluss noch widerrufen und sich das Geld für viel geringere Zinssätze leihen. Er suchte das Gespräch mit der Sparkasse, doch die Mitarbeiter ließen ihn abblitzen. Allenfalls einen kleinen Nachlass auf die sonst bei vorzeitiger Ablösung von Kreditverträgen fällige Vorfälligkeitsentschädigung stellten sie in Aussicht.
Kreditvertrag 1: Prozess gewonnen
Jörg Herbertz beriet sich mit Rechtsanwalt Dr. Christof Lehnen. Der bestätigte ihm: Die Widerrufsbelehrung zu seinen beiden Sparkassen-Krediten ist klar fehlerhaft. Der Widerruf ist wirksam. Die Bank müsse ihn sofort gehen lassen und zusätzlich noch herausgeben, was sie mit seinen Ratenzahlungen im Laufe der Jahre erwirtschaftet hat. Trotz der für Herbertz günstigen Rechtslage kam ihm die Sparkasse nicht weiter entgegen. Also zog Herbertz zunächst wegen eines Kreditvertrags vor Gericht. Er gewann vor dem Landgericht Trier. Ihre Berufung gegen das Urteil nahm die Sparkasse zurück, nachdem das Oberlandesgericht Koblenz signalisiert hatte: Es hält das Urteil für korrekt und die Berufung der Sparkasse für aussichtslos.
Kreditvertrag 2: Kein Einlenken – wieder positives Urteil
Herbertz dachte: Den Widerruf des zweiten Kreditvertrags werde die Sparkasse ja jetzt wohl akzeptieren. Er irrte sich. Trotz des rechtskräftigen Urteils zu dem einen Vertrag verweigerte die Sparkasse auch die Rückabwicklung des zweiten Vertrags. Erneut zog Rechtsanwalt Dr. Christof Lehnen für Herbertz vor Gericht, erneut gewann er. Er profitiert jetzt nicht nur von den gesunkenen Zinsen, sondern erhält auch im Zuge der Rückabwicklung der Verträge noch Geld. Für den ersten Kredit, über den bereits rechtskräftig entschieden ist, muss die Sparkasse Nutzungen in Höhe von genau 22 173,19 Euro herausgeben. Das Urteil zur Rückabwicklung des zweiten Vertrags ist noch nicht rechtskräftig. Herbertz Anwalt schätzt: Die Sparkasse muss seinem Mandanten weitere 25 000 Euro zahlen. Das erste Darlehen hat Herbertz inzwischen getilgt. Für die beim zweiten Vertrag noch offene Restschuld zahlt er jetzt nur noch einen Zinssatz von 1,5 statt zuvor 4,8 Prozent und spart auf diese Weise noch einmal Tausende von Euro.
Verhandlungen waren Zeitverschwendung
Noch ist Jörg Herbertz Kunde der Sparkasse Trier. Doch jetzt will der Unternehmer wechseln. Hauptärgernis: „Das Verhalten der Sparkasse war vor allem höchst unprofessionell“, sagt er. Ihn ärgerte vor allem, dass die Sparkasse zwar mit ihm und seinem Anwalt stundenlang über den Kreditwiderruf sprach, aber gar nicht ernsthaft an einem vernünftigen Kompromiss interessiert war. Der Sparkassenanwalt schrieb am Ende an Herbertz: „Wir teilen nach Rücksprache mit unserer Mandantin mit, dass ein eigenständiger Vergleichsvorschlag von unserer Mandantin nicht unterbreitet wird“. Mit anderen Worten: Die Verhandlungen waren Zeitverschwendung.
Banken und Sparkassen unter Druck
Bisher ist das die Regel: Banken oder Sparkassen wiegeln ab, wenn Kunden ihren Vertrag wegen fehlerhafter Belehrung widerrufen. Auch wenn Kunden einen Rechtsanwalt einschalten, machen viele Unternehmen genau wie die Sparkasse Trier keine akzeptablen Kompromissangebote. Die Branche will ihren Kunden den Widerruf offensichtlich so schwer wie möglich machen. Die Bänker hoffen, dass Kunden den Gang zum Rechtsanwalt und zum Gericht trotz der oft eindeutigen Rechtslage scheuen. Doch viele Kreditnehmer lassen sich nicht abwimmeln. Allein die test.de-Liste mit Urteilen und Vergleichen führt inzwischen über 1 000 Fälle auf, in denen Kreditnehmer ihren Widerruf ganz oder teilweise durchgesetzt haben.
Ende des ewigen Widerrufsrechts
Für von 2. November 2002 bis 10. Juni 2010 abgeschlossene Kreditverträge mit Fehlern in der Widerrufsbelehrung geht der Streit in den Schlussspurt. Am Dienstag, 21. Juni, um 24.00 Uhr erlischt das bisher ewige Widerrufsrecht für solche Verträge. Das hat der Bundestag auf Wunsch der Banken und Sparkassen beschlossen. Wer jetzt noch widerrufen will, muss sich sputen. Spätestens am Tag des Erlöschens des Widerrufsrechts muss das Schreiben, die E-Mail oder das Fax mit der Widerrufserklärung beim Kreditinstitut eingehen.
Bald schnellere Erfolge?
Rechtsanwälte und Verbraucherschützer vermuten: Nach dem Erlöschen des Widerrufsrechts bei Millionen von alten Kreditverträgen am Dienstag, 21. Juni, werden Banken und Sparkassen ihre Linie ändern und versuchen, bis dahin widerrufene Verträge so schnell und so kostengünstig wie möglich abzuwickeln. Klar: Davon kann nur profitieren, wer es schafft, seinen Vertrag zu widerrufen, bevor das Recht dazu erloschen ist.
Landgericht Trier, Urteil vom 28.10.2014
Aktenzeichen: 6 O 217/14
Oberlandesgericht Koblenz, (Hinweis-)Beschluss vom 19.06.2015
Aktenzeichen: 8 U 1368/14
Landgericht Trier, Urteil vom 02.02.2016
Aktenzeichen: 6 O 159/15 (nicht rechtskräftig)
Klägervertreter jeweils: Dr. Lehnen & Sinnig Rechtsanwälte, Trier
Alles, was Sie über den Kreditwiderruf wissen müssen: So kommen Sie aus teuren Kreditverträgen raus
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Machen wir uns doch nichts vor: Natürlich geht es den Kreditnehmern darum, mit dem Widerruf eines Darlehens Geld zu sparen. Und natürlich gäbe es das Thema nicht, wenn die Zinsen nicht so massiv gefallen wären.
Aber die Moralkeule zu zücken und zu behaupten, die Banken würden so etwas nicht tun, halte ich für verfehlt. Schauen Sie sich doch die Diskussion um die Kündigung der hochverzinsten Bausparverträge durch die Banken an. Dort nutzen die Kreditinstitute einen rechtlichen Graubereich zu ihren Gunsten aus. Das ist quasi der "umgekehrte Widerrufsjoker", bei dem die Banken Verträge loswerden wollen, die ihnen aufgrund der Zinsentwicklung weh tun.
Warum sollten sich die Verbraucher also anders verhalten? Wir bei der "Interessengemeinschaft Widerruf" sind weit davon entfernt zu, behaupten, dass die Kreditnehmer durch die fehlerhaften Widerrufsbelehrung in Darlehen geschädigt oder gar betrogen wurden. Aber wenn es die Möglichkeit zum Widerruf gibt - warum sollte man sie nicht nutzen?
Da gibt es durchaus Spielraum für die Richter, wie ja auch unterschiedliche Urteile zu diversen Themen beweisen. Sinn und Zweck sollten allerdings immer mit reinspielen, Gefühle und Emotionen nicht.
Egal, wir haben unterschiedliche Ansichten. Ich finde es ein Ausnutzen von vorgeschobenen Argumenten, diesmal aus Sicht der Verbraucher (die ja oft genug die "Doofen" sind). In diesem Sinne, vielen Dank für ihre (wertvolle) Arbeit, auch wenn wir hier andere Standpunkte vertreten.
Die Richterinnen und Richter, die Kreditwiderrufsfälle zu bearbeiten haben, verhahlten sich aus meiner Sicht überwiegend korrekt. Die gesetzlichen Regeln sind eindeutig. Sie sind so wie überwiegend praktiziert anzuwenden, obwohl das Widerrufsrecht einen ganz anderen Zweck hatte, als Verbrauchern zu ermöglichen, sich Jahre nach Vertragsschluss vom Vertrag lösen zu dürfen. Das Gesetz mit Überlegungen zum Sinn und Zweck oder mit Rücksicht auf Treu und Glauben nicht anzuwenden oder Korrekturen vorzunehmen, verbietet sich für Richter.
Ich kritisiere hier eher die Justiz. Denn was ist denn Sinn und Zweck einer Widerrufsbelehrung?
Der Verbraucher soll bei so bedeutenden Entscheidungen wie dem Entschluss, einen Kredit aufzunehmen, eine gewisse Nachdenkfrist erhalten und eine womöglich situativ getroffene und vielleicht voreilige Entscheidung durch einen Widerruf noch zurücknehmen können, bevor er anschließend über viele Jahre lang gebunden ist. Das Widerrufsrecht wurde allerdings nicht eingeführt, um Verbrauchern in Zeiten günstiger Zinsen die Möglichkeit zu geben, sich von der vertraglich vereinbarten Zinslast zu befreien.
Die Gerichte hätten ja auch ein paar Monate Widerrufszeit oben drauf geben können. Aber unendlich? Entweder ich schließe einen Vertrag und halte mich daran oder eben nicht. Eine gewisse Nachdenkzeit ist ok, daher die 14 - Tage. Es gibt wichtigere Themen für den Verbraucherschutz: Warum lassen die Gerichte unfaire Werkverträge zu? Oder unlautere Werbung (Zucker in Kinderlebensmittel)? Etc.
Sie haben völlig recht: Motiv für den Widerruf ist es, Geld zu kassieren oder einzusparen. Das machen die Verbraucherschutzregeln möglich. Das bei unzureichender Widerrufsbelehrung in die Ewigkeit ausgedehnte Widerrufsrecht sollte dafür sorgen, dass Banken und Sparkassen ihre Kunden korrekt informieren. Das hat - aus welchen Gründen auch immer - nicht geklappt. Mit den Rechtsfolgen müssen Banken und Sparkassen jetzt leben. Ich sehe keinen Grund, wieso Verbraucher sich nicht auf die für sie günstige Rechtslage berufen sollten. Das als "scheinheilig" zu bewerten, halte ich für unpassend.