
Professor Dr. Hans-Joachim Kanzler, Vorsitzender Richter beim Bundesfinanzhof, zur neuen Rechtsprechung, die Steuerzahlern den Nachweis von Krankheitskosten erleichtert.
Welche Folgen hat die neue Rechtsprechung bei der Steuererklärung?
Kanzler: Das Finanzamt darf keine amts- oder vertrauensärztlichen Gutachten mehr fordern. Es muss sich an die Beweisregeln der Abgabenordnung halten. Danach kann es Auskünfte einfordern, Zeugen hören oder Sachverständige einschalten. Natürlich kann der Steuerzahler weiter ein amts- oder vertrauensärztliches Gutachten vorlegen. Er ist aber keinesfalls dazu verpflichtet. Den Nachweis, dass Kosten zwangsläufig entstanden sind, kann er auch auf andere Art erbringen.
Wie kommt es nach fast 30 Jahren zu dem Richtungswechsel beim Bundesfinanzhof?
Kanzler: Jahrzehntelang war der Dritte Senat für die außergewöhnlichen Belastungen und damit auch für Krankheitskosten zuständig. Erst seit 2009 entscheidet mein Senat darüber. Seitdem gibt es die neue Rechtsprechung.
... und warum?
Kanzler: Weil es für die strenge Nachweispflicht keine Grundlage im Gesetz gibt. Sie ist vom Dritten Senat in Einzelfällen gefordert und von der Finanzverwaltung wie ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal angewandt worden. Eine solche Rechtsanwendung verstößt gegen die Verfassung, denn Gesetze werden weder von der Finanzverwaltung noch den Gerichten, sondern allein vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Alles andere wäre als Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz verfassungswidrig.
Was ist, wenn das Finanzamt an der alten Rechtsprechung festhält?
Kanzler: Dann sollte man Einspruch einlegen und das Ruhen des Verfahrens beantragen. Lässt sich das Finanzamt auch später nicht auf die neuen Urteile ein, bleibt nur der Klageweg.
Darf die Verwaltung Ihre Rechtsprechung außer Acht lassen?
Kanzler: Grundsätzlich halte ich das für zulässig. Es könnte ja sein, dass die Verwaltung neue überzeugende Argumente für ihre Sichtweise liefert. Ist dies jedoch nicht der Fall, besteht kein Grund, die Urteile zu ignorieren.
Was ist, wenn das geplante Steuervereinfachungsgesetz das amts- oder vertrauensärztliche Gutachten wieder bringt?
Kanzler: Die Einführung ist allenfalls zulässig für Aufwendungen, die Steuerzahler nach dem 6. Juni 2011 getätigt haben. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Nachweiserfordernis in das Gesetzgebungsverfahren eingeführt. Bis dahin konnten die Steuerzahler auf die Rechtsprechung vertrauen. Sie können sich darauf berufen und davon profitieren.
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