
Steuerzahler sollten ab sofort alle Kosten für die medizinische Versorgung beim Finanzamt abrechnen. Der Bundesfinanzhof muss entscheiden, ob Krankheitskosten ab dem ersten Euro zählen.
Ob Ausgaben für ein Zahnimplantat, die Physiotherapie, eine Kur oder Medikamente – nicht nur, wer hohe Kosten durch Krankheiten hat, sollte sie in der Steuererklärung abrechnen. Auch Kosten, die unter der heutigen Grenze für den Eigenanteil des Steuerzahlers liegen, könnten bald steuermindernd wirken.
Zwei Verfahren sind beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängig (Az. VI R 32/13 und VI R 33/13). In beiden geht es um die Frage, ob es verfassungswidrig ist, dass das Finanzamt die Krankheitskosten der Steuerzahler um eine „zumutbare Belastung“ kürzt und nur Beträge über der Grenze anerkennt Zumutbare Belastung. Der eine Kläger will gut 1 240 Euro ungekürzt als außergewöhnliche Belastung abrechnen – unter anderem für Krankenhausaufenthalte und Medikamente (Az. VI R 32/13). Der andere streitet mit dem Finanzamt um rund 170 Euro für Medikamente und Praxisgebühren (Az. VI R 33/13).
Gleichheitsgrundsatz verletzt
Rückendeckung bekommen die Kläger vom Bundesverband der Lohnsteuerhilfevereine (BDL). Der Geschäftsführer des BDL, Erich Nöll, beschreibt die aktuelle Regelung als zumindest teilweise verfassungswidrig: „Wir vertreten die Auffassung, dass bestimmte Krankheitskosten – wie die Zuzahlungen zu Medikamenten oder der Eigenanteil für Zahnersatz – vollständig, also ohne Kürzung um die zumutbare Belastung, als außergewöhnliche Belastung steuerlich abziehbar sein müssen.“
Nölls Maßstab ist die medizinische Versorgung, die Sozialhilfeempfänger bezahlt bekommen. Alles was dazu zähle, müssten Steuerzahler absetzen können, wenn sie einen Teil davon bezahlt hätten. Sonst sei der Gleichheitsgrundsatz verletzt.
Steuerbescheide bleiben vorerst offen
Der aktuelle Streit betrifft so viele Menschen, dass die Finanzämter mittlerweile angehalten sind, die Steuerbescheide in diesem Punkt automatisch offenzulassen.
„Wir raten allen Steuerzahlern, sämtliche Ausgaben, die als außergewöhnliche Belastungen infrage kommen, in der Steuererklärung geltend zu machen“, sagt Uwe Rauhöft vom Neuen Verband der Lohnsteuerhilfevereine. „Auch solche, die nach aktueller Rechtslage keine Steuerersparnis bringen.“
Nach Rauhöfts Ansicht hat es allerdings keinen Sinn, jedes selbstgekaufte Pflaster anzugeben: „Krankheitskosten, deren Zwangsläufigkeit nicht belegt ist, scheiden steuerrechtlich aus.“ Das gelte zum Beispiel für Medikamente ohne Rezept und die Ausgaben für die Zahnreinigung.
Diese Ausgaben sind wichtig


Falls die Münchener Richter zugunsten der Steuerzahler entscheiden, müssen die Finanzämter zu viel bezahlte Steuern erstatten. Und zwar rückwirkend für alle noch offenen Steuerbescheide.
Doch nur wer seine Kosten in der Steuererklärung geltend gemacht hat, kann dann profitieren.
Auch wenn nicht jede selbstgekaufte Kopfschmerztablette zählt – Krankheitskosten im steuerlichen Sinn hat fast jeder. Sie reichen von ein paar Euro für Fahrtkosten zum Arzt bis zu mehreren tausend Euro für ein Zahnimplantat oder eine künstlichen Befruchtung. Je nach Art der Ausgaben verlangt das Finanzamt unterschiedliche Belege für die Notwendigkeit und Höhe der Ausgaben.
Fahrtkosten. Für Fahrten zum Arzt, zum Therapeuten oder zur Apotheke zählen die Ausgaben für öffentliche Verkehrsmittel oder bei Fahrten mit dem Auto 30 Cent je Kilometer des Hin- und Rückwegs. Ist es unzumutbar öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen und kein eigener Pkw vorhanden, können auch Kosten für ein Taxi zählen.
Arznei, Verbandmaterial. Sobald der Patient ein Rezept hat, sollte er seine Ausgaben in der Steuererklärung angeben. Er muss dem Finanzamt die Originalquittungen über den Kaufpreis oder seine Zuzahlungen vorlegen können. Eine Ausnahme gilt für die Verhütungspille für die Frau. Die Kosten werden steuerlich nicht anerkannt, obwohl sie verschreibungspflichtig ist.
Für Medikamente, die kein Arzt verschrieben hat, gibt es keine Steuerersparnis.
Therapie. Für die Zuzahlung zur Physiotherapie reicht das Rezept des Arztes als Nachweis. Bei Logopädie oder Psychotherapie verlangt das Finanzamt ein amtsärztliches Attest, das die medizinische Notwendigkeit bestätigt. Das Schreiben muss vor Behandlungsbeginn ausgestellt sein. Auch Ausgaben für den Heilpraktiker zählen.
Bei wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden können Steuerzahler versuchen, den besonderen Nachweis der medizinischen Notwendigkeit zu erbringen. Die Richter am Bundesfinanzhof müssen in einem aktuellen Verfahren beispielsweise klären, ob für eine Bewegungstherapie (Heileurythmie) ein amtsärztliches Gutachten vorgelegt werden muss oder welcher Nachweis stattdessen erbracht werden kann (Az. VI R 27/13).

Zähne. Selbstgetragene Kosten an Zahnersatz wie Implantaten zählen und sind mit Rechnungen zu belegen. Vorsorgliche Behandlungen wie eine Zahnreinigung zählen bislang nicht. Der medizinische Nutzen und damit die Zwangsläufigkeit sind noch umstritten, obwohl viele Krankenkassen die Zahnreinigung bezuschussen oder sogar ganz bezahlen. Mehr dazu finden Sie in unserem Produktfinder Gesetzliche Krankenkasse.
Künstliche Befruchtung. Kosten für die künstliche Befruchtung zählen, soweit die Krankenversicherung sie nicht trägt. Oft geht es um viele tausend Euro Die Unfruchtbarkeit muss zuvor ein Arzt feststellen. Einzelne gesetzliche Kassen bezahlen die künstliche Befruchtung aber voll, andere zahlen erhöhte Zuschüsse. Weitere Informationen im Produktfinder Gesetzliche Krankenkasse.
Brille, Kontaktlinsen. Als Beleg für die Kosten einer Brille reicht eine ärztliche Bescheinigung. Steuerzahler sollten alle selbstgetragenen Kosten angeben, egal ob sie ein Kassengestell wählen oder nicht. Auch die Ausgaben für Augenoperationen mit Laser sind abziehbar.
Reha, Kur. Als Nachweis über Zuzahlungen zu einer Kur oder Reha verlangt das Finanzamt die Quittung und ein amtsärztliches Attest über die Notwendigkeit.
Hilfsmittel. Bei Zuzahlungen für Hilfsmittel wie Rollstühle, Einlagen, Hörgeräte, Prothesen reicht der Nachweis per Kaufquittung und ärztlicher Bescheinigung.
Ausgaben für vorbeugende Behandlungen zählen nie. Das Finanzamt erkennt nur „unmittelbare“ Krankheitskosten an. Das sind Ausgaben für die Heilung einer Krankheit oder die Linderung von Folgen.
Keine Chance bei den Finanzbeamten haben Kosten für Schönheitsoperationen aus kosmetischen Gründen oder für die Pilgerfahrt nach Lourdes.
Erstmals Zweifel an der Rechtslage
Bislang hatten Finanzgerichte und Bundesfinanzhof keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die zumutbare Belastung des Steuerzahlers geäußert. Auch diesmal hätte der Bundesfinanzhof die Nichtzulassungsbeschwerden der Kläger einfach ablehnen können. Von Spekulationen über den Ausgang der Verfahren hält Isabel Klocke vom Bund der Steuerzahler allerdings nichts:
„Es ist ein gutes Zeichen, dass die Nichtzulassungsbeschwerden zugelassen wurden – aber in der Sache ist es keineswegs eine Vorentscheidung. In jedem Fall ist es die Chance, dass die Sache weiter ausgeurteilt wird und eventuell auch bis zum Bundesverfassungsgericht getragen wird.“
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