Versicherte können sich gegen Entscheidungen ihrer gesetzlichen Kranken- oder Pflegekasse mit einem Widerspruch wehren. Das ist kostenlos – und oft erfolgreich, wie die Fälle einiger unserer Leser zeigen.
Wenn die Kasse nicht zahlen will

„Die Kasse zahlte fast 8 000 Euro“, Adolf Schmitz ließ sich ein neues Kniegelenk in einer Spezialklinik einsetzen. Die Kasse musste zahlen, weil sie verspätet auf seinen Antrag reagiert hatte.
Adolf Schmitz aus Euskirchen ist glücklich mit seinem künstlichen Kniegelenk. „Schon eine Woche nach der Operation war es schmerzfrei und voll belastbar.“ Und er hat durchgesetzt, dass seine Krankenkasse sich mit 7 800 Euro an den Kosten beteiligt. Die Rechnung über rund 11 500 Euro der privaten Spezialklinik, in der er sich hat operieren lassen, wollte die Kasse zunächst nicht übernehmen. Mit der Klinik besteht kein Vertrag.
Kasse muss sich binnen drei Wochen äußern
Vor der Operation hatte Schmitz wochenlang keine Antwort auf den Kostenvoranschlag erhalten, den er eingesandt hatte. Während der Reha kam dann die Ablehnung. Der 77-Jährige legte sofort Widerspruch ein. „In Finanztest hatte ich gelesen, dass Anträge als bewilligt gelten, wenn die Kasse nicht innerhalb von drei Wochen die Kostenübernahme schriftlich ablehnt.“ Diese gesetzliche Regelung wurde 2013 mit dem Patientenrechtegesetz eingeführt. Sie soll Versicherten helfen, schneller zu ihren medizinischen Leistungen zu kommen. Auch im Fall einer Ablehnung sind Kassenmitglieder nicht rechtlos. Sie können Widerspruch einlegen. Wie sie vorgehen sollten, lesen Sie in unserem Special Gesetzliche Krankenversicherung.
Widersprüche oft erfolgreich
Oft geht der Widerspruch – wie bei Adolf Schmitz – erfolgreich aus. Er ist einer der rund 70 gesetzlich Versicherten, die uns ihre Erfahrungen schilderten. Im März baten wir unsere Leser, uns mitzuteilen, ob sie schon einmal Ärger mit der Kasse hatten. Die meisten Leistungen der Krankenkasse müssen Versicherte gar nicht beantragen. Sie gehen mit ihrer Chipkarte zum Arzt und haben mit der Abrechnung nichts zu tun. Probleme kann es geben, wenn die Kasse eine Leistung erst genehmigen muss, wie eine Reha, oder wenn der Versicherte etwas anderes braucht als die vorgesehene Standardversorgung, zum Beispiel ein teureres Hörgerät.
Versicherte haben einen Monat Zeit
Lehnt die Kasse die Kostenübernahme ab, haben Versicherte das Recht zu widersprechen. Sie müssen aber innerhalb eines Monats reagieren. Das sollten sie unbedingt wahrnehmen, schreibt die AOK Bayern sogar in ihrer Mitgliederzeitschrift. Ehrenamtliche Versichertenvertreter sollen kassenintern für die Rechte der Kunden eintreten.
Worum es häufig Streit gibt
Zum Streit kommt es häufig bei diesen Themen:
- Hilfsmittel wie Rollstühle oder Hörgeräte
- Rehabilitation
- Pflege und Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit.
Das bestätigt auch Cornelia Jurrmann vom Sozialverband VdK, der Versicherte berät und rechtlich vertritt. „Bei Pflege geht es meist um die korrekte Einstufung. Patienten, die Krankengeld beziehen, kommen zu uns, wenn ihre Kasse sie nach Aktenlage gesundschreibt und die Zahlung stoppt.“
Gutachter geben eine Empfehlung
Die Kassen berufen sich bei Ablehnungen oft auf den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Bei den Versicherten entsteht so der Eindruck, als müsse die Kasse befolgen, was der MDK sagt. „Das stimmt nicht“, sagt Michaela Gehms vom Medizinischen Dienst des GKV-Spitzenverbandes der Krankenkassen. „Die MDK-Gutachter geben eine Empfehlung ab. Die Kasse ist daran nicht gebunden und kann in begründeten Fällen davon abweichen.“
Das MDK-Gutachten anfordern
Wenn die Kasse einen Antrag ablehnt, sollten Versicherte sofort das MDK-Gutachten anfordern. Sie haben ein Recht auf Akteneinsicht. Das Gutachten kann ihnen wichtige Anhaltspunkte liefern, um den Widerspruch zu begründen. „Eine Begutachtung in oft nur 15 Minuten wird der Situation der Betroffenen meist nicht gerecht“, berichtet Berufsbetreuerin Christiane Natusch. Sie nimmt die Angelegenheiten von Personen wahr, die sich nicht mehr selbst vertreten können. Wichtig ist nach ihrer Meinung, selbstbewusst aufzutreten und Rechtskenntnis zu signalisieren: „Angst vor Repressalien braucht niemand zu haben, nach meiner Erfahrung ist das noch nie vorgekommen.“
„Man muss alles schriftlich machen“

„So kann ich besser leben“, Mit dem Trippelstuhl bewegt sich die blinde und gehbehinderte Traudel David in ihrer Wohnung. Die Kasse bezahlte ihn erst, als David deutlich machte, dass sie auch vor Gericht gehen würde.
Die 70-jährige Traudel David kann das bestätigen. Sie ist geübt im Kämpfen um Leistungen. Sie ist seit Geburt blind und seit vielen Jahren gehbehindert. Sie legt Wert auf Eigenständigkeit und kommt gut zurecht. Zuletzt beantragte sie einen Trippelstuhl, um in der Wohnung mobil zu sein. Am Telefon schlug ihr jemand von der Kasse vor, ein Toilettenstuhl würde den Zweck auch erfüllen. Traudel David legte Widerspruch ein. „Man muss alles schriftlich machen“, sagt sie. „Was Mitarbeiter der Kasse am Telefon erzählen, ist oft Blödsinn.“ Ein Toilettenstuhl ist ungeeignet, um dauerhaft darauf zu sitzen. Der Hilfsmittellieferant besorgte ihr leihweise einen Trippelstuhl. Die Kasse lenkte erst ein, als Traudel David erwähnte, sie sei bereit, den Fall vor Gericht zu bringen. Vier Tage später erhielt sie die Zusage über 1 750 Euro für den Stuhl. Wenn die Kasse nach einem Widerspruch nicht einlenkt, geht die Sache in den Widerspruchsausschuss. Das dauert oft lange, und am Ende fällt häufig eine Entscheidung im Sinne der Kasse.
Ablehnung im Akkord
Die Ausschüsse arbeiten geradezu im Akkord. Etwa 260 Fälle behandeln beispielsweise die fünf Widerspruchsausschüsse der Techniker Krankenkasse (TK) in jeder Sitzung. Bleibt da genug Zeit, sich mit den Argumenten der Versicherten und den eingereichten Unterlagen zu befassen? Ja, sagt Daniel Burgstaler von der TK. „Es gibt immer Standardsituationen, wo es keinen Handlungsspielraum gibt, da das Gesetz eindeutig ist, und auf der anderen Seite die komplexen Fälle. Durch die Erfahrungen der Ehrenamtlichen und gute Vorbereitung ist für komplexe Fälle genügend Beratungszeit in den Widerspruchsausschüssen eingeplant.“ Ein Insider einer anderen Kasse schrieb uns dagegen: „Es ist Praxis, die Fälle im Block abzuarbeiten, also 20 Fälle zu Fahrtkosten, zehn Fälle zu Heilmitteln und so weiter. Das ist meist mit Ablehnung verbunden.“ Die Chancen stehen gut, vor Gericht doch noch Recht zu bekommen. Die Richter müssen jeden Fall genau prüfen, und sie können auch selbst Gutachten einholen.
Wenn die Kasse mauert oder trödelt
In etlichen Zuschriften teilen unsere Leser mit, dass sich Vorgänge bei ihrer Kasse über Monate hinziehen. Das muss man nicht hinnehmen, erläutert Rechtsanwältin Silke Möhring, die für die Verbraucherzentrale Hessen Kunden berät. „Entscheidet die Kasse nicht innerhalb von drei Monaten über einen Widerspruch, ohne dass es berechtigte Gründe gibt, kann Untätigkeitsklage beim Sozialgericht erhoben werden.“
Gründe der Dringlichkeit
Auch Gerichtsverfahren dauern lange. Wenn Eile geboten ist, können Gerichte aber eine einstweilige Anordnung treffen. Gründe der Dringlichkeit liegen zum Beispiel vor, wenn es für jemanden aus medizinischer Sicht nicht zumutbar ist, auf das Hauptverfahren zu warten, und gesundheitliche Schäden zu erwarten sind.