Entlassmanagement. Oft werden Patientinnen und Patienten ohne die nötige Unterstützung entlassen. Sie sollten daher die eigenen Rechte kennen und sich notfalls selbst helfen können.
Kliniken und Reha-Einrichtungen müssen sich von Gesetzes wegen um die Anschlussbehandlungen ihrer Patienten kümmern. Das tun längst nicht alle. Die Gesundheitsexperten der Stiftung Warentest sagen, wozu Krankenhäuser verpflichtet sind und was Patienten selbst tun können.
Kopfschmerzen und starke Sehstörungen nach einem Fahrradsturz brachten Louis S. für zwei Nächte in ein Berliner Krankenhaus. Während des Aufenthalts im Juli 2020 bat der Student um eine Krankschreibung für seinen Job an der Uni. Das sei nicht möglich, hörte er. Seine Hausärztin sollte ihm die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen und auch seinen aktuell zu hohen Blutdruck überwachen.
Kliniken müssen sich um Anschlussbehandlungen kümmern
Immer wieder kommt es vor, dass Krankenhauspersonal wenig Fürsorge für ihre Patienten nach einem stationären Aufenthalt aufbringt. Dabei sind Kliniken gesetzlich verpflichtet, sämtliche Anschlussbehandlungen in die Wege zu leiten, Atteste auszustellen und etwa die Unterbringung in einem Pflegeheim zu organisieren oder auch Hilfe im Haushalt (Wozu das Krankenhaus verpflichtet ist).
Häufige Beschwerden
„Entlassmanagement“ so lautet der sperrige Begriff zu der Rechtslage, die 2015 im Sozialgesetzbuch (SGV 5) verankert wurde. In der Praxis werden Patientinnen und Patienten nicht selten ohne die nötige Unterstützung entlassen. Deshalb ist es wichtig, die eigenen Rechte gegenüber der behandelnden Klinik zu kennen und sich notfalls selbst zu helfen.
Bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland erfolgten 2019 insgesamt 602 Beratungen zum Thema Entlassmanagement. Was wird am häufigsten beklagt? Ohne zu zögern sagt Anja Lehmann, juristische Beraterin der Organisation: „Dass überhaupt kein Entlassmanagement stattfindet.“ So wie bei Louis S.
Unterstützung kam von der Familie
Nach der Entlassung ging es dem Studenten so schlecht, dass er nicht in der Lage war, sich um eine Krankschreibung zu kümmern. „Mit öffentlichen Verkehrsmitteln in eine Arztpraxis zu fahren – das hätte ich gar nicht gekonnt“, erzählt Louis S. Hilfe bekam er von seinem privaten Umfeld: Seine Mutter organisierte zusammen mit ihm die Versorgung nach dem Klinikaufenthalt. Ein befreundeter Medizinstudent kam mehrmals täglich zum Blutdruckmessen vorbei und sein Vater, Landarzt in Brandenburg, verordnete Schmerzmittel und lieferte im Nachhinein die benötigte Krankschreibung.
Nur wenige kennen ihre Rechte
Nicht alle Patienten können auf solch ein funktionierendes Netzwerk zählen. Das soll eigentlich das Gesetz absichern. „Die Rechtslage ist eindeutig: Krankenhäuser müssen bei Bedarf eine lückenlose Anschlussversorgung ihrer Patienten veranlassen“, sagt die Juristin Anja Lehmann. Diese haben das Recht, noch während ihres Klinikaufenthalts unter anderem eine Krankschreibung und die Verordnung von Medikamenten zu verlangen. Allerdings sei das Wissen über Patientenrechte in der Bevölkerung gering. Auch die Stationsärzte wüssten oftmals nicht, dass die Klinik zum Entlassmanagement verpflichtet ist.
Patientenfürsprecher einschalten
Im akuten Fall empfiehlt Lehmann, auf notwendige Verordnungen oder Atteste zu beharren. Hilft das nicht, seien Patientenfürsprecher wichtige Ansprechpartner (Was Sie selbst tun können). Ist ein Mensch durch Krankheit oder Unfall pflegebedürftig geworden, wendet man sich am besten an die Sozialdienste der Kliniken.
„Ein Problem ist, dass die Krankenhäuser die gesetzlichen Vorgaben für Entlassmanagement unterschiedlich interpretieren und umsetzen“, sagt Barbara Rudolph vom Pflegestützpunkt Berlin-Spandau. Die Sozialarbeiterin hat beruflich tagtäglich mit hilfsbedürftigen Menschen zu tun, die ohne entsprechende Vorbereitung vom Krankenhaus nach Hause entlassen werden. „Oft schätzen Ärzte den Hilfsbedarf ganz anders ein, als es die Patienten selbst und ihre Angehörigen tun. Das kann zu dramatischen Situationen führen.“
Plötzliche Aggressionen
So war es bei der mittlerweile 79-jährigen Anneliese Liebert aus Waiblingen, die vor drei Jahren mehrere Wochen wegen epileptischer Anfälle, einer Lungenentzündung und zwei Schlaganfällen im Krankenhaus verbracht hatte. „Um 10:30 Uhr wurden wir unvermittelt von der Station benachrichtigt, dass meine Mutter entlassen wird. Um 13 Uhr fuhr dann der Krankenwagen mit ihr bei uns vor“, berichtet ihre Tochter Sabine Carstens-Liebert. „Sie war hochgradig verwirrt. Obwohl sie zuvor niemals aggressiv gewesen war, ging sie plötzlich mit Gehstützen auf uns los.“
Das Zusammenleben war unerträglich. Sabine Carstens-Liebert, selbst gelernte Krankenschwester, ließ ihre Mutter schließlich in eine psychiatrische Klinik einweisen. Dort stellten die Ärztinnen und Ärzte fest, dass der Gesundheitszustand der Mutter durch ein Delir bedingt war – eine durch die schweren Erkrankungen verursachte momentane geistige Verwirrung.
Als Anneliese Liebert später erneut entlassen wurde, ging es ihr weitaus besser. Und ihre Familie hatte Zeit gehabt, die Pflege zu organisieren. Mittlerweile lebt die alte Dame wieder zu Hause, sie wird von Sabine Carstens-Liebert und deren Geschwistern gepflegt und betreut. Ein geregelter Alltag ist wieder möglich.
Es ist wichtig, dass Sie Ihre Patientenrechte kennen. So können Sie die Zeit nach dem Klinikaufenthalt mitgestalten und im besten Fall auch Ihre Heilung beschleunigen.
Forderungen. Sie benötigen Medikamente für die Tage nach der Entlassung oder eine Krankschreibung für Ihren Arbeitgeber? Sprechen Sie das gegenüber Ärzten oder dem Pflegepersonal an. Wird Ihr Anliegen verweigert, bitten Sie um ein Gespräch mit einem leitenden Arzt oder der Pflegedienstleitung der Station.
Patientenfürsprecher. Wenn Sie mit Beschwerden auf Ihrer Station nicht weiterkommen, können Sie sich an einen unabhängigen Patientenfürsprecher wenden. Diese Ehrenamtlichen nehmen Ihre Wünsche oder Kritik entgegen und vermitteln, wenn nötig, auch zwischen Ihnen und dem Krankenhaus. Ihr Einsatz wird über die Landeskrankenhausgesetze geregelt. In Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen, dem Saarland und Berlin muss jede Klinik einen unabhängigen Patientenfürsprecher haben.
Sozialdienste. Geht es darum, Pflege für sich oder Ihre Angehörigen zu organisieren, wenden Sie sich an die Sozialdienste der Krankenhäuser. Diese müssen die häusliche Pflege oder die Unterbringung in Pflegeheimen in die Wege leiten.
Beratung. Sollten Sie in Bezug auf Pflegebedarf mit den Verordnungen der Ärzte oder der Arbeit des Sozialdiensts nicht einverstanden sein, können Sie Rat bei Ihrer örtlichen Pflegeberatungsstelle oder beim Pflegestützpunkt einholen. Die Mitarbeiter dort sind Profis und können helfen, wenn die Überleitung in die ambulante Pflege oder in ein Heim nicht funktioniert.
Das müssen Kliniken und Reha-Einrichtungen für ihre Patienten tun
Behandelnde Krankenhäuser müssen für ihre Patienten eine lückenlose Anschlussversorgung koordinieren und organisieren. Dazu gehören folgende Punkte:
Weiterbehandlung. Haus- und Fachärzte übernehmen die Weiterbehandlung der Krankenhauspatienten. Haben diese keinen Haus- oder Facharzt, helfen die Sozialstationen bei der Vermittlung. Patienten erhalten am Tag ihrer Entlassung einen Entlassbrief mit Informationen zur Weiterbehandlung. In diesem Schreiben muss die Telefonnummer des zuständigen Ansprechpartners der Klinik stehen.
Pflege zu Hause. Sozialdienste vermitteln ambulante Pflege, die etwa die Wundversorgung oder Grundpflege übernimmt. Auch Ergo- und Physiotherapeuten können vermittelt werden. Die Sozialdienste nehmen zudem Kontakt zu Pflegekassen auf und können Hilfsmittel wie Rollatoren oder Rollstühle anfordern sowie den Kontakt zu Sanitätshäusern herstellen.
Unterbringung. Bei Pflegebedürftigen, die nicht mehr alleine leben können, müssen die Sozialdienste einen Platz im Pflegeheim organisieren.
Krankschreibungen. Krankenhausärzte können Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für einen Zeitraum von bis zu sieben Tagen ausstellen.
Medikamente. Klinikengeben oder verordnen Arzneimittel regulär in der kleinsten Packungsgröße. Nur zurzeit, während der Corona-Pandemie, dürfen sie auch größere Packungen herausgegeben.
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