
Die Passionsspiele Oberammergau mussten 2020 wegen Corona abgesagt werden. Aufführungen soll es erst 2022 wieder geben.
Besuchern wird nach coronabedingten Konzertabsagen die Erstattung der Vorverkaufsgebühr verweigert. Das ist wohl rechtswidrig. Warum Ticketkäufer es in der Praxis dennoch schwer haben dürften, an ihr Geld zu kommen, erläutert die Stiftung Warentest anhand eines aktuellen Falls.
Passionsspiele abgesagt
Schon lange will Michael Spieler aus Bückeburg in Niedersachsen einmal die Oberammergauer Passionsspiele erleben. Im August 2020 hätte es soweit sein sollen. Spieler hatte im vergangenen Jahr Eintrittskarten und Hotel für vier Personen bei der Passionsspiele Oberammergau Vertriebs GmbH & Co. KG gebucht. Die Vertriebs-KG kümmert sich für den Veranstalter – die Gemeinde Oberammergau – um Vermarktung und Verkauf der Eintrittskarten. Für die vier Tickets bezahlte Michael Spieler 720 Euro zuzüglich 86,40 Euro Vorverkaufsgebühr.
Gutschein statt Bargeld
Die Passionsspiele 2020 wurden jedoch wegen Corona abgesagt. Die Hotelkosten und die 720 Euro bekommt Spieler im April 2020 komplikationslos zurück. Aber die Vorverkaufsgebühr nicht. Später bietet die Vertriebs-KG „aus Kulanz“ einen Gutschein im Wert von 86,40 Euro für die nächsten Passionsspiele 2022 an. Doch Spieler lehnt ab. Er weiß nicht, ob er 2022 kann. Gerhard M. Griebler, Geschäftsführer der Vertriebs-KG sagt, Spieler stehe das Geld nicht zu. Die Vorverkaufsgebühren seien ein Entgelt für die erfolgreiche Ticket-Vermittlung. Die Absage berühre die Vermittlung nicht. Die Rechtsexperten der Stiftung Warentest haben Zweifel an dieser Rechtsauffassung.
Sind auch die Vorverkaufsgebühren zu erstatten?
Gutscheinlösung. Seit Mai 2020 dürfen Veranstalter ihre Kunden im Falle von coronabedingten Absagen unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise mit einem Gutschein abfinden: „Der Wert des Gutscheins muss den gesamten Eintrittspreis oder das gesamte sonstige Entgelt einschließlich etwaiger Vorverkaufsgebühren umfassen“ (Artikel 240 Paragraf 5 EGBGB, Absatz 3). Nach Ansicht der Oberammergauer Vertriebs-KG spielt die Regelung für den aktuellen Fall keine Rolle. Sie sei erst in Kraft getreten „als wir schon die Rückabwicklung der Passionsspiele vorgenommen hatten“, so Vertriebs-Chef Griebler.
test.de meint: Die Gutscheinlösung schafft eine Ausnahme vom Grundsatz: bei Konzertabsagen wegen höherer Gewalt muss eine Erstattung von Ticketkosten und Vorverkaufsgebühren in bar erfolgen. Heißt im Umkehrschluss: Wenn die Gutscheinlösung nicht einschlägig ist – wie nach Veranstalterangaben im Fall von Michael Spieler – gilt wieder der Grundsatz: Erstattung von Ticketkosten und Vorverkausfgebühren in bar. Wäre es anders, hätte der Gesetzgeber die Vorverkaufsgebühren in die Gutscheinlösung gar nicht erst hineinschreiben müssen.
Das sagen Experten für Veranstaltungsrecht
Dies sehen auch die Experten zum Veranstaltungsrecht, Dirk Güllemann und Marcel Bisges, so. Güllemann ist Professor für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Osnabrück und Autor des Buches Event- und Messerecht. Auf Anfrage von test.de schreibt Güllemann: „Es muss das volle Eintrittsgeld zurückgezahlt werden einschließlich der Vorverkaufsgebühr, da diese Teil des gezahlten Entgelts ist und nicht etwa eine gesonderte Leistung aus einem zusätzlichen Vertrag darstellt“. Der Berliner Anwalt Marcel Bisges hat zwar Verständnis für die in Notlage geratene Veranstaltungsbranche und bittet Besucher, wenn möglich, auf die Erstattung zu verzichten. Aber Bisges, Professor für Urheber- und Medienrecht und Herausgeber des Handbuchs des Veranstaltungsrechts, sagt auch klar: Rechtlich steht Kunden die Erstattung der Vorverkaufsgebühren zu.
Tipp: Konzert abgesagt, Hauptdarsteller krank – welche Regeln sonst üblicherweise gelten, klärt unser Special Rechte im Kino-, Theater- und Konzertsaal.
Konzertveranstalter oder Vorverkaufsstelle – wer muss erstatten?
Viele Juristen sehen den Veranstalter – nicht die Vorverkaufsstelle – in der Pflicht zur Erstattung der Vorverkaufsgebühren. Wir haben daher auch den Veranstalter der Passionsspiele Oberammergau befragt, die Gemeinde Oberammergau. Deren Bürgermeister Andreas Rödl betont, die Gemeinde sei „im Hinblick auf die mit der Vorverkaufsgebühr abgerechneten Ticketvermittlung nicht Vertragspartner des Buchenden.“ Ein Anspruch gegen den Veranstalter sei „nach unserer Auffassung ebenfalls nicht gegeben, da die Vermittlungsleistung von der Unmöglichkeit der Veranstaltung nicht erfasst ist.“
Lässt sich der Streit außergerichtlich lösen?
Schlichtungsstelle könnte vermitteln. Der Zoff um die Vorverkaufsgebühren ist eigentlich ein klassischer Fall für eine außergerichtliche Schlichtungslösung. Damit solche Streitigkeiten ohne Prozess gelöst werden können, hat der Bund Anfang 2020 eine neutrale Universalschlichtungsstelle eingerichtet, an die sich Verbraucher bei Ärger mit Unternehmen wenden können, wenn es keine speziellere Schlichtungsstelle für Verbraucher gibt. (Mehr zum Thema Schlichtungsstellen in unserem Special Außergerichtliche Streitbeilegung: Recht bekommen – günstig und ohne Gericht).
Oberammergau macht nicht mit. Allerdings sind die Unternehmen nicht verpflichtet bei der Schlichtung mitzumachen. Die meisten Händler etwa weigern sich (Amazon, Otto & Co haben null Bock auf Schlichtung). Und auch viele Veranstalter wie die Gemeinde Oberammergau nehmen nicht teil. Vermutlich haben die Unternehmen Angst vor den Kosten der Schlichtung. Denn während die Einschaltung der Schlichtungsstelle für Verbraucher kostenfrei ist, müssen Unternehmen eine Fallpauschale zahlen. Diese orientiert sich an der Höhe des Streitwerts. Im Fall von Michael Spieler hätte die Schlichtung 40 Euro gekostet. Stattdessen entschied sich die Gemeinde Oberammergau, eine renommierte Anwaltskanzlei einzuschalten – was deutlich mehr als 40 Euro gekostet haben dürfte.
Schlichtungsstelle der Veranstaltungswirtschaft
Inzwischen hat der Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV) eine Schlichtungsstelle eingerichtet. Dorthin können sich Konzertbesucher wenden, die nach coronabedingten Absagen Probleme bei der Erstattung des Ticketentgelts haben. Diese Schlichtungsstelle ist im Gegensatz zur Universalschlichtungsstelle noch nicht staatlich anerkannt. Einen Versuch wert ist sie allemal.
So erreichen Sie die BDKV-Schlichtungsstelle:
Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV) e.V.,
E-Mail: schlichtungsstelle@bdkv.de, Telefon: 040 / 210 916 000.
Diese Unterlagen sind nötig:
Einzuschicken sind eine Kopie des Tickets, die Korrespondenz mit dem Veranstalter, aus der die Ablehnung der Erstattung hervorgeht.
Auf der Homepage des BDKV steht zwar, dass man im Rahmen der Gutscheinlösung „ausschließlich“ eine sogenannte Härtefäll-Prüfung nach Artikel 240 Paragraf 5 Absatz 5 EGBGB vornehme. Auf Nachfrage von test.de sicherte Verbandspräsident Jens Michow aber zu, dass man sich auch Beschwerden bezüglich der Vorverkaufsgebühr anschauen werde.
Eventim von Verbraucherzentrale NRW abgemahnt
Zu große Erwartungen sollten Verbraucher aber nicht haben, wenn sie die Schlichtungsstelle des BDKV einschalten. Die Mitgliedsunternehmen des Verbandes sind nicht verpflichtet, das Schlichtungsergebnis zu akzeptieren. So arbeitet etwa der Ticketdienst Eventim mit einer Vertragsklausel, die bei Absagen die Erstattung von Vorverkaufsgebühren ausschließt. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat Eventim abgemahnt und bereitet aktuell eine Klage vor. Solange der Rechtsstreit andauert, wird Eventim wohl keine verbraucherfreundliche Schlichtungsempfehlung des BDKV akzeptieren.
Zahlt die Rechtsschutzversicherung bei einer Klage?
Da die Passionsspiele Oberammergau sich einer Schlichtung verweigern, können Konzertbesucher wie Michael Spieler nur noch auf dem Klageweg an ihr Geld kommen. Wer eine Rechtsschutzversicherung besitzt, kann diese für die Klage in Anspruch nehmen. Ein solcher Rechtsstreit ist über jede normale Police mit Privatrechtsschutz versichert. Geeignete Policen zeigt unser Vergleich Rechtsschutzversicherung. Für Streitigkeiten, die bei Abschluss der Versicherung bereits bestehen, zahlt die Versicherung aber nicht.