
Comdirect kündigt massenhaft Kunden ohne Begründung. Dahinter steht wohl ein – oftmals falscher – Geldwäscheverdacht.
Geld liegt auf Eis
Uns steht das Wasser bis zum Hals. Das ist Wilfried Stuckmanns erster Satz am Telefon. Comdirect verweigert ihm zu diesem Zeitpunkt seit über einer Woche den Zugriff auf sein Bankguthaben. Der pensionierte Lehrer bemerkt den Schlamassel erstmals, als er beim Italiener nicht mehr mit seiner Kreditkarte zahlen kann. Bald stellt sich heraus, dass sein Geld auf Eis liegt – wie bei russischen Oligarchen. Seine Zahlungsverpflichtungen kann er nun nicht mehr erfüllen. Die Rate für sein neues Haus etwa. „Die Abbuchung wurde bei uns jetzt retourniert“, schreibt ihm die Sparkasse Westmünsterland am 1. April. Was wie ein Scherz klingt, kostet Geld. Wegen der Nichteinlösung der Abbuchung seines Darlehens fallen bereits Gebühren an.
Unser Rat
- Vorbeugen.
- Einen Geldwäscheverdacht können Sie schnell verursachen: Bareinzahlungen ab 10 000 Euro bei einer Bank oder der Handel mit Kryptowährungen reichen dafür schon aus. Um Ärger zu umgehen, sollten Sie vorher mit Ihrer Bank sprechen und sie über bevorstehende Transaktionen in dieser Höhe informieren.
- Nachweisen.
- Sorgen Sie nach Möglichkeit dafür, Geldbewegungen erklären zu können. Akzeptiert sind: Barauszahlungsquittungen einer anderen Bank, Sparbücher, aus denen die Auszahlung in bar hervorgeht, Verkaufs- und Rechnungsbelege etwa zum Auto- oder Goldverkauf, Schenkungsverträge, eine Schenkungsanzeige oder vom Nachlassgericht eröffnete letztwillige Verfügungen.
Kontoverbindung wird beendet
Seine Frau, ebenfalls pensionierte Lehrerin, kann nicht aushelfen. Auch ihr Konto ist gesperrt. Ebenso die Konten ihrer Kinder. Sechs Familienmitglieder bekommen gleichlautende Schreiben der Comdirect: „Wir machen gemäß unseren allgemeinen Regelungen von unserem Kündigungsrecht unter Einhaltung einer Kündigungsfrist Gebrauch“, heißt es darin. Die Bank beendet die gesamte Kontoverbindung fristgerecht zum 3. Juni 2022.
Eine Begründung für den unfreundlichen Akt fehlt. Und obwohl noch zwei Monate Zeit bis zur Kontoauflösung sind, kann Wilfried Stuckmann bereits jetzt keine Transaktionen mehr ausführen. Seine Frau muss sich Geld leihen und eröffnet damit ein Konto bei einer anderen Bank, um die Rate zu bedienen.
Comdirect antwortet nicht
Besonders ärgert die Familie, dass ihnen Comdirect nach all den Jahren nicht erklärt, warum sie ihnen gekündigt hat und bei Nachfragen regelrecht mauert. Sohn Stefan schreibt bei Twitter, die Bank teile nur mit, dass man ihnen nichts sagen könne. Der Fall sei von einer anderen Abteilung ausgelöst worden, die nicht nach außen kommuniziere – habe Comdirect geschrieben. Man werde auf Rückrufe vertröstet, die nicht kommen.
Weitere Fälle
Er recherchiert im Netz und stößt auf weitere Fälle und einen Verdacht: Geldwäsche. Tatsächlich hatte sein Vater eine größere Summe bar zur Bank gebracht. Seit August 2021 muss für Bareinzahlungen bei Geldhäusern ab 10 000 Euro ein Herkunftsnachweis vorgelegt werden. Stefan Stuckmanns Eltern hatten für eine Hausfinanzierung Bargeld aus einem Schließfach zur Comdirect gebracht. Ihnen fehlte damit der notwendige Nachweis über die Herkunft des Geldes.
Treue Kunden
Wahrscheinlich wurde der Geldwäscheverdacht durch die Bareinzahlung ausgelöst. Die Stuckmanns wissen es nicht, bestätigen aber schriftlich, dass sie das Geld angespart haben. Sie hoffen, dass die 20 Jahre, in denen sie der Bank die Treue gehalten haben, eine Rolle für den Erhalt der Kontoverbindung spielen. Doch da haben sie sich getäuscht.
Deutliche Gesetzesverschärfung
Dass Comdirect die Stuckmanns nicht über die Hintergründe aufklärt, könnte auch mit Paragraf 47 des Geldwäschegesetzes zusammenhängen, der genau das verbietet. Wegen Verdunkelungsgefahr dürfen Banken ihre Kunden nicht informieren. Gleichzeitig drohen empfindliche Bußgelder und Strafen, sollten nötige Verdachtsmeldungen nicht abgegeben worden sein. 2021 kam es überdies zu einer Gesetzesverschärfung.
Wenige Cent reichen für Verdacht
Seither gilt ein sogenannter All-Crime-Ansatz: Geldwäscheverdächtig sind nicht mehr nur Vermögensgegenstände, die aus schweren Straftaten herrühren – es reicht, wenn sie mit irgendeiner Straftat in Verbindung stehen. Das führt dazu, dass schon eine Gewinngutschrift von wenigen Cent aus einem illegalen Online-Glücksspiel eine Verdachtsmeldung auslöst, so der Geldwäscheexperte des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, Peter Langweg. Diese muss an die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) beim Zoll gemeldet werden.
Aufwand für Banken
Eine solche Meldung verändert das Verhältnis von Kunden und Geldhaus grundlegend. Von nun an muss die Bank das Monitoring schärfen und notfalls fortlaufend Verdachtsmeldungen abgeben. Laut Experten dauert die Erarbeitung solcher Meldungen bis zu 50 Minuten. Ein Aufwand, der manche Banken zur Kündigung veranlassen könnte, anstatt Ursachen zu klären. Zumal die Anzahl der Meldungen schon vor der Gesetzesänderung auf 144 000 Fälle im Jahr 2020 gestiegen war. 97 Prozent davon kamen nach Angaben der FIU aus dem Finanzsektor.
Beschwerden häufen sich
Das Problem besteht daher nicht nur bei der Comdirect. Während andere Banken dieselben Regularien zu erfüllen haben, häufen sich die Beschwerden über die Comdirect. Das kann damit zusammenhängen, dass Banken unterschiedliche EDV-Systeme, Risikoanalysen und Schwellenwerte nutzen, um auffällige Transaktionen zu identifizieren. Ob hier Probleme bestehen oder Mängel bei der Kundenidentifikation eine Rolle spielen, über die kürzlich berichtet wurde, beantwortete Comdirect auf unsere Anfrage nicht.
Sehr viele Betroffene
Finanztest sprach mit anderen Kundinnen und Kunden, denen ebenfalls ohne Begründung Konten gekündigt wurden. Die Hamburger Anwältin Christiane C. Yüksel vertritt viele Fälle. Über 100 Betroffene hätten sich nach einem Zeitungsbericht an sie gewandt, ausschließlich Kunden der Commerzbank und der Comdirect, die eine Tochter der Commerzbank ist. Auch ihr selbst sperrte Comdirect das Konto. Sie musste vor Gericht eine einstweilige Verfügung erwirken.
Vertrag ohne Angabe von Gründen gekündigt
Zu den vielen Kündigungen teilte die Bank Finanztest nur mit, dass sie berechtigt sei, „den Vertrag ohne Angabe von Gründen zu beenden“. Dass es sich oft um einen Geldwäscheverdacht handeln dürfte, legt der Fall von Artur L. nahe, der den Grund für seine Kontosperre am 1. März 2022 erst vor Gericht erfährt. Im Beschluss heißt es, Comdirect habe eine Geldwäscheverdachtsanzeige bei der FIU abgegeben. Am nächsten Tag war sein Konto gesperrt und später gekündigt.
Im Zweifelsfall melden
Bei ihm löste ein privater Kredit im fünfstelligen Bereich den Verdacht aus, der ihm von einem Freund zurücküberwiesen wurde. Sein Freund, selbst Kunde bei der Bank, war verdächtig, weil er mit Kryptowährung gehandelt hatte – nicht illegal, aber ein Indikator für Geldwäsche. Beiden kündigte die Bank. Artur L. wurmt noch heute die Art des Umgangs. Er arbeitet bei einer Bank und kennt die Gepflogenheiten. Obwohl er die legale Herkunft des Geldes belegen konnte, unterlag er vor Gericht. Die Bank müsse „im Zweifel“ Meldung erstatten. Es hätte aber nicht nachgewiesen werden können, dass die Kontosperre „vorsätzlich oder grob fahrlässig“ sei, so der Beschluss. Allerdings musste die Bank die Sperre nicht fast zwei Wochen aufrechterhalten. Die Comdirect sei nicht verpflichtet, aber berechtigt, Verfügungssperren wieder aufzuheben, heißt es dazu im Gerichtsbeschluss.
Richter kritisiert Gesetz
Abschließend weist der Richter darauf hin, dass das lückenhafte Geldwäschegesetz Banken einen Handlungszwang auferlege, der tief in die Geschäftsbeziehungen mit Kunden eingreife und Kunden aus diesem Verfahren durch das Versagen von Informationsrechten ausklammere. Ein Hinweis an den Gesetzgeber. Es existieren bereits Kanzleien, die sich auf das wachsende Problem des Geldwäscheverdachts bei Privatkunden spezialisiert haben. Der Rat eines Anwalts: besser vor einer Transaktion, die verdächtig erscheinen könnte, die Hausbank anrufen.
-
- Geld von einem Konto zum anderen zu überweisen, ist mit der meist kostenpflichtigen Echtzeitüberweisung in Sekunden möglich. test.de antwortet auf wichtige Fragen.
-
- Vor saftigen Gebühren beim Geldabheben im Ausland warnt die Stiftung Warentest seit Jahren. Der Trick heißt Sofortumrechnung: Wer im Nicht-Euroland in Fremdwährung...
-
- Vom Einkauf mit mehr Bargeld nach Hause kommen als ursprünglich mitgenommen? Das ist immer öfter möglich. Der Discounter Norma bietet jetzt in mehr als 1 300 deutschen...
Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.
Nutzerkommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.
Nach meinem Empfinden ist dies, nach Abschaffung des 500-EUR-Geldscheins, ein weiterer Schritt um den Menschen die Verwendung von Bargeld zu vermiesen. Letztendliches Ziel: Bargeldverbot.
Bei uns erfolgte die Kontosperrung, ohne uns zu informieren, bereits bei Bareinzahlung von 8.000,-€.
Ich finde gut, dass die Stiftung Warentest auf dieses zunehmende Problem hinweist und darüber berichtet. Auch finde ich sehr gut, dass hier über die eigentlichen Ursachen ebenfalls berichtet wird. Denn die Banken sehe ich hier nicht als die Schuldigen an. Schuldig sind diejenigen, die Gesetze erlassen, die Bankkunden unter Generalverdacht stellen. Schuldig sind auch diejenigen, die den Nachweis der eigenen Unschuld verlangen, einer perversen Umkehr des Grundsatzes von "unschuldig bis zu Beweis der Schuld" in einem Rechtsstaat. Und diese Leute sind Politiker. Die absolut verständliche Wut und Frustration der Betroffenen sollte sich also weniger gegen die Bank als vielmehr gegen die Hintermänner, die Politiker richten, die das verbrochen haben. Wenn mich jemand eines Verbrechens (Geldwäsche) bezichtigt, so hat er dies vor Gericht nachzuweisen. Werde ich schuldig gesprochen, können selbstverständlich auch die entsprechenden Gelder konfisziert werden. Alles andere ist kein Rechtsstaat.
Mir wurde ebenfalls mein Konto ohne Angaben von Gründen gekündigt. Ich bin ein treuer, ehrlicher und gut zahlender Kunde. Rückfragen brachten nichts. Ich bin letztendlich sehr froh, nicht mehr Kunde bei Comdirect zu sein. Es gibt letztendlich andere Banken, die ihre ehrlichen Kunden schätzen.
Es mag sein, dass ein Geldwäscheverdacht ein Auslöser war. Aber in Endeffekt geht es der Commerzbank und vielen Internet-Banken darum, unrentable Kunden los zu werden. Denn per Software lässt sich leicht berechnen, welcher Kunde der Bank Gewinn bringt und welcher nicht. Und wenn ein Kunde kein Gewinn bringt, fliegt er raus.