Kinderlebensmittel Braucht kein Kind

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Wurst mit Gesicht, Kindermilch oder Früchteriegel: Der Markt für Kinderlebensmittel wächst. Sie sind oft überflüssig – und dazu meist recht teuer.

Wenn das Wurstgesicht lächelt, leuchten Kinderaugen. Die Wurst mit Motiv ist der Klassiker unter den Kinderlebensmitteln. Es gibt sie auch in Bärchenform, manchmal winkt eine lustige Comicfigur von der Verpackung. Die niedliche Aufmachung kommt an: Die Verkaufszahlen für Kinderwurst stiegen im Jahr 2010 um stolze 13 Prozent, insgesamt setzten die Hersteller mit solchen Produkten rund 70 Millionen Euro um.

Doch nicht nur wenn es um die Wurst geht, nimmt die Lebensmittelindustrie die Jüngsten ins Visier. Auch wer im Drogeriemarkt unterwegs ist, bemerkt schnell: Die Hersteller haben nun auch die Eltern der Ein- bis Dreijährigen als Zielgruppe entdeckt. Milchdesserts, Früchteriegel oder Kleinkindmenüs füllen die Regale. Bei den großen Babynahrungsherstellern machen Kleinkindprodukte bereits bis zu ein Fünftel des Umsatzes aus. Die Branche geht davon aus, dass sich der Absatz dieses Segments von aktuell über 80 Millionen Euro mehr als verdoppeln wird.

Die Milch machts

Besonders beliebt bei den Kunden sind Milchprodukte für die Kleinen. Etwa 165 Millionen Euro geben die Bundesbürger jährlich dafür aus. Jeder dritte Haushalt hat im vergangenen Jahr Kinderjogurt und -quark gekauft. Schön für die Branche, aber schlecht für den Geldbeutel: Denn die meisten Lebensmittel für Kinder sind überflüssig, relativ teuer – und ihre Rezeptur ist bisweilen erstaunlich wenig geeignet für Kinder (siehe Beispiele für Kleinkinderlebensmittel und Kinderlebensmittel).

Bundesamt beanstandet Kindermilch

Einer der ganz großen Umsatzbringer ist Kindermilch. Es gibt sie trinkfertig oder als Pulver zum Anrühren, pro Liter für stolze 1,69 Euro oder 1,82 Euro. Kindermilch sei besser, gar gesünder als Kuhmilch, behaupten die Anbieter. Das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) sehen das jedoch anders. Letzteres hat gerade erst 15 solcher Produkte beanstandet. Das Argument: Ihre Zusammensetzung sei nicht an die Bedürfnisse von Kleinkindern angepasst (siehe Beispiele für Kleinkinderlebensmittel).

Das Verfahren des BVL gegen die Produzenten läuft derzeit. Ziel der Behörde: Die Hersteller sollen die Rezeptur ändern, die Produkte vom Markt nehmen oder sie nicht mehr als besonders kindgerecht bewerben. Ob und wann sie die Forderungen umsetzen, ist jedoch nicht absehbar. Ein möglicher juristischer Prozess könne laut BVL dauern. Bis dahin werden die Produkte wohl unverändert auf dem Markt bleiben.

Neu ist die Kritik an Kinderlebensmitteln nicht: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung rät seit langem von deren Kauf ab. Und auch das Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) schätzte einen Großteil des Angebots schon mehrmals als überflüssig ein. Kritisch äußern sich zudem die Verbraucherzentralen und die Verbraucherorganisation foodwatch. Die Stiftung Warentest hat bereits im Jahr 2000 Kinder-Molkereiprodukte getestet, im Jahr 2004 ausgewählte Kinderlebensmittel und im Jahr 2008 Zerealien für Kinder. Das Ergebnis war stets das Gleiche: Kinderlebensmittel sind oft zu süß, zu fett oder zu salzig und teurer als vergleichbare Produkte.

Für Kinder, aber nicht kindgerecht

Trotzdem glauben 40 Prozent der deutschen Verbraucher, Kinderlebensmittel seien mit Blick auf Salz-, Zucker- und Fettgehalte auf die speziellen Bedürfnisse der Kleinsten zugeschnitten. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des Verbraucherzentrale Bundesverbands hervor.

Betrachtet man die Werbeversprechen der Hersteller, ist das nicht verwunderlich: „Gesundheitsplus für die Wachstumsphase“ oder „Der tägliche Beitrag für die gesunde Ernährung“ verlocken zum Kauf. Gleiches gilt für die Tatsache, dass viele Produkte für Kinder mit mehreren Vitaminen und Mineralstoffen angereichert sind: Im Früchteriegel etwa steckt Vitamin E für den Zellschutz, in der Kindermilch reichlich Eisen, um die Blutbildung zu fördern. Doch ist das wirklich sinnvoll?

Beispiel Kindermilch: Experten empfehlen für Kleinkinder täglich insgesamt 300 Milliliter Milch und Milchprodukte. Ersetzen Eltern diese bei ihrem Nachwuchs komplett durch Kindermilch, fehlt ihm wertvolles Kalzium. Da Kindermilch außerdem meist Vitamine und Mineralstoffe zugesetzt seien, erhöhe sich etwa die Zufuhr von Eisen, Vitamin C und E um rund 50 Prozent, so das BfR. Das sehen Experten kritisch. Durch angereicherte Lebensmittel lässt sich die Nährstoffzufuhr schwer kontrollieren. Es mehren sich Hinweise, dass zugesetzte Vitamine in hohen Dosen über längere Zeit nachteilig wirken können.

Vitamine in der Mini-Wurst

Auch Wurstfabrikant Stockmeyer reichert seine Mini-Leberwurst und die Mini-Salami mit Vitaminen an. Das scheint anzukommen. Die Ferdi-Fuchs-Produkte machen mehr als 40 Prozent des Umsatzes bei Kinderwurst aus. Große Ernährungsstudien der vergangenen Jahre zeigen aber, dass Kinder in Deutschland grundsätzlich gut mit Vitaminen versorgt sind – mit nur wenigen Ausnahmen. Und diese Defizite sind auf eine unausgewogene Ernährung zurückzuführen. Denn gerade ältere Kinder essen zu wenig Pflanzliches wie Gemüse, Obst oder Vollkornbrot.

Zwischen Anspruch und Angebot

Wurst hingegen steht bei Mädchen und Jungen hoch im Kurs. Unsere Stichprobe zeigt jedoch: Kinderwurst gibt es oft als Salami oder Streichwurst, beides fette Sorten. Wenigstens sind beide Kindersalami im Beispiel unten fettreduziert. Besser wäre aber, speziell für Kinder wirklich fettarme Sorten wie Putenbrust oder Kochschinken ohne Anreicherungen anzubieten.

Noch ein Nachteil von Salami: Sie enthält herstellungsbedingt viel Salz. Auch im Kinderjogurt steckt nicht automatisch weniger Zucker als im Pendant für Erwachsene. Die Folge: Kinder gewöhnen sich an den süßen Geschmack ebenso wie an Salziges. Diese Vorlieben sind oft der Grundstein für ein dauerhaft ungesundes Essverhalten.

Tipp: Ab dem zehnten bis zum zwölften Lebensmonat können Kinder an die Ernährung der Großen herangeführt werden. Wurst mit Gesicht braucht es nicht. Auch ein Smiley aus Apfelspalten und Bananenscheiben macht den Kleinen Appetit.

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