Kinderkleidung Schnell in Flammen

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Immer wieder werden Kinder durch brennende Kleidung verletzt. Wir haben 44 Kindertextilien einem Feuertest ausgesetzt. Erschreckend: Bei fast allen ist die Brandgefahr hoch.

Der Funke springt schnell über. In Sekundenschnelle frisst er sich durch das Gewebe, das plötzlich lichterloh in Flammen steht. Nicht einmal zwölf Sekunden hat es gedauert, bis 22 Zentimeter Stoff vom Feuer erfasst waren – bei einem Hemd von S. Oliver, einer Jacke von H & M und einem Shirt von Tom Tailor, alles leichte Kleidungsstücke mit glatter Oberfläche aus 100 Prozent Baumwolle. Solche Textilien gibt es auch bei vielen anderen Anbietern.

Feuertest mit Pulli, Jacke und Hose

Ein Leserbrief brachte uns auf die Spur. Er schilderte die schlimmen Folgen eines Kleiderbrands. Daraufhin haben wir in einem Feuertest die Brandgefahr von 44 Kindertextilien geprüft: T-Shirts, Hemden, Pullover, Fleecejacken, Jeans, Sportkleidung – und passend zur Saison auch Faschingskostüme. Sie bestehen aus Naturfasern wie Baumwolle und Wolle oder chemisch hergestellten Fasern wie Polyester und Polyacryl (siehe „Glossar“). Da für viele Eltern beim Kauf der Preis eine große Rolle spielt, haben wir neben teuren Sachen wie der Jack-Wolfskin-Jacke für 80 Euro auch günstige Sachen wie den C & A-Kapuzenpulli für 7 Euro ausgewählt.

Aus jedem Kleidungsstück haben wir Stoffproben zusammengestellt und sie zehn Sekunden mit einer Gasflamme beflammt. Dann haben wir gemessen, ob der Stoff anfängt zu brennen und mit welcher Geschwindigkeit sich die Flamme durch die Fasern frisst. Wir haben beobachtet, ob geschmolzenes Material abtropfte oder brennende Tropfen und Stofffetzen abfielen.

Alle Stoffe brannten

Der Test zeigt: Weder Preis noch Marke beeinflussen das Brennverhalten eines Kleidungsstücks. Alle 44 Textilien haben gebrannt, gut die Hälfte ist geschmolzen und tropfte dazu fast immer heiß ab. Entscheidend für den Brandverlauf waren der Stoff und seine Zusammensetzung. Und es war kein einziger Stoff dabei, der nicht auf die Flammen reagiert hätte. Bei 40 Textilien ist die Brandgefahr hoch bis sehr hoch, nur bei vieren gering: einer sehr schweren Jeanshose aus reiner Baumwolle, einer leichten Tunika sowie zwei Prinzessinnenkleidern aus reinem Polyester (siehe Tabellen).

Textile Fasern sind organische Substanzen und grundsätzlich brennbar. Ab einer Temperatur von 500 Grad Celsius entzünden sich alle Stoffe praktisch selbst. Als Faustregel gilt: Je leichter der Stoff, umso schneller kann er brennen. Das belegt der Test bei Baumwolle. So brannte eine sehr schwere Jeans viel langsamer als leichtere Baumwollkleidung. Der Test zeigt aber auch Ausnahmen von der Regel: Eine schwere Jacke aus Polyacryl brannte genauso schnell wie ein leichter Pulli aus demselben Stoff.

Baumwolle gegen Polyester

Deutliche Unterschiede stellten wir im Brennverhalten von Baumwolle und synthetischen Stoffen wie Polyester fest. Reine Baumwollsachen brannten bis auf die bereits erwähnte dicke Jeans deutlich bis stark, dazu breiteten sich die Flammen fast immer schnell bis sehr schnell aus – besonders bei drei leichten Kleidungsstücken.

Reines Polyester brannte dagegen langsamer, wie die Fleecejacken, Trainingsanzüge und Prinzessinnenkostüme beweisen. Polyester schmolz jedoch und tropfte häufig heiß ab. Die Gefahr: Abfallende brennende Teile können zur Ausbreitung des Feuers führen. Bei Kleidung aus reiner Baumwolle traten diese Effekte nicht auf.

Stoffgemische doppelt riskant

Als doppelt riskant erwiesen sich Stoffgemische aus Baumwolle und Polyester, da sie beide Reaktionen – starkes Brennen und heißes Abtropfen – zeigen. Ein Nickipullover von Fit-z, ein Hemd von Quelle und das Bauarbeiterkostüm zählen darum zu den auffälligsten Textilien im Test. Auch bei Kleidung aus Polyacryl, Polyacrylmischungen sowie Wollmischungen besteht doppelte Brandgefahr (siehe Tabelle „Kinderkleidung aus synthetischen Materialien“).

Selbst Wolle brennt deutlich

Dass selbst Sachen mit einem hohen Wollanteil deutlich brennen, überraschte. Wolle gilt als schwer entflammbar. Sogar das Fleeceshirt des Ökomodeanbieters hessnatur aus 100 Prozent Wolle brannte und schmolz. Ein möglicher Grund sind die luftigen Strukturen im gestrickten Fleece. Der Test widerlegt so die weitverbreitete Meinung, dass reine Wolle schwerer brennt und besser schützt als synthetisches Fleece. Auch was den „Surface Flash“ betrifft – das blitzschnelle Abbrennen flauschiger Oberflächen –, weichen unsere Ergebnisse von Altbekanntem ab. Wir konnten ihn bei den Fleecesachen nicht beobachten.

Was ist am Ende schlimmer?

Was ist schlimmer für Haut und Leben: die schnell brennende Baumwolle oder das heiß abtropfende Polyester? Während Wissenschaftler nach Laborexperimenten Polyester im Vergleich zu Baumwolle als sicherer einstufen, sehen Verbrennungsme­diziner Polyester und ähnliche Stoffe als gefährlicher an (siehe „Interview“). Fest steht, beide Stoffe können zu Verletzungen führen. Leichte Stoffe aus Baumwolle und Viskose haben eine größere spezifische Oberfläche als kompakte Materialien, die Verbrennung breitet sich so rasch aus. Synthetische Stoffe führen hingegen zu begrenzten, aber tieferen Schäden in der Haut. Auch der Atemtrakt kann beim Verbrennen von Textilien geschädigt werden, da Ruß und Kohlenmonoxid entweichen.

Der Verlauf eines Kleiderbrands und seine Folgen sind schwer vorhersehbar, denn der Mensch trägt meist mehrere Kleidungsstücke übereinander. Das Ausmaß hängt auch davon ab, welches Material oben liegt. Labortests zufolge kann synthetische Oberbekleidung durch ihr Schmelzen vermeiden, dass auch die Baumwollunterwäsche entflammt. Außerdem brennt sie in der Regel langsamer ab. Ein Betroffener hat so mehr Zeit, die brennenden Kleider abzustreifen. Baumwolle über Polyamid & Co. kann eher wie ein Docht wirken und es erst recht zum Schmelzen auf der Haut bringen. Der Schaden ist dann womöglich größer.

Flammenhemmer sind keine Lösung

Für das normale T-Shirt gibt es in Deutschland keine Vorschriften für den Brandfall. Es gibt lediglich Normen für Nachtwäsche und Faschingskostüme. Sie schreiben vor, wie schnell sich Flammen ausbreiten dürfen. Brandnebenerscheinungen wie Abtropfen erfassen sie allerdings nicht.

Stark umstritten ist die Ausstattung von Kleidung mit flammenhemmenden Chemikalien wie Phosphorverbindungen. Im Brandfall sollen die Sachen damit verkohlen und nicht lodern. Doch die Mittel stehen unter Verdacht, bei Rauch giftige Gase zu entwickeln sowie Krebs und Allergien hervorzurufen. Der beste Schutz vor Feuer ist und bleibt die Vorsicht.

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