
Völlig losgelöst. Was Kolja freut, überrascht die Mama: Der Gurt des Britax Römer ist kinderleicht zu öffnen. © Benjamin Pritzkuleit
Vier Sitze sind mangelhaft, darunter zwei Britax Römer. Im Jockey Comfort und im Jockey Relax lassen sich die Anschnallgurte zu leicht lösen. Neun andere Sitze sind dagegen gut.
Testergebnisse für 17 Fahrradkindersitze 03/2018
Freudestrahlend streckt Kolja seiner Mutter den Gurt des Fahrradkindersitzes entgegen. Der Vierjährige hat allein den Verschluss des Britax Römer Jockey gelöst. Annika Beier ist überrascht.
Auch für die meisten kleinen Probanden in unserem Praxistest zum Sitzkomfort stellten die Jockey-Verschlüsse keine Hürde dar. Wir haben im Labor die Kraft gemessen, mit der sie sich öffnen lassen. Die weit verbreiteten Sitze Jockey Comfort und Jockey Relax von Britax Römer scheiterten deutlich an den Anforderungen der Prüfnorm. Die Verschlüsse ließen sich kinderleicht öffnen – ein unnötiges Sicherheitsrisiko.
Zwei weitere Sitze fielen aus anderen Gründen durch: In Polster und Sitzschale des Bellelli Tiger Relax fanden unsere Tester polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die teilweise im Verdacht stehen, Krebs zu erzeugen. Beim Bobike Exclusive Mini brach die Fußstütze im Dauertest.
Immerhin neun Sitze sind insgesamt gut: Sie sind sicher, robust und ordentlich zu fahren. Drei davon werden vor dem Fahrer montiert und eignen sich für Passagiere bis 15 Kilogramm. Mit den sechs anderen lassen sich Kinder mit bis zu 22 Kilo Gewicht im Rücken des Fahrers kutschieren. Ab 60 Euro sind die Favoriten zu haben.
Unser Rat
Vor dem Fahrer sitzen Kinder am besten in Thule Yepp Nexxt Mini (99 Euro, alle Preise laut Anbieter), Hamax Observer (90 Euro) oder OK Baby Orion (65 Euro). Hinterm Fahrer reisen kleine Passagiere am besten in Hamax Caress C2 (150 Euro) und Thule Yepp Maxi (119 Euro). Zwar sind diese Sitze im Onlinehandel teils deutlich billiger, doch Laien sollten mit ihrem Rad einen Fachhändler aufsuchen. Dieser kann beurteilen, welcher Sitz zum Rad passt, und ihn montieren.
Knopf drücken und Stecker ziehen

Zu einfach. Ohne Probleme konnten Kinder im Test die Verschlüsse der Jockey-Sitze von Britax Römer öffnen. Die Norm fordert deutlich mehr Kraft dafür. © Benjamin Pritzkuleit
Um die Sicherheit der Kinder zu gewährleisten, verlangt die Prüfnorm für Fahrradkindersitze, dass die Anschnallgurte entweder mit zwei separaten Handbewegungen zu öffnen sind oder mit einer Kraft von mindestens 40 Newton. Die Verschlüsse der beiden Jockeys von Britax Römer lassen sich mit einem Griff und einer Kraft von etwa 20 Newton lösen, etwa so viel wie zum Halten von zwei Literpackungen Milch erforderlich ist. Knopf drücken, den Stecker ziehen – das schaffen selbst kleine Kinder. Eltern bemerken es möglicherweise nicht, da die Sitze hinter dem Fahrer montiert werden.
Britax Römer verwendet die fragwürdigen Verschlüsse seit vielen Jahren – auch in den Jockey-Sitzen, die wir 2007 im letzten Test von Fahrradkindersitzen geprüft hatten. Damals lagen uns weder Hinweise von Eltern vor noch hatten Kinder im Prüflabor die Verschlüsse geöffnet. Die erforderliche Kraft zum Öffnen maßen wir nicht. Beide Jockeys schnitten im Test gut ab.
Im aktuellen Test sind beide Sitze mangelhaft. Wir informierten Britax Römer vorab über die Messergebnisse. Das Unternehmen legte uns ein Gutachten vor, nach dem die Jockeys die Norm einhalten. Darüber hinaus schickte Britax Römer einen internen Prüfbericht, der darauf hinwies, dass bei den Messungen die Gurte vorgespannt waren. Wir prüften daraufhin weitere Exemplare der Sitze, auch mit gespannten Gurten. Wieder ließen sich die Verschlüsse kinderleicht öffnen.
Auf die Frage, ob verunsicherte Eltern Sitz oder Verschlüsse umtauschen können, antwortete das Unternehmen: „Falls ein Produkt beschädigt ist, tauschen wir es natürlich im Rahmen der normalen Garantie aus.“ Zu leicht zu öffnende Verschlüsse zählen jedoch nicht dazu. Nach unserer Einschätzung sollte das Unternehmen die Verschlüsse nachbessern. Das Risiko, das mit geöffneten Gurten einhergeht, ist unnötig. Das beweisen alle anderen getesteten Sitze, die sehr sichere Gurte verwenden.
Tipp: Besitzer eines solchen Kindersitzes sollten regelmäßig prüfen, ob der Gurt geschlossen ist und gegebenenfalls mit dem Kind darüber reden. Wer ganz sicher gehen will, sollte einen anderen Sitz nutzen.
Vordersitze für die Kleinsten
Sobald Kinder selbstständig sitzen können, dürfen sie auf dem Rad mitfahren, also etwa ab dem neunten Monat. Für solch kleine Passagiere eignen sich vor dem Fahrer montierte Sitze. Mit ihnen haben Eltern die Kinder immer im Blick. Zusätzlich erhältliche Windschütze halten Fahrtwind ab. Wegen ihres günstigen Schwerpunkts wirken sich Vordersitze wenig auf die Fahrstabilität aus. Unsere Testfahrer kamen mit fast allen Sitzen zurecht. Beim Polisport Guppy Mini stießen jedoch die Fußstützen beim Lenken gegen die Querstange von Herrenrädern. Plötzliche Ausweichmanöver sind kaum möglich. Zudem drückte seine Rückenlehne gegen die Brust des Fahrers.
Kinder mit einem Gewicht von mehr als 15 Kilogramm müssen nach hinten umziehen. Hier sitzen sie windgeschützter als vorn, verlieren jedoch den freien Blick in Fahrtrichtung. Die hinteren Sitze sind am Sitzrohr montiert und federn an langen Befestigungsbügeln freischwebend über dem Gepäckträger. Die Fahrprüfung haben zwar alle Sitze mit gut oder befriedigend bestanden, gegenüber den Frontsitzen haben sie jedoch einen Nachteil: Auch mit wenig lebhaften Sprösslingen können sie sich je nach Fahrbewegung und Straßenzustand aufschaukeln. Diese unerwünschte Pendelbewegung wirkt sich vor allem auf das Fahrverhalten von Rädern mit tiefem Durchstieg aus, etwa Damenrädern. Bei einigen Sitzen lässt sich die Rückenlehne für eine Ruheposition zurücklegen; sie verstärkt das Pendeln zusätzlich.
Tipp: Nehmen Sie den Kindersitz ab, bevor Sie das Rad auf dem Autogepäckträger transportieren. Ansonsten kann der Sitz im Fahrtwind gefährlich hin- und herpendeln.
Viel Kraft zum Schieben nötig
Beim Schieben zeigt sich ein weiterer Vorteil der Front- gegenüber den Hecksitzen: Durch das geringere Gewicht und die Montage am Lenkerschaft sind sie einfacher gerade zu halten. Um beladene Rücksitze bergauf zu schieben, ist viel Kraft und eine zweite Hand am Sattel erforderlich, um das Rad aufrecht zu halten. Je weiter hinten der Sitz angebracht ist, desto leichter kippt das Rad um. Der Schwerpunkt der Hecksitze darf maximal zehn Zentimeter hinter der Hinterachse liegen. Um die Montage zu erleichtern, ist der Schwerpunkt auf allen geprüften Hecksitzen mit einem Kreuz gekennzeichnet (siehe Grafik).
Maximalgewicht ist schnell erreicht
Es erfordert Übung und Konzentration, mit einem Kindersitz am Rad sicher durch den Verkehr zu fahren. Das gilt erst recht, wenn vorn und hinten gleichzeitig Kinder sitzen. Ratsam ist das nicht, auch wenn die Straßenverkehrsordnung es erlaubt. Ein solches Dreigestirn überschreitet möglicherweise auch das erlaubte Gesamtgewicht des Fahrrads, das üblicherweise bei 120 bis 130 Kilogramm liegt. Für solche Touren eignen sich Fahrradanhänger besser.
Kauf und Montage vom Fachhändler
Egal, ob Kinder vorn oder hinten Platz nehmen: Der Sitz muss zum Rad passen. An manche Modelle lassen sich Sitze kaum anbauen, etwa solche mit Schwanenhals- oder Karbonrahmen. Klassische Holland-, Touren- oder Sporträder bereiten meist keine Probleme, aber Schnellspanner, Bowdenzüge, ein gefedertes Hinterrad oder Rahmen mit dicken oder nicht runden Rohren können die Montage erschweren. Hinzu kommt, dass manchen Sitzen kein Werkzeug beiliegt. Ohne Drehmomentschlüssel, der die Schraubkraft begrenzt, ist es schwierig, die Halterung korrekt zu befestigen. Sitzt sie zu locker, rutscht der Sitz. Ist sie zu fest, beschädigt sie womöglich den Rahmen.
Tipp: Nehmen Sie das Rad mit, wenn Sie einen Kindersitz kaufen wollen. Fachhändler können Sitze empfehlen und montieren.
Ein Helm senkt das Verletzungsrisiko
Mitfahrende Kinder sollten immer einen Helm tragen. In vier der geprüften Sitze fahren behelmte Knirpse jedoch mit abgeknickten Köpfen: Bobike One Maxi, Britax Römer Jockey Relax, Thule Yepp Maxi und Torrex. Nicht gerade hilfreich, um für den Kopfschutz zu begeistern.
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@patrickdalias: Den Hamax Kiss haben wir nicht untersucht, so dass wir leider keine produktbezogenen Ergebnisse bzw. Erfahrungswerte mitteilen können. Wir bedauern, Ihnen in diesem Fall nicht behilflich sein zu können
Ihre Anfrage nehmen wir gerne als Untersuchungswunsch auf und leiten diese an unser Untersuchungsteam weiter. Vielen Dank dafür. (mk)
Liebes Test-Team,
gibt es die Möglichkeit, ältere Testergebnisse einzusehen? Der Hamax Kiss ist z.B. immer noch einer der meistverkauften Fahrradsitze, im aktuellen Test jedoch nicht zu finden.
Freundliche Grüße
@Radler-Allgäu: Einen längeren Blick in die Zukunft als den folgenden Monat können wir Ihnen leider nicht bieten. Diese Information finden Sie auf der Rückseite jedes test-Heftes oder auch in unserem Shop auf test.de unter folgendem Link: test.de/shop/test-hefte/vorschau/ (RN)
Liebes Test-Team,
wissen Sie schon, wann es den nächsten Test zu Kinderfahrradsitzen geben wird? Wann kann man damit rechnen?
Danke für die Information und viele Grüße!
@MaxMustermann21: Wir fanden PAK’s im schwarzen Kunststoff der Schulterpolster. Die gefundene Summe an PAK’s lag im befriedigenden Bereich. Inwieweit das Polster sich in anderen Modellen und/oder Farben unterscheidet, können wir leider nicht sagen. (NL, Se)