
Professor Rainer Thomasius. Der Kinder- und Jugendpsychiater ist ärztlicher Leiter im Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. © Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf
Computerspiele und soziale Medien machen einige Heranwachsende abhängig. Ein Wissenschaftler erläutert Ursachen und Auswege.
Wie verbreitet ist eine problematische Mediennutzung?
Wir haben 2019 in einer Befragung von etwa 1 200 Zehn- bis 17-Jährigen ermittelt, dass unter Computerspielenden 10 Prozent ein riskantes und 2,7 Prozent ein krankhaftes Spielverhalten an den Tag legen. Social Media nutzten 8,2 Prozent der Befragten in problematischem und 3,2 Prozent in krankhaftem Maß. Krankhaft bedeutet hier im süchtigen Ausmaß.
Ab wann spricht die Wissenschaft von Sucht?
Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft die Computerspielsucht als Krankheit ein. Merkmale sind Kontrollverlust, eine Vorrangstellung des Spielens gegenüber anderen Lebensinhalten und eine Fortsetzung trotz negativer Konsequenzen wie Schulproblemen. Das Verhalten muss über zwölf Monate bestehen.
Was unterscheidet Spielsucht von Alkoholsucht?
Alkoholsucht zum Beispiel schädigt die Nerven und verringert graue Hirnsubstanz, das ist bei Spielsucht nicht der Fall. Aber es werden die gleichen Hirnareale aktiviert und Computerspielsucht kann zu ähnlichen sozialen Folgen wie Isolation führen.
Machen Spiele stärker süchtig als Social Media?
Ja. Die Spieleindustrie setzt häufig ganz bewusst suchtanbahnende Elemente ein. Sie vermitteln Spielenden Gefühle wie Grandiosität oder Macht. Auch Belohnungssysteme sind verbreitet und negative Folgen bei Unterbrechungen des Spiels. Manche Spiele enthalten Glücksspielelemente. Die Anreizsysteme sozialer Netzwerke sind weniger stark im Fiktiven verortet. Gleichwohl können auch sie problematisches und Suchtverhalten fördern.
Wo liegen die Ursachen für problematische Nutzung?
Anfällig sind Kinder und Jugendliche, die früh soziale Ängste aufweisen, schüchtern, stressempfindlich sind. Auch ein schwaches Selbstwertgefühl spielt eine Rolle, Depressivität oder ein negatives Selbstbild. Das Risiko steigt, wenn Eltern ihren Kindern gegenüber einen abwertenden Kommunikationsstil pflegen, sich wenig fürsorglich zeigen und wenig analoge Alternativen anbieten.
Sind Jungen stärker betroffen als Mädchen?
Ja. Wir sehen in unseren Studien und Therapien signifikant mehr Jungen als Mädchen, die spielsüchtig sind und Social Media in problematischem Maß nutzen. Offenbar neigen Jungen eher dazu, sich zu isolieren und in Illusionswelten zu verlieren.
Wie beurteilen Sie exzessives Schauen von Serien?
Sogenanntes Binge-Watching verbreitet sich stark. Es ist passiver als Games und Social Media. Damit dröhnen sich manche weg – ähnlich wie mit Cannabis.
Was sind die Therapien?
Das hängt von der zugrunde liegenden psychischen Störung ab. Bei einigen Betroffenen reichen Beratungsgespräche mit den Eltern. Bei anderen ist eine ambulante Psychotherapie sinnvoll. Bei ausgeprägtem Suchtverhalten kann eine stationäre Behandlung in einer Jugend-Suchtklinik sinnvoll sein.
Wie gut lässt sich Spielsucht behandeln?
Die Erfolgsquoten liegen deutlich über den Behandlungserfolgen von stoffgebundenen Süchten wie Drogen- oder Alkoholsucht. Rückfälle sind seltener. Die oft seelischen Ursachen – zum Beispiel Ängste – lassen sich gut behandeln. Die Mitarbeit der Eltern ist dabei wichtig. Ungünstig ist es, wenn Elternteile nicht an einem Strang ziehen.
Hat Corona die Mediennutzung verstärkt?
Allerdings. Wir haben von unserem Institut aus nach dem ersten Lockdown Ende April 2020 erneut etwa 1 200 Zehn- bis 17-Jährige zur Mediennutzung befragt. Danach verbrachten sie im Vergleich zum September 2019 im Schnitt täglich zwei Stunden mehr mit Gaming und Social Media als sonst, am Wochenende noch deutlich mehr. Viele wollten so Stress abbauen oder der Realität entfliehen.
Ist ein vorübergehend intensiver Konsum riskant?
Ich vermute, dass riskante Nutzungsmuster in der Corona-Krise sich bei nicht belasteten, widerstandskräftigen Heranwachsenden nicht festsetzen. Aber Anfällige könnten vermehrt in die Sucht rutschen.
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Mir ist schon mehrmals aufgefallen, dass die Werbung in Spielen, die sich bewusst an Kinder richten und die auch im Appstore mit "ab 4 Jahren" oder auch "ab 12 Jahren" gekennzeichnet sind, eben nicht für Kinder geeignet ist.
Da wird dann mit einem LKW in eine Menschenmenge gefahren. Oder man sieht die Welt für kurze Zeit als Scharfschütze, sieht das Fadenkreuz auf dem Gesicht der Zielperson und danach das Blut spritzen.
Im Nachmittagsfernsehen ist keine Pornowerbung erlaubt, vor der Kindervorstellung im Kinder darf nur Werbung für andere Kinderfilme laufen.
Wieso gilt ähnliches nicht auch in Spielen?