Wir haben Kieferorthopäden auf den Zahn gefühlt und geprüft, wie und zu welchem Preis sie Zahnfehlstellungen beheben würden. Der Durchblick ist stark erschwert.
Nur wenigen hat die Natur ein makelloses Gebiss geschenkt – Zähne, ebenmäßig aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur, standfest in Reih und Glied, strahlend weiß und kerngesund. Zahnfehlstellungen, die dringend behandelt werden müssten, hat dagegen etwa jeder Dritte. Bei einem weiteren Drittel wären Korrekturen wünschenswert. Dann winkt übrigens gleich doppelter Lohn: Ein gut funktionierendes Gebiss ist meist auch ein schönes.
Kinder bei der Spange halten
Korrekturen an Zähnen und Kiefer sind oft ohne Alternative. Es ist wichtig, Kinder bei der Spange zu halten, um zum Beispiel den Biss zu „entschärfen“, Schleimhauteinbisse oder Zahnfleischprobleme zu vermeiden. Fehlbelastungen nutzen Zähne verstärkt ab, können ihre Vitalität beeinträchtigen, zu Kiefergelenkproblemen und Kopfschmerzen führen. Kreuzbiss, Vor- und Überbiss, gekippte Zähne, Lücken in der Zahnreihe zu korrigieren, dient der Gesundheit. Ebenmäßiges lässt sich auch besser pflegen, ist weniger anfällig für Karies.
Ein Millimeter kann teuer werden
Dennoch begleiten Eltern die Besuche ihrer Kinder beim Kieferorthopäden meist mit Sorge: Wenn Fehlstellungen korrigiert, Zähne unter anderem mithilfe von Spangen, Federn und Gummizügen über Monate und Jahre verschoben werden müssen, können Kosten von tausenden Euro entstehen – je nach Einstufung der Fehlstellung. Der Gesetzgeber hat die Bereitschaft der Kassen, sich an den Kosten zu beteiligen, an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Weniger als ein Millimeter kann darüber entscheiden, ob sie einen Teil der Therapiekosten übernehmen.
Die Kassen beteiligen sich erst ab einer bestimmten kieferorthopädischen Indikationsgruppe (KIG 3) an den anteiligen Kosten: zum Beispiel bei Tiefbiss mit Überlappen der oberen Schneidezähne von mehr als drei Millimetern und wenn gleichzeitig die unteren Schneidezähne das Zahnfleisch verletzen: Ein Blutpunkt muss zu sehen sein. Manchmal liegt das Ergebnis des Befunds knapp daneben. Eltern können zu einem weiteren Kieferorthopäden gehen. Kommt der zu einem anderen Ergebnis, wird die Kasse in der Regel einen Gutachter beauftragen, noch einmal nachzumessen.
Tipp: Wenn die Chance besteht, dass sich die Kiefer-Zahn-Situation in Richtung Kassenleistung entwickeln wird, kann es sich lohnen, die Therapie etwas aufzuschieben.
Auch unterhalb der Millimetergrenze können Korrekturen medizinisch geboten sein. Beteiligt sich die Kasse nicht, können private Kosten um 5 000 bis 6 000 Euro fällig werden. Der private Leistungskatalog ist umfangreicher als der der Kasse.
Eigenanteil später wieder erstattet
Lautet der Befund für den Patienten – meist ein Kind oder Heranwachsender – „ausgeprägte Fehlstellung“, stellt der Kieferorthopäde einen Heil- und Kostenplan für maximal vier Jahre auf. Bewilligt die gesetzliche Krankenkasse diesen Plan, übernimmt sie die Kosten für das erste Kind zu 80 Prozent und ab dem zweiten Kind zu 90 Prozent. Bei veranschlagten Kosten von beispielsweise 3 000 Euro müssen die Eltern zunächst einen Eigenanteil von 600 Euro für das erste Kind und 300 Euro für jedes weitere Kind tragen. Diesen Eigenanteil erstattet die Kasse nach erfolgreichem Abschluss der Behandlung.
Die im Voranschlag genannten Kosten können sich ändern, je nach Therapiedauer, Verlauf der Therapie und dem Einsatz der jeweils gewählten Mittel. So zum Beispiel nach einer Zwischendiagnostik und der eventuell notwendigen Anpassung der therapeutischen Maßnahmen an die Gebisssituation. Beim Heil- und Kostenplan ergeben sich für die Kassen später meist Abweichungen um die zehn Prozent. Auch die außervertraglichen, privat zu zahlenden Leistungen werden in einem Kostenvoranschlag benannt. Änderungen sind möglich, aber nur einvernehmlich zwischen dem Patienten und dem Kieferorthopäden.
Extras kosten auch extra
Bei Versorgungen auf Kassenkosten sind die Kieferorthopäden gehalten, ausschließlich „zweckmäßig, ausreichend und wirtschaftlich“ zu behandeln. Sind zwei Behandlungsmethoden medizinisch gleichwertig, ist die preiswertere zu wählen. Der Kieferorthopäde wird auch per Kassenbehandlung ein solides Ergebnis erzielen. In der Regel kommen aber privat zu zahlende Extras hinzu. Hier spielen der individuelle Blickwinkel und die finanziellen Möglichkeiten eine Rolle. Wer auf Extras verzichtet, muss eventuell längere Therapiezeiten, häufigeren Wechsel der Drähte, eine Außenspange oder empfindliche Zähne in Kauf nehmen. Selbst zu zahlende Versiegelung schützt die Zähne, zahnfarbene Kunststoff- oder Keramikbrackets sorgen dagegen meist (nur) für eine unauffällige Optik.
Tipps: Drängen Sie darauf, dass Ihr Kieferorthopäde Sie über Sinn und Nutzen privat zu zahlender Leistungen detailliert aufklärt. Noch besser wäre es, wenn solche Leistungen bereits auf dem Kostenvoranschlag verständlich charakterisiert würden.
Alle Einzelpositionen durchgehen
Gehen Sie mit dem Kieferorthopäden die Positionen einzeln durch, fragen Sie nach dem fachlichen Hintergrund der Vorschläge. Sind die Maßnahmen medizinisch funktional zu begründen oder haben sie einen rein ästhetischen Charakter? Gibt es zur vorgeschlagenen Therapie und den Materialien Alternativen? Fragen Sie auch gezielt nach Kosten und Sparmöglichkeiten. Das Handwerk Kieferorthopädie kann viele Versorgungsmöglichkeiten bieten. Das zeigte sich auch bei unserer exemplarischen Auswahl. Nach Begutachtung durch einen Experten haben wir zwei Mädchen und einen Jungen zu jeweils zwei niedergelassenen Kieferorthopäden geschickt. Ihre Zahnfehlstellungen erfüllten die Voraussetzungen für eine anteilige Kostenerstattung durch die Kasse (siehe „So sind wir vorgegangen“). Von den Kieferorthopäden ließen wir einen Heil- und Kostenplan erstellen. Sie schlugen auch außervertragliche, privat zu zahlende Leistungen vor und berechneten die Kosten.
All das haben wir mit den Empfehlungen unseres Experten und eines weiteren Gutachters verglichen. Für jede Testperson standen uns somit Beurteilungen von zwei niedergelassenen Kieferorthopäden und zwei Fachgutachtern zur Verfügung.
Kein Vorschlag gleicht dem anderen
Unsere Untersuchung zeigt vor allem eines: Es stehen sehr viele Behandlungswege zur Verfügung, Zahnfehlstellungen zu korrigieren. Kein Vorschlag gleicht dem anderen. Zum Teil gibt es große Unterschiede in Ausführung und Preis – bei Therapievorschlägen, den Kosten und den privaten Zusatzleistungen.
Aus Gutachtersicht sehen die meisten Praxen eine gute kieferorthopädische Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung vor (siehe Fälle). Einen gravierenden Fehler hat kein Kieferorthopäde gemacht. Sie erkannten die Symptome und stellten meist die wesentlichen Diagnosen. Ihre Behandlungsvorschläge und die empfohlenen Apparaturen waren zwar unterschiedlich, aber bis auf Praxis 1 akzeptabel bis vertretbar.
Große Unterschiede bei Zuzahlung
Auffällig ist allerdings ein Sanierungsvorschlag, der in punkto Aufwand, Therapiedauer, Kosten und bei der privaten Zuzahlung alle anderen in den Schatten stellt. Der Kieferorthopäde aus Praxis 2 wählte für das 14-jährige Mädchen eine überaus aufwendige Versorgung. Die Therapie würde erst nach Abschluss des Wachstums beendet werden. Am Ende der Behandlung, vermutlich jenseits des 18. Lebensjahres, empfiehlt er ein Implantat.
Die private Zuzahlung beträgt so mit Implantat (etwa 1 000 bis 1 500 Euro) rund 3 400 bis 3 900 Euro. Die Kieferorthopädin in Praxis 1 wählte einen anderen Therapieweg – mit einer privaten Zuzahlung von 720 Euro (siehe Fall 1).
Tipp: Es gibt stets mehrere Lösungsmöglichkeiten, auch preiswerte. Der Patient muss aber danach fragen. Eine Zweit- oder Drittmeinung kann ebenfalls helfen, zu sparen. Beachten Sie: Fachliche Meinungen können sich widersprechen. Fragen Sie deshalb stets nach dem Nutzen und möglichen Risiken der jeweiligen Vorschläge.
Wählen und abwählen
Die Transparenz bei der Beschreibung der separat vom Heil- und Kostenplan aufgeführten, privat abzurechnenden Leistungen fehlte in allen sechs Praxen. Selbsterklärend war keiner dieser Kostenpläne. Nur in der Praxis 4 war der Kostenvoranschlag für die privaten Zuzahlungen zumindest übersichtlich gegliedert. Auch wurden dort die Einzelkosten und die jeweiligen Kostenfaktoren detailliert aufgeschlüsselt.
Angebote für außervertragliche Leistungen werden meist nicht als Module aufgebaut. Patienten können sich gewünschte Leistungspakete deshalb nicht einzeln aussuchen. Das hemmt die Entscheidungsfreiheit der Patienten respektive der Eltern erheblich. Kein Kieferorthopäde beschrieb in den Kostenplänen privat zu zahlende Leistungen näher. Eine informierte Entscheidung des Patienten/der Eltern ist so kaum möglich. Sie wissen nicht, was medizinisch wichtig ist, was dem Komfort oder der Ästhetik dient. Es wurde nicht deutlich, dass Positionen abgewählt werden können.
Prüfen, ob Extras das Geld wert sind
Bei privaten Zuzahlungen muss der Patient selbst – oder die Eltern für den Nachwuchs – über Sinn und Wertigkeit der Vorschläge entscheiden. Fragen Sie, ob die Leistung einer besseren Funktion dient oder die Behandlungsdauer verkürzt, wie hochelastische Bögen zum Beispiel. Oder erhöht die Leistung den Komfort, wie etwa eine Pendulum-Apparatur, die eine Alternative zur Außenspange ist? Oder verbessert sie lediglich die Optik? Das wäre zum Beispiel der Fall bei ansprechenden, wenig auffälligen, aber teuren zahnfarbenen Kunststoff- oder Keramikbrackets. Eine gute Funktion zu einem geringeren Preis bieten aber eben auch Brackets aus Stahl.
Kühle Atmosphäre schreckt ab
Weitere Auffälligkeiten: Nur in Praxis 4 wurde eine weitergehende Kiefergelenkuntersuchung oder eine manuelle Funktionsanalyse angeboten. Das wäre auch in Praxis 1, 2 und 3 sinnvoll gewesen. Im Fall 1 wurde nicht nach nächtlichem Zähneknirschen gefragt. Bei den Praxen 3 und 4 sollten Gesichtsfotos überflüssigerweise auch privat abgerechnet werden.
Die beiden Mädchen, der Junge und die Eltern haben auch die Praxisabläufe beschrieben und die Praxisatmosphäre bewertet. Überraschend: In drei von sechs Praxen würden die Patienten und ihre Eltern eine Behandlung nicht beginnen wollen. Die Ursache: Eine „kühle Atmosphäre“ durch einen unpersönlichen Umgang – manchmal wurde der junge Patient von den Kieferorthopäden nicht einmal in das Gespräch einbezogen.
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