
Viele Unternehmen mit Anlageangeboten für Privatanleger müssen ihren Jahresabschluss in bestimmten Fristen beim Bundesanzeiger einreichen. Erstaunlich viele tun das nicht. Einige teilten mit, sie hätten nichts von der Pflicht gewusst. Andere beschwerten sich über den Bundesanzeiger.
Wenn Unternehmen Anlegergeld einwarben und später in Schieflage gerieten, stellte die Stiftung Warentest in den vergangenen Jahren oft eine Gemeinsamkeit fest: Ihre Jahresabschlüsse waren zu spät oder gar nicht im elektronischen Bundesanzeiger zu finden – etwa bei der Frankfurter Immobilienprojektentwicklerin AZP Projekt Steinbach GmbH und der auf erneuerbare Energien spezialisierten Te Solar Sprint IV GmbH & Co KG aus Aschheim. Verspätete Veröffentlichungen können ein Warnzeichen für Probleme sein.
Für welche Unternehmen die Sechs-Monats-Frist gilt
Zum Schutz der Anleger hat der Gesetzgeber festgelegt, dass Unternehmen mit folgenden Arten von Geldanlagen spätestens sechs Monate nach Geschäftsjahresende ihre Zahlen beim Bundesanzeiger einreichen müssen:
- Beteiligungen an geschlossenen Investment-Kommanditgesellschaften (alternative Investmentfonds, AIF),
- Vermögensanlagen seit Juli 2012,
- Schwarmfinanzierungen mit Vermögensanlagen-Informationsblatt (VIB) seit Juli 2015.
Wir haben 923 solcher Unternehmen gefunden, die für 2018 in der Sechs-Monats-Frist veröffentlichungspflichtig waren, und haben geprüft, wie das klappt. Anleger beteiligen sich in der Regel am Unternehmen oder geben Nachrangdarlehen, stehen also im Insolvenzfall hinter anderen Gläubigern. Sie zeichnen die riskanten Angebote bei den Unternehmen selbst, über Vermittler oder Crowdfunding-Plattformen und hoffen auf hohe Renditen.
Unser Rat
Bundesanzeiger. Unternehmen, die Anlegern in Deutschland Geldanlageangebote machen, müssen ihre Jahresabschlüsse im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichen. Suchen Sie nach dem Abschluss der Firma, bei der Sie investiert haben oder dies tun wollen (unternehmensregister.de).
Nachfragen. Der Jahresabschluss ist nicht zu finden? Fragen Sie beim Unternehmen, dem Bundesanzeiger oder gegebenenfalls der Crowdfunding-Plattform nach, über die Sie das Geld angelegt haben.
Deutliche Mehrheit verspätete sich
Das Ergebnis der Prüfung war schockierend. Nur 104 Jahresabschlüsse für 2018 waren sechs Monate nach Geschäftsjahresende, also meist am 1. Juli 2019, im Bundesanzeiger abrufbar, 819 Abschlüsse fehlten am Stichtag. Von 389 Firmen, also 42 Prozent der 923 in unserer Analyse, war weitere sechs Monate später, am 1. Januar 2020, noch nichts zu finden. Das galt vor allem für Unternehmen aus dem Ausland und Crowdfundings.
Das ist keine Lappalie: Im Jahr 2015 hat der Gesetzgeber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) Befugnisse gegeben, Ungereimtheiten in Jahresabschlüssen nachzugehen. Eigentlich ist alles geregelt, um die Veröffentlichung sicherzustellen. Die Bafin teilt dem Bundesanzeiger mit, für wen die Sechs-Monats-Frist gilt, und dieser meldet säumige Firmen an das Bundesamt für Justiz, das Ordnungs- und Bußgelder verhängt.
Diskrepanz zu den offiziellen Zahlen
Die Bafin veröffentlicht eine Datenbank, über die sich Unternehmen mit Sechs-Monats-Frist suchen lassen. Wir fanden darin alle Firmen, auf die sich unsere Analyse bezieht. Die Aufsichtsbehörde teilte uns aber nicht mit, wie viele sie dem Bundesanzeiger gemeldet hat. Der Bundesanzeiger erläuterte ebenfalls nur gesetzliche Regelungen.
Das Bundesamt für Justiz nannte uns Zahlen für einen Teilbereich: Unternehmen, die unter das Vermögensanlagengesetz fallen. Zum Geschäftsjahr 2018 habe der Bundesanzeiger 114 als „offenlegungssäumig“ gemeldet. Für 2017 waren es 69 und für 2016 46. Das sind erstaunlich wenige. Wir hatten ein Mehrfaches an säumigen Emittenten von Vermögensanlagen für 2018 gefunden. Die Diskrepanz ließ sich bis Redaktionsschluss nicht klären.
Es wäre möglich, dass die Listen der Bafin für den Bundesanzeiger nicht vollständig waren, zum Beispiel Schwarmfinanzierungen nicht umfassten. Es könnte auch sein, dass dem Bundesanzeiger Versäumnisse nicht immer auffielen. Beide äußerten sich bis Redaktionsschluss nicht zu den Gründen.
Bundesanzeiger braucht Zeit
Wir haben die 819 Emittenten mit verspäteter oder fehlender Veröffentlichung angeschrieben. Ein knappes Viertel reagierte, vor allem solche, deren Zahlen etwas verspätet, ab Sommer oder Herbst, zu finden waren. 69 Gesellschaften teilten mit, sie hätten die Zahlen fristgerecht eingereicht, aber zum Teil vier bis sechs Wochen, in einem Fall sogar Monate auf die Veröffentlichung im Bundesanzeiger warten müssen. Die alternativen Investmentfonds Wealthcap Fondsportfolio Private Equity 21 und Private Equity Portfolio 2017 etwa nannten das Einreichdatum 28. Juni 2019. Die Zahlen waren erst am 14. August beziehungsweise 23. August abrufbar.
Carmen Heinz vom Bundesanzeiger Verlag legt sich gegenüber der Stiftung Warentest nicht fest, wie lange es vom Einreichen bis zur Veröffentlichung dauert. Das hänge „immer am Einzelfall“. Manchmal seien Fragen zu klären.
Zu spät oder gar nicht
Wenig Transparenz für Anleger: Sechs Monate nach Geschäftsjahresende müssen die 923 von uns befragten Unternehmen ihren Jahresabschluss beim Bundesanzeiger einreichen. Bei gut 42 Prozent war der Jahresabschluss 2018 jedoch noch nicht einmal zwölf Monate später abrufbar.

Beteiligungsmodelle liegen vorn
Pünktlich oder nur mäßig verspätet tauchten im Bundesanzeiger die Zahlen vieler Anlageangebote auf, bei denen Anleger Mitunternehmer werden. Bei diesen Beteiligungen müssen Anleger als Gesellschafter innerhalb von neun Monaten über den Jahresabschluss abstimmen. Viele Anbieter versuchen, das schon binnen sechs Monaten zu schaffen.
Crowdfundings hinken beim Veröffentlichen hinterher
Mehr als die Hälfte der Emittenten sammelte Geld von Anlegern über eine Crowdfunding-Plattform ein.

Weniger gut sah es bei Vermögensanlagen wie Nachrangdarlehen und partiarischen Darlehen aus, bei denen die Rendite der Anleger zwar von den Unternehmensergebnissen abhängt, sie aber nicht beteiligt sind und keine Mitspracherechte haben. Bei Schwarmfinanzierungen (Crowdfundings) fehlten selbst am 1. Januar 2020 noch 332 von 555 Jahresabschlüssen.
Das ist verwunderlich. Die Crowdfunding-Plattformen, die Unternehmen und Anleger zusammenbringen, verpflichten die Unternehmen vertraglich, sogar häufiger und früher als vorgeschrieben über die Lage zu informieren. Anleger können sich aber nicht darauf verlassen, dass die Firmen das tun.
Das Problem: Die Plattformen können das Veröffentlichen nicht durchsetzen. So hatten sich die HR Wind GmbH und die RMS GmbH über sie Geld in Form von Nachrangdarlehen besorgt, blieben die Abschlüsse aber bis Redaktionsschluss schuldig. Die Plattformen, GLS Crowdfunding GmbH und LeihDeinerUmweltGeld, wiesen nach eigener Darstellung mehrfach auf die überschrittenen Veröffentlichungsfristen hin. Eine Finanztest-Anfrage an HR Wind GmbH und RMS GmbH war nicht zustellbar.
Viele Verstöße bei Anlagen ohne Mitspracherecht
Branchen. Unternehmen aus allen Geschäftszweigen haben den Jahresabschluss 2018 zu spät oder nicht veröffentlicht. Die Grafiken zeigen beispielhaft die wichtigen Branchen Immobilien und Energiegewinnung.

Anlegerrechte. Bei Angeboten ohne Mitspracherecht, bei denen Anleger nicht Miteigentümer sind, fanden wir viele Verstöße gegen die Pflicht, Jahresabschlüsse zu veröffentlichen.

Gerade beim Crowfunding bringen Anleger viel Vertrauen auf
Dass gerade die Crowdfundings negativ auffallen, ist umso ärgerlicher, da Anleger fast nie Mitspracherechte haben und viel Vertrauen aufbringen. Viele Unternehmen müssen nur ein Vermögensinformationsblatt mit drei Seiten vorlegen. Bei anderen Vermögensanlagen und alternativen Investmentfonds ist ein ausführlicher Verkaufsprospekt Vorschrift.
Hinterlegen reicht nicht – geschieht aber trotzdem
Kleinstunternehmen müssen im Normalfall nur abgespeckte Zahlen beim Bundesanzeiger hinterlegen, statt sie zu veröffentlichen. Wer die Zahlen lesen will, muss sich in diesem Fall registrieren und eine Gebühr zahlen. Für die Unternehmen mit Sechs-Monats-Frist ist das Hinterlegen aber nicht erlaubt.
Erstaunlicherweise hinterlegten jedoch 82 Unternehmen ihren Abschluss nur. Die Stiftung Warentest schickte dem Bundesanzeiger eine Liste von Unternehmen mit hinterlegten Jahresabschlüssen. Er äußerte sich nicht zu Einzelfällen, sondern verwies auf Ausnahmeregelungen im Gesetz. Dazu zählen diese Fälle aber nicht.
Von Firmen aus dem Ausland oft nur Schweigen
Wir haben die Unternehmen gefragt, warum sie Abschlüsse nur hinterlegt haben. Die Steuerberaterin der Plants4friends GmbH aus Seefeld in Österreich räumte ein, dass ein Fehler unterlaufen sei. Von den weiteren 123 Unternehmen aus dem Ausland war kein Abschluss veröffentlicht. Die meisten reagierten auf unsere Anfrage nicht oder behaupteten telefonisch, für sie gelte die Vorschrift nicht. Das ist falsch: Es kommt nicht auf den Sitz der Firma an, sondern darauf, ob die Geldanlage Anlegern in Deutschland angeboten wurde und unter das Vermögensanlagengesetz fällt.
Wofür die Zahlen wichtig sind
Für Anleger ist es wichtig, die wirtschaftliche Lage einzuschätzen. Bei einigen Angeboten haben sie das Recht zu kündigen. Die Zahlen helfen ihnen zu entscheiden, ob sie das tun sollen oder nicht. Wollen sie sich von ihrem Investment trennen, müssen sie dafür Käufer finden und mithilfe der aktuellsten Informationen den Wert einschätzen. Falls sie Prognoserechnungen haben, können sie die aktuellen Zahlen damit vergleichen.
Ein Blick in die Abschlüsse lohnt sich auch für Laien
Manchmal unterbreiten Unternehmen mehrfach Geldanlageangebote. Interessenten können sich dann anhand der veröffentlichten Abschlüsse ein Bild machen. Selbst wer keine Ahnung von Bilanzen hat, kann etwa Formulierungen im Lagebericht verstehen, dass sich Geschäfte nicht wie erwartet entwickelt hätten.
Liegen noch keine Zahlen vor, kann es sich lohnen nachzufragen. „Reconcept gibt auch vor Jahresabschluss-Veröffentlichungen stets Auskunft über die Entwicklung der jeweiligen Vermögensanlagen“, erläutert etwa Karsten Reetz vom Emissionshaus Reconcept, das auf erneuerbare Energien setzt.
Vorläufiges Fazit: Um wenige Wochen oder Monate verspätete Abschlüsse sind unproblematisch, hartnäckiges Verweigern lässt die Warnlampen angehen.