Inkontinenz Was Betroffenen hilft

0
Inkontinenz - Was Betroffenen hilft

Inkontinenz ist eine Volks­krankheit – Millionen Deutsche leiden darunter. Trotzdem ist Blasen­schwäche ein Tabu­thema. Viele Betroffene nehmen die Beschwerden einfach hin, nicht nur aus Scham, sondern auch aus Unwissenheit. Dabei lässt sich Inkontinenz oft erfolg­reich behandeln. test nennt Therapie­möglich­keiten und gibt Tipps, um Harnin­kontinenz vorzubeugen. Das Wichtigste ist: Nicht abwarten, sondern handeln.

[Update] Im März 2017 ist unser Test von Inkontinenz­produkten erschienen (Windeln für Erwachsene – nicht alle halten dicht). [Update Ende]

Jeder Zehnte ist davon betroffen

„Mir ist dieses Thema echt unangenehm und deswegen war ich auch noch nicht bei einem Arzt“, schreibt die vierfache Mutter Ina in einem Internetforum. Seit zwei Jahren macht sie sich regel­mäßig in die Hose, wenn sie husten muss. In Deutsch­land hat etwa jeder Zehnte seine Blase nicht unter Kontrolle – mit dem Alter steigt das Risiko. Ina leidet vermutlich unter einer Belastungs­inkontinenz. Lastet Druck auf dem Bauchraum, wie beim Husten, Niesen oder schweren Heben, geht unfreiwil­lig Urin verloren. Der Schließ­mecha­nismus der Harn­röhre funk­tioniert nicht mehr zuver­lässig. Ursache ist meist ein schwacher Beckenboden. Der ist bei Frauen schwächer ausgeprägt als bei Männern. Schwangerschaften und Geburten wie im Fall von Ina bean­spruchen ihn zusätzlich.

Kein reines Frauen­problem

Frauen leiden zwei- bis viermal häufiger unter Blasen­schwäche als Männer. Während Belastungs­inkontinenz öfter Frauen trifft, leiden Männer meist unter Drangin­kontinenz. Bei dieser Form liegt eine Fehl­funk­tion des Blasenmuskels vor. Der Harn­drang tritt plötzlich auf und ist so stark, dass der Urin nicht mehr gehalten werden kann, obwohl die Blase noch nicht voll ist. Diese Blasen­schwäche kann eine Folge von Harnwegs­infektionen, von neurologischen Erkrankungen oder einer Prostata­vergrößerung sein, auch psycho­somatische Ursachen sind möglich.

Beckenboden und Blase trainieren

Oft nehmen Betroffene ihre Beschwerden einfach hin – nicht nur aus Scham, auch aus Unwissenheit. Viele denken, dass sich Blasenleiden nicht therapieren lassen. „Doch das stimmt nicht“, sagt Professor Dr. Daniela Schultz-Lampel, Urologin und Leiterin des Kontinenzzentrums Südwest. „Zwar gilt: Je früher die Diagnose Inkontinenz gestellt wird, umso besser. Für eine Behand­lung ist es aber nie zu spät.“ Therapie der ersten Wahl bei Belastungs­inkontinenz ist gezieltes Beckenbodentraining. Der Beckenboden, ein Geflecht aus Muskeln, Sehnen und Bändern, verläuft vom Steiß­bein zu den beiden Sitz­beinhö­ckern hin zum Scham­bein. Er stabilisiert die Organe des Bauch- und Beckenraums. „Um auch die richtigen Muskeln zu trainieren, sollten die Übungen am besten unter physio­therapeutischer Anleitung erlernt werden“, sagt Schultz-Lampel. Dann sorgt regel­mäßiges und konsequentes Training für eine dauer­haft gestärkte Muskulatur. Ein trainierter Beckenboden kann auch helfen, Drang­beschwerden zu verringern. Beckenboden­übungen empfehlen sich deshalb auch bei Drangin­kontinenz. Ebenso nützt ein Blasentraining. Dabei werden die Abstände zwischen den Toilettengängen schritt­weise vergrößert.

Präparate mit Einschränkung geeignet

Parallel zum Blasentraining wird Drangin­kontinenz meist medikamentös mit Anticholinergika behandelt. Sie sollen die Blasenmuskulatur entspannen, sodass sich die Blase stärker dehnen und mehr Inhalt fassen kann. Dazu zählen die verschreibungs­pflichtigen Wirk­stoffe Oxybutynin, Tolterodin, Fesoterodin, Trospium, Propiverin, Darifenacin und Solifenacin. Die Stiftung Warentest bewertet alle als „mit Einschränkung geeignet“. Sie bessern die Beschwerden bei einem Groß­teil der Betroffenen nicht spür­bar oder nur gering­fügig und können außerdem Neben­wirkungen wie Mund­trockenheit, Verstopfung und Sehstörungen mit sich bringen. Zur Behand­lung von Belastungs­inkontinenz ist nur ein Wirk­stoff zugelassen und nur für die Therapie von Frauen Duloxetin. Er steigert die Spannung des Harn­röhrenschließ­muskels, der die Blase so länger dicht­halten kann. In Studien brachen viele Frauen die Behand­lung wegen der Neben­wirkungen ab. Duloxetin verursacht etwa Übel­keit, Mund­trockenheit, Müdig­keit, Kopf­schmerzen, Schwindel, Schlaflosig­keit, Verstopfung. Bis sich das Nutzen-Risiko-Verhältnis sicher einschätzen lässt, bewertet die Stiftung Warentest auch diesen verschreibungs­pflichtigen Wirk­stoff als „mit Einschränkung geeignet“.

Tipp: In unserer Daten­bank Medikamente im Test finden Sie ausführ­liche Informationen zu den einzelnen Wirk­stoffen. Noch ausführ­lichere Information bietet der Ratgeber Inkontinenz. Das Buch ist für 19,90 Euro oder als PDF-Download für 15,99 Euro im test.de-Shop erhältlich. Es richtet sich an Frauen und Männer und enthält Empfehlungen für Therapie- und Trainings­formen sowie eine Über­sicht über Medikamente und alternative Methoden.

Hilfs­mittel für mehr Sicherheit

Um den Alltag mit Inkontinenz zu erleichtern, gibt es diverse Hilfs­mittel. Inkontinenzeinlagen zum Beispiel können Urin binden und speichern, die empfindliche Haut trockenhalten und eine unangenehme Geruchs­entwick­lung verhindern. Gerade Frauen behelfen sich aus Scham oft mit Damen­binden und Slip­einlagen. Die sind wegen ihrer geringen Saug­fähig­keit für Urin bei Blasen­schwäche aber unge­eignet.

Tipp: Inkontinenzeinlagen können auch vom Arzt verschrieben werden. Krankenkassen erstatten aber meist nur Hilfs­mittel bestimmter Anbieter, mit denen sie Verträge haben. Fragen Sie bei Ihrer Kasse nach.

Die Erfolgs­chancen sind gut

Pauschale Empfehlungen bei Harnin­kontinenz gibt es nicht. Das gelte auch für Erfolgs­raten, sagt die Pflegewissenschaft­lerin Dr. Daniela Hayder-Beichel. Im Auftrag der unabhängigen Cochrane Collaboration befasst sie sich mit der Wirk­samkeit von Therapiemaß­nahmen bei Inkontinenz. „Blasen­schwäche lässt sich oft erfolg­reich behandeln. So zeigen Studien, dass konservative Methoden wie Beckenboden­therapie bei vielen positive Effekte erzielen“, sagt sie. „Jede Behand­lung muss aber individuell abge­stimmt werden. Sie richtet sich nach Ursache, Art sowie Stärke der Inkontinenz und nach der Lebens­situation.“ Auch invasive Therapien wie Operationen können helfen. Sie kommen aber erst in Betracht, wenn konservative Behand­lungen die Beschwerden nicht ausreichend bessern und Medikamente nicht wirken oder nicht vertragen werden. „Es ist wichtig, den Mut zu fassen und das Problem anzu­sprechen“, sagt Hayder-Beichel. Die erste Anlauf­stelle ist meist der Haus­arzt, für Frauen auch der Gynäkologe. Inter­disziplinäre Hilfe finden Betroffene in Kontinenz- und Beckenbodenzentren. Ina sucht jetzt ärzt­lichen Rat. Sie schreibt im Internetforum, dass sie einen Termin bei ihrer Gynäkologin vereinbart hat.

0

Mehr zum Thema

0 Kommentare Diskutieren Sie mit

Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.