Die Zeichen der Zeit
Finanztest hat Befürchtungen und Argumente rund um das Thema Inflation geprüft. Was spricht für und was gegen eine Geldentwertung?
Die jährliche Inflationsrate liegt derzeit deutlich unter 2 Prozent. Diesen Wert hat die Europäische Zentralbank (EZB) als kritische Marke definiert. Solange die 2 Prozent auf Jahressicht nicht überschritten werden, spricht die EZB von stabilen Preisen.
Volkswirtschaftliche Indikatoren sprechen zurzeit nicht für eine bedrohliche Inflation. Dennoch hält sich hartnäckig die Angst vor einer Geldentwertung. Finanztest hat die Argumente der Inflationswarner gesammelt und prüft, was davon zu halten ist.
Die EZB hat die Notenpresse angeworfen. Deswegen droht Inflation.
Pro: Richtig ist, dass die Geldmenge der Zentralbank seit Ende 2008 enorm gewachsen ist. Die EZB will damit in einer Zeit, in der sich die Banken untereinander kaum mehr Geld leihen, einer Kreditklemme entgegenwirken.
Kontra: Stark angewachsen ist aber nur die Basisgeldmenge (siehe Grafik), Volkswirte sprechen auch von Zentralbankgeld oder von der Geldmenge M0. Geschäftsbanken leihen sich dieses Geld bei der Zentralbank und können es dann in Umlauf bringen, indem sie beispielsweise Kredite an Unternehmen vergeben.
Diese Schwemme von Zentralbankgeld führt nicht zwangsläufig zu mehr Banknoten, steigenden Preisen und damit zu einer Inflation. Entscheidend ist, ob das Geld in der realen Wirtschaft und beim Verbraucher ankommt. Das ist bislang nicht geschehen.
Denn die Geldmenge, die tatsächlich im Umlauf ist – die Geldmenge M3 –, hat sich nicht erhöht, sondern wurde in der Krise sogar etwas kleiner. Zu M3 gehören beispielsweise Bargeld, Spareinlagen und Schuldverschreibungen mit kurzen Laufzeiten.
Erst wenn die Unternehmen im großen Stil Kredite nachfragen, die Banken sie auch vergeben und die Zentralbank die Basisgeldmenge bei einem wirtschaftlichen Aufschwung nicht rechtzeitig verkleinern würde, könnte die Inflationsrate steigen.
Die EZB nimmt die Inflationsbekämpfung nicht mehr ernst.
Pro: Kritisch bewerten einige Experten, dass die EZB im Mai begonnen hat, Staatsanleihen hochverschuldeter Staaten zu kaufen. Für manche hat sie deswegen sogar ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt. Bislang hatten sich die Währungshüter stets gegen den Kauf solcher Staatsanleihen gewehrt, weil sie damit die Schulden Griechenlands und anderer in Bedrängnis geratener Länder finanzieren würden.
Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbietet im Artikel 123 den Direktkauf von Staatsanleihen beim herausgebenden Land. Die Notenbank kaufte die Wertpapiere stattdessen auf dem Sekundärmarkt. Das ist nicht verboten.
Der Ankauf von Staatsanleihen führt zunächst zu einer Erhöhung der Geldmenge.
Kontra: Die Notenbank hält dagegen, dass sie die Anleihenkäufe durch andere geldpolitische Instrumente kompensieren will. Sie selbst spricht davon, dass die Anleihenkäufe „neutralisiert “ werden.
Die wöchentlich von der EZB veröffentlichten Bilanzen zeigen, dass die EZB bisher Wort gehalten hat. Die rund 27 Milliarden Euro, die sie bisher zum Ankauf der Staatsanleihen ausgegeben hat, hat sie bei den Geschäftsbanken wieder eingesammelt und damit dem Markt entzogen (Stand 21. Mai 2010).
Der Staat will über den Weg der Inflation Schulden abbauen.
Pro: Die Neuverschuldung im Euro-Raum ist während der Finanzkrise durch die milliardenschweren Rettungspakete für die Banken und die Finanzspritzen für die Konjunktur enorm gestiegen (siehe Grafik). Gleiches gilt für die USA und Japan. Die Staaten sind durch ihre Schuldenberge in eine Zwickmühle geraten. Sie müssen ihre Schulden abbauen, ohne durch zu drastische Sparmaßnahmen oder Steuererhöhungen die Konjunktur zu drosseln. Von einer Inflation würden sie – wie alle Schuldner – profitieren, weil die Geldentwertung die reale Schuldenlast verringert.
Kontra: Den Staaten im Euro-Raum stehen selbst keine geldpolitischen Instrumente zur Verfügung, um am Geldmarkt mitzumischen und die Inflation anzukurbeln. Nur wenn die EZB abhängig von der Politik wäre, könnte es den Staaten gelingen, ihre Schulden „wegzuinflationieren“.
Die Staaten müssen außerdem auf ihren guten Ruf achten. Sie finanzieren ihre Schulden am Kapitalmarkt, indem sie Anleihen herausgeben. Verhielten sie sich so, wie oben beschrieben, würden sie schnell das Vertrauen der Anleger verlieren. Sie hätten Schwierigkeiten, sich weiterhin am Kapitalmarkt zu finanzieren, und würden womöglich von Ratingagenturen schlechte Noten erhalten. Die Staaten müssten dann für ihre Schulden höhere Zinsen zahlen und wären alles andere als Inflationsgewinner.
Der schwache Euro sorgt für Inflation.
Pro: Ein fallender Euro treibt die Teuerungsrate im Euro-Raum nach oben. Denn sowohl Rohöl als auch Metalle und andere Rohstoffe werden überwiegend in Dollar bezahlt. Je schwächer der Euro, desto teurer sind Rohstoffe.
Im April verteuerten sich nach Angaben des Statistischen Bundesamts die Energiepreise im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,2 Prozent.
Kontra: Trotz der gestiegenen Energiepreise betrug die Inflationsrate in Deutschland von April 2009 bis April 2010 nur 1 Prozent. Ohne den Energiepreisanstieg läge sie bei 0,3 Prozent. Europaweit beträgt sie 1,5 Prozent. Der Hintergrund: Gestiegene Energiepreise können zumindest teilweise durch fallende Preise anderer Güter oder Dienstleistungen ausgeglichen werden. Im April fielen zum Beispiel die Preise für Fernsehgeräte, Mehl und Zucker, während die Energiepreise anzogen.
Wenn die Wirtschaft anzieht, kommt die Inflation.
Pro: Zu Preissteigerungen kann es kommen, wenn die Verbraucher mehr konsumieren wollen, die Wirtschaft aber nicht in der Lage wäre, diese Nachfrage zu bedienen. Zum Beispiel, weil sie keine freien Produktionskapazitäten hat.
Kontra: Die Kapazitätsauslastung der Industrieproduktion in Deutschland liegt derzeit nur bei etwa 75,5 Prozent, die Lücke beträgt also 24,5 Prozent (siehe Grafik). Solange es diese Auslastungslücken gibt, kann das Warenangebot ausgeweitet werden, ohne dass es zu Angebotsengpässen und damit zu steigenden Preisen kommt.
Inflation kann auch von außen importiert werden.
Pro: Diese Situation hatten wir zum Beispiel 1973 und 1974 in der ersten Ölkrise. Die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) vervierfachte den Ölpreis innerhalb kurzer Zeit: von 3 Dollar auf 12 Dollar pro Barrel. Die Unternehmen gaben diese Steigerung weiter und verteuerten ihre Produkte. Die Inflationsrate betrug in diesen zwei Jahren in Deutschland 6,8 und 7,0 Prozent.
Die Nachfrage ging daraufhin zurück. In solchen Phasen gibt es keinen Spielraum für Preissenkungen, um die Nachfrage anzukurbeln. Die Wirtschaftsleistung verringerte sich in der Folge im Jahr 1975 um 0,9 Prozent. Das nennt man auch Stagflation – eine Mischung aus Stagnation und Inflation.
Kontra: Der derzeitige Ölpreisanstieg hat weniger mit der Politik der Opec zu tun. Er geht eher auf die Euroschwäche gegenüber dem US-Dollar zurück.