Individuelle Gesund­heits­leistungen – Igel Was tun, wenn der Arzt zur Kasse bittet

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Individuelle Gesund­heits­leistungen – Igel - Was tun, wenn der Arzt zur Kasse bittet

Viele Ärzte bieten Patienten Leistungen an, die diese selbst bezahlen müssen. Finanztest sagt, was Versicherte dabei beachten sollten.

Das weiß Anne Klenk sicher. In diese Haut­arzt­praxis wird sie nicht mehr gehen: „Ich stand fast nackt vor der Ärztin und sie erklärte mir, warum ein Auflicht­mikroskop zur Haut­krebs-Früh­erkennung unbe­dingt nötig sei“, sagt die 37-Jährige. 19 Euro sollte damals die Unter­suchung per Mikroskop kosten.

Ihre Krankenkasse über­nahm nur die Kosten für den Ganz­körper-Check mit dem Auge, nicht aber für die Unter­suchung mit dem Mikroskop. „Gegen das Angebot hatte ich nichts. Jedoch fühlte ich mich von der Ärztin stark bedrängt“, sagt Klenk.

Der Einsatz des Auflicht­mikroskops, wie im Fall von Anne Klenk, gehört zu den individuellen Gesund­heits­leistungen, kurz Igel. Mindestens 350 davon gibt es aktuell. Zu den häufigsten zählen laut Umfrage der Verbraucherzentralen die Glau­komdiagnostik (grüner Star), Ultra­schall beim Frauen­arzt, die professionelle Zahn­reinigung und Blut­unter­suchungen. Für Ärzte ist das ein lohnendes Geschäft: Der Umsatz von Igel-Angeboten stieg dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WidO) zufolge von 2008 bis 2010 von rund 1,0 auf 1,5 Milliarden Euro. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor.

Prüfung des Nutzens

Individuelle Gesund­heits­leistungen – Igel - Was tun, wenn der Arzt zur Kasse bittet

Igel-Angebote.

Für welche Leistungen die Krankenkassen die Kosten über­nehmen, steht im Fünften Sozialgesetz­buch: Sie „müssen ausreichend, zweck­mäßig und wirt­schaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht über­schreiten“.

Bei Extra­leistungen ist jedoch der konkrete Nutzen meist nicht nachgewiesen und so sind sie im Leistungs­katalog der gesetzlichen Kranken­versicherung (GKV) nicht enthalten. Versicherte müssen sie selbst bezahlen. Leistungen werden in den Katalog aufgenommen, wenn eine Unter­suchungs- oder Behand­lungs­methode vom Gemein­samen Bundes­ausschuss (GBA) als positiv und damit als medizi­nisch notwendig bewertet worden ist. Der Ausschuss prüft mithilfe wissenschaftlicher Studien, ob sie einen diagnostischen und medizi­nischen Nutzen hat. Er setzt sich zusammen aus den Vertretern der Krankenkassen, Ärzte und Krankenhäuser. Patienten­vertreter können an den Ausschuss­sitzungen teilnehmen, ein Stimm­recht haben sie aber nicht.

Manchmal zahlt die Kasse

Doch nicht immer zahlen Patienten Extra­leistungen selbst: Wenn etwa ein konkreter Krank­heits­verdacht besteht, über­nimmt die Kasse die Kosten für eine Igel-Unter­suchung. Ist beispiels­weise die Prostata eines Mannes verdickt und der Arzt ertastet das, bezahlt die Krankenkasse den PSA-Test zur Prostata­krebs­diagnose. Gibt es jedoch keine Beschwerden, gilt das als Vorsorgeleistung, die nur bezahlt wird, wenn sie in den Vorsorgericht­linien der Krankenkasse steht und der Versicherte bestimmte Bedingungen, wie etwa ein gewisses Alter erfüllt.

Manche Kassen bieten ihren Versicherten auch die Kosten­über­nahme ganz bestimmter Extras an. Dazu zählen beispiels­weise Reiseimpfungen, die professionelle Zahn­reinigung oder auch der Hautcheck mit dem Auflicht­mikroskop (siehe „Unser Rat“).

Vom Patienten zum Kunden

Extra­leistungen, die Ärzte privat abrechnen, unterliegen nicht der Kontrolle gesetzlicher oder privater Krankenkassen. „Der Versicherte gerät im Behand­lungs­zimmer leicht in einen Rollenkonflikt, wenn er vom Patienten zum Kunden wird und sich plötzlich in einem Verkaufs­gespräch mit dem Arzt wieder­findet“, sagt Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale Hamburg. Ihm fehlt dann meist das medizi­nische Wissen, um tatsäch­lich bewerten zu können, ob eine Leistung wirk­lich erforderlich ist. Das verunsichert. Häufige Konsequenz: Der Patient verliert das Vertrauen, wechselt den Arzt und ist gegen­über künftigen Therapien skeptisch.

Mit Worten verkaufen

Um die privaten Leistungen an den Mann oder die Frau zu bringen, nutzen viele Mediziner Argumente, die sie in Verkaufs­seminaren erlernt haben. Häufig führen sie Versicherte so in die Irre. Eine typische Aussage ist: „Die Leistung ist besser als das, was die Kasse Ihnen bezahlt.“ Das Argument greift jedoch zu kurz, denn bis dahin gibt es oft noch keinen eindeutigen wissenschaftlichen Nach­weis, dass die durch den Arzt angebotene Leistung tatsäch­lich besser ist als die entsprechende aus dem GKV-Katalog.

Eine andere gern gewählte Aussage: „Diese Leistung wird nicht mehr von der Krankenkasse bezahlt.“ Die Wort­wahl greift ein häufiges Vorurteil von den knaus­rigen Kassen auf. Doch die Aussage ist oft falsch, denn kaum eine GKV-Leistung wird plötzlich zur Extra­leistung. Dass nach­träglich kein ausreichender Nutzen fest­gestellt wird, kommt nur selten vor.

Die zehn Igel-Gebote

Auch Anne Klenks Ärztin versuchte, sie mit ähnlichen Argumenten zu über­reden und gehört damit wohl zu den schwarzen Schafen der Ärzteschaft. Der Deutsche Ärztetag hat 2006 eine Selbst­verpflichtung für den Umgang mit Igel-Angeboten verabschiedet. Auf dem jähr­lichen Ärztetag treffen sich die Bundes­vertreter der Ärzte und legen ihren gesund­heits­politischen Kurs fest.

Die „Zehn Gebote zum Umgang mit Igel“ legen unter anderem fest, dass jegliche Beratung im Zusammen­hang mit Igel Patienten nicht verunsichern oder verängs­tigen darf. Gleich­zeitig darf der Patient nicht gedrängt werden und der Mediziner muss ihm ausreichend Zeit einräumen, damit er sich auch eine Zweitmeinung einholen kann. All das hat Klenks Ärztin nicht getan: „Ich habe damals über­legt, mich über sie bei der Landes­ärztekammer zu beschweren“, sagt sie.

Die Kammer und auch die Kassen­ärzt­liche Vereinigung nehmen Beschwerden entgegen, wenn ein Arzt das Berufs­recht wie im Fall von Klenk verletzt. Die 37-Jährige hat dagegen mit den Füßen entschieden und sich eine neue Ärztin gesucht, der sie vertraut und mit der sie zufrieden ist.

Die Pflicht des Arztes

Doch was können Patienten von einem „guten“ Arzt erwarten? Schon im Warte­zimmer sollte der Arzt den Versicherten etwa mit einem Formular über seine zusätzlichen Leistungen informieren.

Wichtig ist, dass sich Patienten vor Abschluss des Vertrags ausreichend über das Diagnose- oder Behand­lungs­verfahren und über die Kosten informieren können. Die Gründe, warum eine Leistung von der Kasse nicht bezahlt wird, sollte der Arzt dem Patienten später im Behand­lungs­zimmer erläutern.

Er und nicht das Praxis­personal muss darüber aufklären, warum der Patient die Leistung benötigt. Es ist seine Pflicht – auch nach neuem Patientenrechtegesetz – ihn umfassend zu informieren über die Art und den Umfang der Therapie. Auch über gesundheitliche Risiken und eventuell auftretende Neben­wirkungen muss er aufklären, ebenso über mögliche Alternativen und die Nachbehand­lung.

Nicht auf Zuruf

Vor allem wenn Zusatz­leistungen sehr teuer sind wie zum Beispiel bei einer Schön­heits­operation ist es umso wichtiger, dass der Patient genügend Zeit bekommt und in Ruhe abwägen kann. Es muss ihm möglich sein, sich selbst zu informieren und auch mit einem anderen Arzt über die geplante Behand­lung zu sprechen.

Das beste Infomaterial zu den Igel-Angeboten liefert nach einer Unter­suchung des vom Bundes­verbraucher­schutz­ministerium beauftragten IGES Instituts der Igel-Monitor, ein Internetportal vom Medizi­nischen Dienst der Krankenkassen. Dort finden Verbraucher allgemeine Informationen und Bewertungen zu vielen Leistungen.

Neben Informations­material bekommt der Patient vom Arzt einen Aufklärungs­bogen, den er zum nächsten Termin unter­schrieben wieder mitbringt. Außerdem muss die Extra­leistung schriftlich in einem Behand­lungs­vertrag fest­gehalten werden, den der Patient auch unter­schreibt. Hier und auf der Rechnung nach Abschluss der Behand­lung muss die Leistung anhand der Gebührenziffer der Gebühren­ordnung für Ärzte (GOÄ) aufgeführt sein sowie die Anmerkung, dass es sich um eine Privatleistung handelt. Pauschale Vergütungen sind nicht erlaubt.

Patienten unter Druck etwas anzu­drehen, was sie eigentlich nicht wollen, schadet nicht nur dem Geldbeutel des Patienten, sondern am Ende auch dem Arzt selbst. Viele, wie Anne Klenk, verabschieden sich dann und kommen nicht wieder.

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