
Das zweite Gesicht der Windpocken. Wer Windpocken hatte, trägt das Virus Varicella Zoster für immer im Körper. Es kann Jahrzehnte im Nervensystem schlummern. Alter, Stress und Krankheiten können den Erreger reaktivieren. Er löst dann Gürtelrose aus, sichtbar am Hautausschlag. © Illustration: K. Hammling; Your_Photo_Today / A. Leschinsk
Varicella-Zoster-Viren können zwei Krankheiten auslösen: Windpocken und Gürtelrose. Gegen beides gibt es Impfungen. Lesen Sie, wie die Stiftung Warentest sie einschätzt.
Ein Virus, zwei Krankheiten
Man sieht sich immer zweimal im Leben. Leider trifft das Sprichwort oft auch auf Varicella-Zoster-Viren zu. Zuerst verursachen sie meist schon im Kindesalter Windpocken, also juckende Pusteln am ganzen Körper. Die verschwinden wieder, doch die Viren bleiben. Sie können Jahrzehnte in bestimmten Regionen der Nerven schlummern. Ist das Immunsystem geschwächt, etwa durch Alter oder Krankheit, nutzen sie die Chance. Sie zeigen sich dann abermals als Ausschlag, der oft bandförmig erscheint und mit starken Schmerzen einhergeht: die Gürtelrose, fachsprachlich Herpes Zoster.
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Die Einschätzungen unserer Experten zu vielen weiteren Impfungen wie HPV, Keuchhusten, Tetanus & Co finden Sie in den Specials Impfungen für Kinder und Impfungen für Erwachsene.
Neuer wirkungsvoller Impfstoff
Zum Schutz vor dem Virus in beiden Varianten gibt es Impfungen. Die gegen Windpocken steht regulär bei kleinen Kindern an; die gegen Gürtelrose ist für ältere Menschen gedacht. Beide bewerteten wir in den vergangenen Jahren negativ. Inzwischen hat sich einiges getan.
- Zum einen gibt es heute mehr und positivere Erkenntnisse zur Windpocken-Impfung als früher.
- Zum anderen kam 2018 der gegen Gürtelrose wirkungsvolle Impfstoff Shingrix auf den Markt.
Veränderte Bewertung
Daher fällt das Urteil unserer Impf-Experten bei ihrer Neubewertung weit besser aus: Sie stufen die Windpocken-Impfung für Kinder sowie für Erwachsene, die Windpocken nicht durchgemacht haben und zu einer Risikogruppe gehören, als sinnvoll ein. Das gilt auch für die Impfung Älterer gegen Gürtelrose mit Shingrix. Im Gegensatz zum bereits länger erhältlichen Impfstoff Zostavax übernimmt ihn die Krankenkasse.
Gürtelrosen-Impfung ab 60 sinnvoll
Hohe Immunantwort. Shingrix ist ein Totimpfstoff. Er enthält nur bestimmte Proteine des Varicella-Zoster-Virus. Laut Studien erzeugt er eine hohe Immunantwort, schützt wirkungsvoll vor Gürtelrose und so vor chronischen Schmerzen – einer gefürchteten Folge.
Richtiges Timing. Zugelassen ist Shingrix ab 50 Jahre. Doch in diesem Alter ist das Risiko für Gürtelrose noch sehr gering. Zudem ist noch nicht ganz klar, wie lang die Impfung wirkt. Daher raten unsere Experten generell erst ab 60 dazu; quasi als Schutz zur rechten Zeit.
Abweichende Empfehlung. Damit unterscheidet sich unsere Einschätzung etwas von der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko). Sie rät bei Vorerkrankungen wie Immunschwäche bereits ab 50 Jahren zu Shingrix.
Lieferengpässe bei Shingrix
Es bleibt ein praktisches Problem: Die Nachfrage nach Shingrix war 2019 hoch, der Impfstoff oft knapp. Patienten können etwa mit dem Hausarzt besprechen, ob und wann die Impfung möglich ist. Sie erfordert zwei Dosen im Abstand von zwei bis sechs Monaten.
Nebenwirkungen im Blick
Zu den möglichen Nebenwirkungen zählen vorübergehende Schmerzen an der Einstichstelle. Beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sind Meldungen über Verdachtsfälle eingegangen, bei denen Symptome einer Gürtelrose wie bläschenartige Hautreaktionen nach einer Shingrix-Impfung aufgetreten sind. Gerade läuft eine Beobachtungsstudie zum Thema. Das PEI bittet Ärztinnen und Ärzte mitzumachen und das PEI zu kontaktieren, falls in ihrer Praxis entsprechende Verdachtsfälle im Zusammenhang mit der Impfung auftreten. Die Studie soll die möglichen Nebenwirkungen abklären. Wie immer gilt es, Risiken und Nutzen abzuwägen: Laut Zulassungsstudien verhindert Shingrix nahezu alle Fälle von Gürtelrose bei Menschen ab 60 Jahren.
Effizienter Impfschutz gegen Windpocken
Gegen Windpocken gibt es verschiedene Lebendimpfstoffe (Tabelle). Sie enthalten abgeschwächte Viren – und schützen laut Studien sehr effizient vor den ungezähmten. Alltagsdaten belegen das. In Deutschland gab es bis 2004, als die allgemeine Impfempfehlung für Kinder kam, jährlich zirka 750 000 Windpocken-Fälle. Derzeit sind es etwa 22 600. Die Impfquote bei Kindern liegt inzwischen bei mehr als 80 Prozent. Auch diese Impfung kann Nebenwirkungen verursachen, etwa vorübergehende Beschwerden an der Einstichstelle oder Hautausschläge.
Welche Rolle spielt der „Booster-Effekt“?
An der Windpocken-Impfung gab es seit ihrer Einführung durchaus Kritik, angefangen bei der Notwendigkeit. Schließlich sind Windpocken bei Kindern meist harmlos. Bezüglich Gürtelrose schienen sogar negative Folgen denkbar – für die ältere Generation. Das Stichwort heißt „Booster-Theorie“. Demnach ist es für Erwachsene nach einer früheren Windpocken-Infektion wichtig, ab und an mit windpockenkranken Kindern in Kontakt zu kommen. Das diene quasi als Erinnerungskick fürs Immunsystem und somit als Schutz vor Gürtelrose. Und der falle infolge vieler geimpfter Kinder weg.
Kombinierte Impfstrategie
Laut aktuellen Studien, die 2019 und 2020 erschienen, spielt der Booster-Effekt tatsächlich eine Rolle – aber eine kleinere als bisher angenommen. Hinzu kommt: Zum Schutz vor Gürtelrose gibt es ja nun den neuen Impfstoff Shingrix (Tabelle). Es wirkt also günstig zusammen, Kinder gegen Windpocken zu impfen – und ältere Menschen gegen Gürtelrose.
Windpocken-Impfung schützt vielleicht auch vor Gürtelrose
Vielleicht wird Shingrix irgendwann sogar wieder überflüssig. Denn noch eine positive Nachricht zeichnet sich ab: Die Windpocken-Impfung scheint die Geimpften selber auch vor einer späteren Gürtelrose zu schützen. Allerdings liefen die Studien dazu noch nicht allzu lang. Sie erfassen vor allem die – vergleichsweise seltene – Gürtelrose bei Kindern. Wie sich die Raten im höheren Alter entwickeln, wenn die Menschen anfälliger sind, bleibt abzuwarten.
Herdenimmunität drängt Infektionen zurück
Schon jetzt nützt es der Gesellschaft, wenn viele Kinder gegen Erreger wie Windpocken, Röteln oder Masern geimpft sind. Denn wenn sie nicht erkranken, stecken sie niemanden an. Diese „Herdenimmunität“ drängt Infektionen insgesamt zurück und hilft vor allem jenen, die selber nicht geimpft werden dürfen. Dazu zählen Immungeschwächte und Schwangere. Für sie können auch die abgeschwächten Viren von Lebendimpfstoffen gefährlich werden – und erst recht die natürlichen.
Nutzerkommentare, die vor dem 28. Juli 2020 gepostet wurden, beziehen sich auf eine frühere Veröffentlichung zum selben Thema.
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@meyer-alzenau: Laut Ständige Impfkommission (Stiko) schützt eine durchgemachte Herpes Zoster Erkrankung nicht davor, wiederholt an einem Herpes Zoster zu erkranken. Die Herpes Zoster Impfung mit dem Totimpfstoff können auch Personen bekommen, die bereits in der Vergangenheit an Herpes Zoster erkrankt waren. Der Totimpfstoff ist allerdings nicht zur Behandlung einer Herpes Zoster Erkrankung oder ihrer Spätfolgen vorgesehen. Die Impfung sollte daher zu einem Zeitpunkt erfolgen, wenn die akute Erkrankung vorüber ist und die Symptome abgeklungen sind. Wenn eine Impfung sinnvoll ist sollte daher mit dem behandelnden Arzt abgesprochen werden.
Im Juni hatte ich eine Gürtelrose. Beim Auftreten der ersten Schmerzen und Hautblasen ging ich sofort zum Arzt und erhielt Virostatika. Die Behandlung verlief sehr gut. Ich habe keine Schmerzen zurück behalten. Frage: Sollte ich mich nach dem Zoster auch noch Impfen lassen, oder ist mein Immunsystem durch die Bekämpfung der Infektion Widerstandsfähig gegen eine weitere Gürtelrose?
@Schmetterer: Wie Sie richtig schreiben, teilte das PEI mit, dass die Studie zum 14.10.2020 beendet wurde. Damit endete der Aufruf an Ärzte, an der Studie teilzunehmen und Verdachtsfälle zu melden sowie die entsprechende Dokumentation vorzunehmen. Ein Ergebnis der Studie auf der Grundlage der Auswertung der gesammelten Daten liegt noch nicht vor. Unsere Einschätzung, dass eine Impfung gegen Gürtelrose mit Shingrix ab 60 Jahre sinnvoll ist, hat damit nach wie vor Bestand. (ka/cr)
Liebes Stiftung-Warentest-Team,
die in Ihrem Artikel geannte Beobachtungsstudie des PEI wurde am 14.10.20 beendet, d.h. lt. Website des PEI wurden keine neuen Verdachtsfälle in die Studie aufgenommen.
Mittlerweile sind 5 Monate vergangen und ich kann nirgendwo das Ergebnis dieser Studie finden.
Ich bitte Sie das Ergebnis dieser Studie zu veröffentlichen.
Stehen Sie im Hinblick a.d. Studie weiterhin der Anwendung der Shingrix-Impfung positiv gegenüber bzw. raten Sie abzuwarten?
eigentlich logisch. Denn die Gürtelrose entsteht durch Reaktivierung der "schlummernden" Windpockenviren, die nach der durchgemachten Infektion im Körper verblieben sind. Wenn ein Kind jedoch gegen Windpocken geimpft ist, werden die Windpockenviren gleich durch die bereits vorhandenen Antikörper unschädlich gemacht, verursachen keine Infektion und können sich demzufolge auch nicht einnisten um später im Alter erneut krank zu machen. Die Windpockenimpfung im Kindesalter ist also doppelt sinnvoll.