
Früher Start. Viele Impfungen sind schon bei ganz kleinen Kindern empfohlen.
Spritzen begleiten uns durchs ganze Leben – von der Mehrfach-Impfung als Baby bis zur Grippeimpfung im Seniorenalter. Befürworter sehen Impfungen als wertvolle Waffe gegen Infektionskrankheiten. Skeptiker halten sie oft für ein unnötiges Risiko. Dazwischen stehen Verunsicherte, die nicht so recht wissen: Soll ich mich nun impfen lassen oder nicht? Was ist, wenn mein Kind die Impfung nicht verträgt? test.de sagt, was Sie über Impfungen wissen sollten – und entlarvt hartnäckige Mythen.
Wie Impfungen wirken
Was geschieht beim Impfen?
Bei einer Impfung werden abgeschwächte oder abgetötete Erreger beziehungsweise Bruchstücke davon in den Organismus eingeschleust, meistens per Spritze. Das Ziel: Ohne eine gefährliche Krankheit auszulösen, aktivieren sie als sogenannte Antigene das körpereigene Immunsystem, etwa zur Bildung von Antikörpern. Das soll fortan die echten Erreger abwehren und so vor der entsprechenden Infektionskrankheit schützen.
Ist die Wirksamkeit von Impfungen belegt?
Für Impfstoffe gelten in Deutschland ähnlich strenge Regeln wie allgemein für Medikamente. Impfstoffe dürfen hierzulande nur auf den Markt kommen, wenn klinische Studien ihre Wirksamkeit und Sicherheit belegen. Verantwortlich für die Prüfung sind die europäische Arzneimittelbehörde Ema sowie das deutsche Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Auch nach der Zulassung erheben Behörden, Firmen und unabhängige Forscher zu diesen Fragen Daten. Das ist wichtig, weil sich sehr seltene Nebenwirkungen teilweise erst bei einem breiten Einsatz eines Impfstoffs bei großen Bevölkerungsgruppen zeigen – genau wie das volle Ausmaß des Nutzens.
Beispiel 1 – Kinderlähmung: 1961 erkrankten in der Bundesrepublik fast 4 700 Kinder am Poliovirus – 1965 nicht einmal mehr 50. Das war eindeutig ein Erfolg der Schluckimpfung, die Anfang der 1960er Jahre eingeführt wurde. Heute ist das Leiden fast überall auf der Welt kein Thema mehr. Solange der gefährliche Erreger aber nicht in sämtlichen Staaten ausgerottet ist, wird die Impfung weiter empfohlen.
Beispiel 2 – Masern: Infolge erfolgreicher Impfstrategien hat die Zahl der Todesfälle durch Masern weltweit von 2000 bis 2018 um etwa 75 Prozent abgenommen. Dennoch sterben jährlich immer noch mehr als 100 000 Menschen an den Folgen der Infektionskrankheit, schreibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Warum ist es nicht immer mit einem Piks getan?
Um Impfstoffe möglichst verträglich zu machen, entschärfen Hersteller die enthaltenen Erreger biotechnologisch. Daher kann es sein, dass das Immunsystem schlechter darauf anspringt als auf die „puren Krankheitserreger“, also möglicherweise nicht gleich bei der ersten Dosis ausreichenden Schutz aufbaut.
Impfschema. Vor allem Totimpfstoffe brauchen für volle Wirkung normalerweise mehrere Dosen, teilweise auch regelmäßig eine Auffrischung. So sollten Erwachsene beispielsweise alle zehn Jahre an den Piks gegen Tetanus und Diphtherie denken. Ein Sonderfall ist die Grippeimpfung. Ihre Zusammensetzung wird, weil die Erreger sich ständig verändern, jedes Jahr neu festgelegt – mit wechselnden Erfolgsraten.
Impfschutz. Bezüglich der Schutzrate kann es also Unterschiede zwischen Impfungen geben. Außerdem ist es möglich, das das Immunsystem eines Anwenders individuell vergleichsweise schwach auf eine Impfung reagiert. Aber: Auf die gesamte Bevölkerung gerechnet, senken Impfungen die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung oft drastisch. Und kommt es doch zur Infektion, verläuft sie zumeist leichter als ohne Impfschutz.
Wann eine Impfung ratsam ist – Empfehlungen für Kinder und Erwachsene

Wer entscheidet eigentlich, welche Impfungen empfohlen sind?
Welche Impfungen offiziell empfohlen und von den Krankenkassen erstattet werden, entscheidet in Deutschland die Ständige Impfkommission (Stiko) am Robert-Koch-Institut. In den letzten Jahrzehnten nahm sie die meisten neu zugelassenen Impfungen in den Impfkalender auf – unnötig viele, meinen Skeptiker. Um unabhängige Einschätzungen zu treffen, überprüft ein Expertenkreis im Auftrag der Stiftung Warentest die gängigen Empfehlungen. Er berücksichtigt dabei Nutzen und Risiken der angebotenen Impfungen und Impfstoffe sowie die Häufigkeit und Schwere der zugehörigen Krankheiten. Die Einschätzungen der Stiftung Warentest weichen nur an wenigen Stellen von denen der Stiko ab. Ob Menschen Impf-Empfehlungen folgen, können und müssen sie zumeist selbst entscheiden, idealerweise in Absprache mit einem Arzt. Eine Impfpflicht gibt es in Deutschland nicht – bis auf neue Sonderregeln bezüglich der Masern-Impfung, etwa für Kinder und Beschäftigte in Kitas und Schulen.
Hinweis: Details zu unseren Einschätzungen sowie konkrete Impfkalender finden Sie in unseren Übersichten zu Kinderimpfungen und Erwachsenenimpfungen.
Warum müssen viele Impfungen schon so früh stattfinden?
Die allermeisten Impfungen werden bereits im Kindesalter empfohlen – angefangen bei der ersten Rotaviren-Impfung mit sechs Wochen über die erste Sechsfachimpfung mit zwei Monaten bis hin zur ersten Masern-Mumps-Röteln-Impfung mit knapp einem Jahr. Wie der Name „Kinderkrankheit“ verrät, sind manche Erreger wie Masern, Mumps, Röteln so ansteckend, dass sich früher – als es noch keine Impfungen gab – fast alle Menschen bereits im Kindesalter damit infizierten.
Neugeborene verfügen zunächst über einen „Nestschutz“, weil ihnen die Mutter über die Nabelschnur und später über das Stillen Antikörper überträgt. Doch diese „spendierte“ Immunabwehr hält höchstens wenige Monate. Zudem ist sie teilweise nur schwach beziehungsweise schützt nicht vor allen Erregern. Hinzu kommt, dass manche Krankheiten wie Keuchhusten oder Rotaviren- und Pneumokokken-Infektionen bei kleinen Kindern besonders bedrohlich verlaufen können – ein weiterer Grund, sie früh zu impfen.
Ist es nicht besser fürs Immunsystem, die Krankheit durchzumachen?
Es sei besser, Kinderkrankheiten durchzumachen als dagegen zu impfen – diese These bringen Impfskeptiker häufig vor. Sie glauben, dass es der Entwicklung und den Abwehrkräften von Kindern zugute kommt, wenn sie Infektionen durchleben. Überzeugende Studienbelege dafür gibt es nicht – zumal auch Impfungen das Immunsystem trainieren und sich außerdem nur gegen einzelne Erreger richten. Es bleiben Hunderte andere Viren und Bakterien, die das Immunsystem fordern.
Warum brauchen Erwachsene weniger Impfungen als Kinder?
Der Impfkalender für Erwachsene fällt schmaler aus als der für Kinder. Das liegt daran, dass viele Infektionen in höherem Alter seltener auftreten oder weniger schwer verlaufen. Manche wie Tetanus, Diphtherie oder Keuchhusten bleiben allerdings lebenslang bedrohlich. Insofern lohnt es, das Thema Impfen beispielsweise beim nächsten Hausarzttermin anzusprechen – Impfpass nicht vergessen! Welche Impfungen sinnvoll sind, zeigt unsere Übersicht zu Erwachsenenimpfungen.
Impfrisiken: Welche Nebenwirkungen und Komplikationen möglich sind
Welche Nebenwirkungen haben Impfungen?
Ähnlich wie Medikamente zur Behandlung von Krankheiten können Impfungen Nebenwirkungen verursachen. Meist handelt es sich um Reaktionen wie Fieber oder Schwellung, Schmerzen, Rötung an der Einstichstelle – Zeichen, dass das Immunsystem reagiert. Bei Lebendimpfstoffen wie der Impfung gegen Rotaviren oder Masern, Mumps und Röteln sind außerdem in der Regel milde verlaufende Symptome der Krankheit möglich, gegen die geimpft wird. Normalerweise gehen solche Beschwerden innerhalb weniger Tage wieder zurück.
Was ist mit Komplikationen und Folgeschäden?
Gefürchtete Komplikationen und Folgeschäden, darunter Autoimmunkrankheiten wie Diabetes Typ 1 oder multiple Sklerose, sind laut Studien und Statistiken äußerst selten. Allerdings lässt sich ein Zusammenhang auch nicht gerade leicht beweisen. Eine unter Impfskeptikern weitverbreitete These, nach der die Masern-Mumps-Röteln-Impfung angeblich das Risiko für Autismus erhöht, ist seit Langem widerlegt. Das Fachjournal The Lancet zog die zugrunde liegende Studie bereits 2010 zurück – dennoch hält sich die These hartnäckig.
Wer das Für und Wider einer Impfung abwägt, darf die jeweilige Krankheit nicht vergessen. So verursacht höchstens eine von einer Million Masernimpfungen als schwere Komplikation eine Gehirnentzündung. Wer tatsächlich an Masern erkrankt, dessen Risiko für eine Gehirnentzündung liegt hingegen bei ungefähr eins zu 1 000, also tausendfach höher.
Manche Impfungen enthalten Zusätze. Sind die gefährlich?
Verschiedene Impfungen enthalten Wirkverstärker, sogenannte Adjuvanzien, um die Antwort des Immunsystems zu erhöhen. In den allermeisten Fällen und seit vielen Jahrzehnten sind dafür Aluminiumsalze im Einsatz. Aluminium kann giftig wirken, doch sind die enthaltenen Mengen in Impfstoffen im Vergleich zur sonstigen Aufnahme gering. Bisherige Studien geben Entwarnung. Ähnlich sieht es bei Formaldehyd aus, das in manchen Präparaten zum Abtöten von Erregern dient. Der umstrittene, weil quecksilberhaltige Stoff Thiomersal ist sicherheitshalber komplett aus Standardimpfungen verschwunden.
Sind Mehrfachimpfungen für Babys verträglich?
Verschiedene Impfungen sind als Kombinationsimpfung erhältlich. Bekannte Beispiele: die Dreifachimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln, kurz MMR-Impfung, oder ein Trio gegen Tetanus, Diphtherie und Keuchhusten. Heutzutage sind sogar bis zu sechs Impfstoffe in einer Spritze möglich – und bereits Säuglingen ab zwei Monaten empfohlen. Das kann Eltern beunruhigen, überlastet aber laut den Zulassungsstudien weder die Babys noch ihr Immunsystem. Zudem spart es im Vergleich zu den jeweiligen Einzelimpfungen enorm viele Spritzen, was in der Summe die Gefahr von Nebenwirkungen verringert. Alternativlos ist die Sechsfachimpfung nicht. Statt ihr gibt es auch abgespeckte Varianten, etwa ein Anti-Tetanus-Diphtherie-Keuchhusten-Paket oder einen Fünffachschutz unter Auslassung von Hepatitis B.
Wo kann ich Impfschäden melden?
Wenn Sie bei sich oder Ihrem Kind nach einer Impfung Symptome bemerken, die Sie als bedrohlich empfinden, sprechen Sie unbedingt mit Ihrem Arzt. Er braucht die Information gegebenenfalls für die Behandlung oder für etwaige Folgeimpfungen. Außerdem ist er verpflichtet, Verdachtsfälle, die über die üblichen Impfreaktionen hinausgehen, zu melden. Die Meldungen werden behördlich gesammelt und geprüft. Dadurch lassen sich auch sehr seltene oder langfristige Nebenwirkungen, die in den Zulassungsstudien nicht aufgefallen sind, erkennen und Maßnahmen für den Patientenschutz treffen. Laien können Nebenwirkungen von Arzneimitteln und Impfstoffen auch direkt melden, etwa unter nebenwirkungen.pei.de.
Die gesellschaftliche Bedeutung des Impfens
Dienen Impfungen nicht vor allem den Interessen der Pharmaindustrie?
Pharmaunternehmen wollen Gewinne erzielen, ohne Frage. Vor allem neuartige Impfstoffe kosten ihren Preis – teilweise 100 Euro und mehr pro Spritze. Altbekannte und in der Praxis häufig eingesetzte Impfungen wie die gegen Masern, Mumps und Röteln hingegen gelten als wenig profitabel. Insgesamt verursachen Impfungen nur einen geringen Teil der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Laut Erhebungen des GKV-Spitzenverbands entfallen jährlich ungefähr 17 Prozent der Kosten auf Arzneimittel zur Behandlung von Krankheiten – auf Schutzimpfungen hingegen nur etwa 0,7 Prozent.
Warum streben viele Gesundheitsbehörden hohe Impfquoten an?
Viele Impfungen nützen nicht nur den Geimpften selber, sondern als sogenannter Herdenschutz auch den Menschen in ihrer Umgebung. Denn wer geimpft ist, steckt auch niemanden an. Hohe Impfquoten kommen insbesondere Personen zugute, die selber nicht geimpft werden können. Lebendimpfstoffe beispielsweise sind meist sicherheitshalber für junge Babys, Schwangere und Menschen mit schwacher Immunabwehr tabu – und entsprechende Krankheiten gerade für diese Patienten besonders bedrohlich.
Durch hohe Impfquoten lassen sich manche Erreger, etwa die der Masern, Röteln, Diphtherie oder Kinderlähmung (Polio), sogar ausrotten.
Brauchen wir heutzutage überhaupt noch Impfungen?
Fraglos sind die Hygienebedingungen heutzutage viel besser als früher, ebenso die medizinischen Möglichkeiten, um Infektionen zu behandeln. Aber trotzdem: Gegen viele Viren gibt es immer noch keine wirkungsvolle Medikamente. Und Arzneimittel gegen Bakterien, die Antibiotika, kommen längst nicht gegen alle Erreger an. So enden heutzutage immer noch bis zu 20 Prozent aller Fälle von Tetanus und Diphtherie tödlich.
Hinzu kommt: Dass viele Infektionen in Deutschland kaum noch auftreten, ist vor allem eine Folge von Impfprogrammen. Sinken die Impfquoten, können in Vergessenheit geratene Krankheiten wieder Boden gewinnen – wenn etwa Reisende oder Einwanderer Polio oder Diphtherie mitbringen und die Immunabwehr ihrer hiesigen Mitmenschen nicht entsprechend vorbereitet ist. Insofern dürften viele Impfungen auch zukünftig bedeutsam bleiben, solange die jeweiligen Erreger nicht weltweit ausgerottet sind. Bei einer Infektion hat das bereits geklappt: 1980 erklärte die Weltgesundheitsorganisation die Welt für pockenfrei.
Dieses Special ist im März 2018 auf test.de erschienen. Es wurde am 17. März 2020 aktualisiert.
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