
David Profe aus Esslingen hat seine Eigentumswohnung verkauft und seinen Immobilienkredit vorzeitig zurückgezahlt. Dafür forderte die Bank 4 172 Euro Vorfälligkeitsentschädigung. Weil er das nicht ungeprüft hinnehmen wollte, schaltete er einen Anwalt ein – mit Erfolg. Die Bankforderung war rechtswidrig, das Geld konnte er behalten.
Verkaufen Kreditnehmer ihre Immobilie und zahlen ihr Darlehen vorzeitig zurück, müssen sie der Bank oft eine hohe Entschädigung zahlen. Eine bislang wenig beachtete Gesetzesänderung kann sie davor bewahren: Sie gilt für alle seit 21. März 2016 geschlossenen Immobilienkreditverträge. Danach steht Banken keine Vorfälligkeitsentschädigung zu, wenn die Angaben zu deren Berechnung im Vertrag unzureichend sind. Die Commerzbank muss daher nun 21 500 Euro an einen Kunden zurückzahlen.
Commerzbank muss 21 500 Euro erstatten
Urteil. Wegen eines Fehlers im Kreditvertrag muss die Commerzbank einem Kunden 21 500 Euro Vorfälligkeitsentschädigung erstatten. Das hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschieden (Az. 17 U 810/19 – nicht rechtskräftig). Der Kunde musste das Geld zahlen, nachdem er sein Haus verkauft und den Kredit vorzeitig zurückgezahlt hatte. Die Entschädigung stand der Bank nach dem Urteil aber nicht zu. Sie hatte im Vertrag nicht klar und verständlich über die Berechnung der Entschädigung informiert. Für seit 21. März 2016 abgeschlossene Verträge ist das erforderlich.
Vertragsklausel. Die Commerzbank hatte im Vertrag zunächst die Grundzüge der Berechnung erläutert und dann ausgeführt: „Dabei differenziert die Bank wie folgt: Soweit Pfandbriefe mit entsprechenden fristen-kongruenten Laufzeiten vorhanden sind, legt die Bank für die Verzinsung des vorzeitig zurückgezahlten Darlehenskapitals die Zinssätze der entsprechenden am Kapitalmarkt verfügbaren Hypothekenpfandbriefe zugrunde.“
Unverständlich. Der Fehler: Es fehlt ein Satz darüber, welche Zinssätze die Bank zugrunde legt, wenn keine Pfandbriefrenditen zur Verfügung stehen. Das betrifft alle Laufzeiten unter einem Jahr. Ohne diese Ergänzung ist die Klausel unverständlich, entschieden die Richter. Vermutlich handelt es sich bloß um ein Versehen der Bank – das sie jetzt aber teuer zu stehen kommt. Die Berliner Kanzlei Gansel Rechtsanwälte, die den Kunden vor Gericht vertreten hat, geht davon aus, dass die Bank das fehlerhafte Vertragsformular in vielen Fällen verwendet hat.
4 200 Euro Entschädigung für entgangene Zinsen
Von der Gesetzesänderung hat auch David Profe aus Esslingen profitiert. Dabei sah es zunächst nicht so aus. Als er seine Wohnung zwei Jahre nach Abschluss des Kreditvertrags verkaufen wollte, forderte die Volksbank Ortenau fast 4 200 Euro Entschädigung für ihren Zinsausfall. Denn ihr Kunde hätte das Darlehen normalerweise erst zum Ende der Zinsbindung im Jahr 2028 kündigen dürfen. Wegen des Verkaufs der Wohnung stand ihm zwar ein außerordentliches Kündigungsrecht zu. Doch Banken dürfen eine Entschädigung für die vorzeitige Rückzahlung verlangen – im Prinzip jedenfalls.
Unser Rat
Vorfälligkeitsjoker. Haben Sie den Kreditvertrag nach dem 20. März 2016 abgeschlossen, müssen Sie nach dem Verkauf Ihrer Immobilie keine Vorfälligkeitsentschädigung zahlen, wenn die Angaben im Kreditvertrag zur Berechnung der Entschädigung unzureichend sind. Lassen Sie den Vertrag von einem darauf spezialisierten Anwalt prüfen. Die Ersteinschätzung ist oft kostenlos. Rechtsberatung bieten auch die Verbraucherzentralen.
Widerrufsjoker. HabenSie Ihren Vertrag vom 11. Juni 2010 bis 20. März 2016 abgeschlossen, kommen Sie eventuell durch einen Widerruf des Vertrags um eine Vorfälligkeitsentschädigung herum. Dazu finden Sie ausführliche Informationen in unserem Special Immobilienkredite.
Rechner. Wie viel eine Bank maximal verlangen darf, ermittelt unser Vorfälligkeitsentschädigungs-Rechner.
Neue Gesetzeslage seit 2016
Profe kamen Zweifel. Er schaltete den Rechtsanwalt Marko Huth von der Kanzlei Gansel Rechtsanwälte aus Berlin ein. Der kam zu einem eindeutigen Schluss: Wegen fehlerhafter Vertragsklauseln steht der Volksbank keine Vorfälligkeitsentschädigung zu. Das sah die Bank zunächst anders. Was „unzureichend“ konkret bedeutet, ist im Gesetz auch nicht definiert. Rechtsprechung gibt es dazu bisher kaum. Klar dürfte aber sein: Die Angaben der Bank dürfen nicht falsch oder irreführend sein. Das sind sie aber oft.
Wie wird die Entschädigung berechnet?
Im Vertrag der Volksbank Ortenau entdeckte Anwalt Marko Huth mehrere mögliche Fehler. Der gravierendste: Die Vertragsklausel konnte so verstanden werden, dass die Entschädigung bis zum Ende der Restlaufzeit des Darlehens berechnet wird, also bis zur vollen Schuldentilgung. Das ist unzulässig. Eine Bank darf ihren Zinsschaden längstens bis zum Ende der Zinsbindung berechnen. Diese war bei David Profe mehr als ein Jahr kürzer als die im Vertrag genannte Laufzeit, bis zu deren Ende der Kredit bei gleichbleibenden Konditionen getilgt wäre. Nach drei Anwaltsschreiben gab die Volksbank Ortenau nach. Sie überwies die bereits gezahlte Summe zurück.
Viele Fehler in Kreditverträgen
Auch Verträge anderer Banken enthalten oft Fehler, die ihren Anspruch auf eine Entschädigung aushebeln können.
Zinsbindung mehr als zehn Jahre. In vielen Verträgen steht, dass Kreditnehmer ihr Darlehen vor Ablauf der Zinsbindung nur gegen Vorfälligkeitsentschädigung zurückzahlen können. Das stimmt nicht, wenn die Zinsbindung mehr als zehn Jahre beträgt. Solche Darlehen sind mit einer Frist von sechs Monaten ohne Entschädigung kündbar, sobald zehn Jahre seit Vollauszahlung vorbei sind. Die Bank darf ihren Zinsverlust dann nur bis zum ersten Kündigungstermin berechnen.
Renditen von Pfandbriefen. Verträge von Genossenschaftsbanken enthalten mitunter den Hinweis, dass für die Berechnung des Zinsschadens die Renditen von „Kapitalmarkttiteln öffentlicher Schuldner“ maßgeblich sind. Das wären zum Beispiel Bundesanleihen. Laut Bundesgerichtshof sind dagegen die höheren Renditen für Hypothekenpfandbriefe anzusetzen.
Sondertilgung. Teilweise fehlt in Kreditverträgen der Hinweis, dass vereinbarte Rechte auf Sondertilgungen oder eine Ratenerhöhung zugunsten des Kunden zu berücksichtigen sind. Dadurch fällt die Vorfälligkeitsentschädigung meist deutlich niedriger aus als bei Krediten mit starrer Tilgung.
Stimmt der Vertrag nicht, muss der Kreditnehmer nicht zahlen
Einer Bank nutzt es in solchen Fällen nichts, wenn sie die Entschädigung am Ende trotzdem korrekt berechnet. „Fehler im Vertrag kann die Bank später nicht mehr heilen“, sagt Marko Huth. „Sind die Angaben über die Berechnung unzureichend, ist der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung weg.“
Für Banken ein Déjà-vu
Die Banken hätten gewarnt sein müssen. In der Vergangenheit konnten Tausende Kreditkunden ihre Verträge widerrufen und hohe Entschädigungen sparen, weil Banken sie falsch über das Widerrufsrecht informiert haben (So kommen Sie aus teuren Kreditverträgen raus). Davon können heute noch Kreditnehmer profitieren – vor allem, wenn sie ihren Vertrag zwischen dem 11. Juni 2010 und dem 20. März 2016 abgeschlossen haben. Nach dem „Widerrufsjoker“ droht Banken nun viel Ärger mit dem „Vorfälligkeitsjoker“ wegen nachlässig formulierter Klauseln.
So wird die Entschädigung berechnet
Zeitraum. Wird ein Kredit vorzeitig zurückgezahlt, hat die Bank einen Schaden, weil sie vereinbarte Zinsen nicht erhält. Ihn soll die Vorfälligkeitsentschädigung ersetzen. Vorzeitig heißt: Vor dem Zeitpunkt, zu dem Kunden erstmals regulär kündigen können. Bei Festzinskrediten gilt längstens die Spanne bis zum Ende der Zinsbindung. Beträgt sie mehr als zehn Jahre, darf die Bank längstens die Spanne vom Rückzahlungstermin bis zum Ablauf von 10,5 Jahren nach Vollauszahlung des Darlehens ansetzen.
Wiederanlage. Für die Berechnung der Entschädigung gilt: Die Bank soll mit einer Ersatzanlage am Kapitalmarkt die gleichen Erträge erzielen, die sie bei regulärem Darlehensverlauf erwarten konnte. Benötigt sie dafür mehr Geld als die Restschuld, müssen Kunden die Differenz ausgleichen. Für die Wiederanlage sind die Renditen für Hypothekenpfandbriefe maßgeblich, deren Laufzeiten den vereinbarten Zahlungen entsprechen. Je größer die Differenz zwischen Kreditzinssatz und Pfandbriefrenditen, desto höher der Zinsschaden.
Sondertilgung. Haben Kunden das Recht zu Sondertilgungen, muss die Bank davon ausgehen, dass sie dieses Recht voll zu ihren Gunsten ausgenutzt hätten. Außerdem muss die Bank Risiko- und Verwaltungskosten abziehen, die sie durch die vorzeitige Kreditrückzahlung spart.
Negativrenditen. Strittig ist, ob die Entschädigung höher ausfallen darf als die Zinsen, die Kunden der Bank bis zum nächsten regulären Kündigungstermin schulden. Weil die Pfandbriefrenditen derzeit selbst bei langer Laufzeit negativ sind, ist das immer häufiger der Fall.
Tipp: Wie viel eine Bank maximal verlangen darf, ermittelt unser Vorfälligkeitsentschädigungs-Rechner.
Dieser Artikel ist erstmals am 18. August 2020 auf test.de erschienen. Er wurde am 8. Oktober 2020 aktualisiert.