
Wegen Fehlern ihrer Bank können die meisten Kunden aus teuren Krediten aussteigen. So sparen sie fast immer tausende Euro.
Vor einigen Wochen hat die BW Bank Thomas Ettig 8 500 Euro überwiesen. Sie erstattet ihm damit einen großen Teil der Vorfälligkeitsentschädigung. Die hatte die Bank beim Verkauf von Ettigs Haus kassiert – wie üblich, wenn die Zinsbindungsfrist noch nicht abgelaufen ist.
Ettig profitiert von einem Fehler der Bank. Sie hatte ihn bei Vertragsschluss nicht korrekt über sein Widerrufsrecht belehrt. „Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“, hieß es in den Unterlagen. Wann die Frist dann wirklich begann, erfuhr er nicht. Die Folge: Ettig konnte den Vertrag auch nach Jahren noch widerrufen.
Obwohl der 65-Jährige das Darlehen bereits gekündigt und eine Aufhebungsvereinbarung unterzeichnet hatte, war der Widerruf wirksam. Der BW Bank stand deshalb keine Vorfälligkeitsentschädigung mehr zu.
80 Prozent der Verträge fehlerhaft
Der Fehler von Ettigs Bank ist kein Einzelfall. Die Verbraucherzentralen Hamburg, Bremen und Sachsen haben die Widerrufsbelehrungen zu fast 10 000 Kreditverträgen überprüft. In rund 80 Prozent der Fälle fanden die Verbraucherschützer Fehler. Weit mehr als die Hälfte davon sind sogar schon von Gerichten anerkannt.
Rechtsanwälte berichten uns, dass die Fehlerquote bei den von ihnen geprüften Verträgen sogar noch höher ist. Das sagen zum Beispiel die Anwälte Timo Gansel, Julius Reiter, Maik Winneke, Thomas Storch und Wolfgang Benedikt-Jansen.
Neuer Kredit 10 000 Euro günstiger
Erfreuliche Folge für Kreditnehmer: Wer ab Einführung des Widerrufsrechts für Immobilienkredite im November 2002 einen Kredit aufgenommen hat, kann ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit jetzt noch widerrufen. Er kann sich damit vom Vertrag lösen und einen neuen, günstigeren Kredit aufnehmen. Das erspart ihm in aller Regel viele tausend Euro Zinsen.
Die Zinsen sind zurzeit rekordverdächtig niedrig. Kredite mit zehnjähriger Zinsbindung sind für kaum mehr als 2 Prozent zu haben. Noch im Jahr 2008 waren zeitweise mehr als 5 Prozent fällig.
Beispiel: Ein Kunde muss noch 100 000 Euro tilgen und zahlt eine Rate von 700 Euro. Bei einem Zinssatz von 4,5 Prozent hat er in fünf Jahren noch gut 78 000 Euro Restschuld. Bei 2,5 Prozent Zinsen sinkt die Restschuld bis zum Jahr 2019 auf knapp 69 000 Euro. Die Zinssenkung bringt ihm also fast 10 000 Euro innerhalb von fünf Jahren.
Mehr als 30 000 Euro gespart
Auch Kreditnehmer, die ihr Haus oder ihre Wohnung wie Ettig vor Ablauf der Zinsbindung verkaufen wollen, gewinnen. Wenn sie ihren Vertrag erfolgreich widerrufen, fällt die Vorfälligkeitsentschädigung weg. Die müssen Kunden sonst an die Bank zahlen. Sie gleicht den Nachteil aus, den die Bank hat, weil sie die fest vereinbarten Zinsen für den gekündigten Kredit nicht erhält.
Es geht oft um noch viel mehr Geld als im Fall Ettig. Je nach Höhe der Rate, restlicher Zinsbindung und Zinssatz macht die Vorfälligkeitsentschädigung für einen 200 000- Euro-Kredit bis zu 38 900 Euro aus Tabelle: Raus aus dem Forwarddarlehen.
In die Falle gelaufen
Banken und Sparkassen hätten die Fehler vermeiden können. Sie hätten nur das vom Bundesjustizministerium entworfene Muster verwenden müssen. Doch das konnten sie zunächst nicht wissen.
Anfangs war umstritten, ob der Mustertext die Widerrufsbelehrung wirklich sicher macht. Viele Banken und Sparkassen entschieden deshalb, eigene Formulierungen zu verwenden. Dabei gelang es den Bankjuristen nur selten, die komplizierten Zusammenhänge für Verbraucher verständlich und richtig wiederzugeben.
Landgericht verurteilte BW Bank
Thomas Ettig erfuhr von den Fehlern in der Widerrufsbelehrung zu seinem Kredit erst, als er aus Ärger über die hohe Vorfälligkeitsentschädigung einen Anwalt einschaltete. Die BW Bank weigerte sich aber, den Widerruf zu akzeptieren und die Vorfälligkeitsentschädigung zu erstatten. Die Widerrufsbelehrung entspreche trotz kleiner Abweichungen dem gesetzlichen Muster und sei wirksam, sagten die Bankjuristen.
Rechtsanwalt Timo Gansel zog im Namen von Ettig vor das Landgericht Stuttgart, wo die Bank unterlag (Az. 12 O 547/13). Jede Abweichung vom Muster führe zur Unwirksamkeit der Widerrufsbelehrung, erklärte die Richterin der Bank und verwies auf zahlreiche andere Urteile, darunter mehrere des Bundesgerichtshofs (BGH).
Banken leisten Widerstand
Trotz der klaren Rechtslage ging die BW Bank in Berufung. Schließlich schloss Ettig mit der Bank einen Vergleich, um die Sache endlich vom Tisch zu haben: Ettig bekommt drei Viertel der Entschädigung sofort und verzichtet dafür auf den Rest.
Kreditnehmer auf der Suche nach einem günstigen Ausstieg aus ihrem Kredit müssen wie Ettig mit Widerstand rechnen. Was sie im Streit mit der Bank beachten müssen, beschreiben wir in Schritt für Schritt raus aus teuren Krediten und beantworten die wichtigsten Fragen unter Fragen und Antworten. Auf keinen Fall sollten Kreditnehmer ihre Zahlungen an die Bank von sich aus verringern oder gar einstellen.
Bei Vertragsverletzungen kann die Bank oft den Kredit kündigen und zuweilen auch gleich die Zwangsversteigerung einleiten. Beim Verkauf einer Immobilie sind Kreditnehmer darauf angewiesen, dass die Bank die Übertragung der Grundschuld billigt. Verzögert sich die Abwicklung des Kaufvertrags oder platzt er sogar, steht dem Käufer oft Schadenersatz zu.
Rechtslage günstig für Kreditnehmer
Solange Kreditnehmer ihre Pflichten gegenüber der Bank erfüllen, ist ihre Position allerdings günstig. Wenn die Bank sich einem Widerruf zu Unrecht verweigert, muss sie Schadenersatz zahlen. Finanztest vermutet daher: Viele Banken werden ihren Kunden anbieten, den Zinssatz zu senken oder auf Teile der Vorfälligkeitsentschädigung zu verzichten.
Solche Angebote sollten Kunden nicht gleich akzeptieren. Oft wird die Bank ihnen nur ein kleines Stück entgegenkommen. Ohne Unterstützung durch einen in Widerrufsfällen erfahrenen Rechtsanwalt werden Bankkunden ihre Forderungen kaum vollständig durchsetzen können.
Anschlussfinanzierung vor Widerruf
Wichtigster Punkt vor dem Widerruf: Kreditnehmer müssen das Geld oder eine Anschlussfinanzierung zur Ablösung ihrer Restschuld auftreiben. Nach Finanztest-Recherchen geht das wie bei jeder anderen Umschuldung auch. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Branche sich sperrt.
Auch in Widerrufsfällen machen Banken offenbar anständige Angebote. „Wir nehmen neue Kunden natürlich gern“, sagte ein hochrangiger Bankmanager, der nicht genannt werden möchte. Dass die Bank selbst ungern Kunden per Widerruf verliert, ändere daran nichts. Sie hat ja die Chance, ihnen ein annehmbares Angebot zu machen.
Die Branche ist nervös
Wenn alle falsch belehrten Kreditnehmer ihre Verträge widerrufen, entgehen Banken und Sparkassen hunderte Milliarden Euro. Genaue Zahlen gibt es nicht. Die Verbände halten nicht fest, wie viele Kreditverträge wie beendet werden. Der Verband Deutsche Kreditwirtschaft erklärt, er führe keine Statistik. Die Bundesbank weiß immerhin: Von Januar 2003 bis April 2014 vergaben Banken und Sparkassen private Wohnbaukredite in Höhe von 2 078 Milliarden Euro.
Widerrufsrecht verjährt nicht
Schlecht für Banken: Das Widerrufsrecht verjährt nicht. Angreifbar ist jeder seit November 2002 geschlossene Vertrag mit fehlerhafter Widerrufsbelehrung.
Banken wenden oft ein: Das Recht sei verwirkt, wenn Kreditnehmer jahrelang anstandslos ihre Raten zahlen. Vor Gericht reicht das jedoch nicht. Verwirkung setzt voraus, dass eine Bank aus dem Verhalten ihres Kunden schließen kann, dass er endgültig auf sein Widerrufsrecht verzichtet. Dazu müsste dieser aber wissen, dass ihm das Recht noch zusteht. Nur sehr selten hält der BGH ein Recht für verwirkt.
Forderung auf Rückabwicklung
Selbstbewusste Kunden wie Christian Sporer fordern mehr als die entschädigungsfreie Entlassung aus dem Vertrag. Zusätzlich soll die Bank herausgeben, was sie mit den Ratenzahlungen erwirtschaftet hat.
Der 36-Jährige hatte zunächst eine Wohnung gekauft, in der er mit seiner Frau lebte. Als das Paar Kinder bekam, zog die Familie in ein Haus mit Garten. Die Eigentumswohnung vermietete sie.
Als Sporer von den Bankfehlern hört, prüft er seine Verträge. Beide sind fehlerhaft. Sporer holt neue Angebote ein und widerruft beide Kredite. Seine Hausbank reagiert schnell und bietet an, den Zins von den bisherigen 3,96 Prozent auf 2,35 Prozent zu senken. Sporer akzeptiert.
Den anderen Kredit hat ihm die DKB-Bank gegeben. Sie verweigert den Widerruf.
Streit um Abrechnung
Laut Gesetz sind nach dem Widerruf die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen zu erstatten. Was das heißt, ist umstritten.
Sicher ist: Die Bank bekommt den Kredit zurück und der Kunde muss marktübliche Zinsen zahlen. Umgekehrt muss die Bank bis zum Widerruf geleistete Zinszahlungen erstatten und herausgeben, was sie mit diesem Geld erwirtschaftet hat. Da beginnt der Streit. Nach BGH-Rechtsprechung stehen Bankkunden Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu. Verbraucheranwalt Achim Tiffe aus Hamburg hält das für zu wenig. Laut aktuellem Bericht der Bundesbank erwirtschaften Banken durchschnittlich 8 Prozent Rendite auf ihr Eigenkapital, argumentiert er.
Noch 4 900 Euro zusätzlich
Die Rückabwicklung macht viel aus. Finanztest hat nachgerechnet. Selbst bei Verwendung der BGH-Vorgaben und des DKB-Kreditzinssatzes stehen Familie Sporer weitere 4 900 Euro zu – zusätzlich zu den rund 6 500 Euro Schadenersatz wegen Verweigerung des Widerrufsrechts.
Zum Glück hat die Familie eine Rechtsschutzversicherung. Das Prozessrisiko steigt, wenn Kreditnehmer auch auf Rückabwicklung bestehen. Sporers Anwalt Thomas Storch aus Berlin wird Klage erheben, wenn die DKB nicht einlenkt.
Das Oberlandesgericht in Brandenburg hat bereits geurteilt: eine oft verwendete Widerrufsbelehrung der DKB ist unwirksam (Az. 4 U 64/12). Das Kammergericht Berlin sieht das genauso (Az. 4 U 90/12).