
Formfehler der Banken machen es möglich, Kredite viele Jahre nach Abschluss zu widerrufen. Der Bank steht dann keine Entschädigung zu.
Eine Sendung des ARD-Magazins „Plusminus“ machte Kreditkunden erste Hoffnung. Sie präsentierte ihnen eine Möglichkeit, aus teuren Immobiliendarlehen auszusteigen, die sie nach dem 1. November 2002 abgeschlossen hatten.
Die Fernsehjournalisten berichteten, dass viele Banken ihre Kunden falsch über ihr Widerrufsrecht informiert haben. Deshalb könnten Kreditnehmer ihren Vertrag oft noch Jahre nach Abschluss widerrufen.
Selbst wenn Kunden ihren Kredit bereits zurückgezahlt haben, sei ein Widerruf noch möglich. Die Folge: Die Bank darf für den Ausstieg aus dem Kredit keine Vorfälligkeitsentschädigung verlangen. Hat der Kunde bereits eine Entschädigung gezahlt, muss die Bank das Geld erstatten.
Die Sendung löste einen Sturm von Anfragen an die Verbraucherzentralen aus. Kein Wunder: Hauseigentümer, die ihren Kredit vorzeitig zurückzahlen wollen oder müssen, werden zurzeit mit riesigen Entschädigungsforderungen der Banken konfrontiert. Es geht um viele tausend Euro.
Beispiel: Ein Kunde hat vor fünf Jahren einen Kredit über 200 000 Euro mit zehn Jahren Zinsbindung aufgenommen. Steigt er vorzeitig aus, verlangt seine Bank rund 40 000 Euro Vorfälligkeitsentschädigung.
Banken fordern hohe Entschädigung
Zahlt ein Kunde seinen Kredit vorzeitig zurück, kann die Bank das Geld in der restlichen Vertragslaufzeit nur zu einem niedrigeren Zinssatz anlegen. Als Entschädigung darf sie für diese Zeit die Differenz zwischen dem Kreditzinssatz und der aktuellen Rendite für Hypothekenpfandbriefe verlangen. Weil die Pfandbriefrenditen in den letzten Jahren stark gesunken sind, schossen die Ablösesummen steil in die Höhe.
Die Aussicht, um die Entschädigung herumzukommen, ist deshalb verlockend. Für Kreditnehmer, die ihr Haus verkaufen müssen, könnte der Widerruf sogar die Rettung vor ruinösen Bankforderungen sein.
Zwei von drei Verträgen fehlerhaft
Die Chancen stehen für Bankkunden oft gar nicht schlecht. „Von rund 80 Kreditverträgen, die wir geprüft haben, enthielten mehr als zwei Drittel fehlerhafte Widerrufsbelehrungen“, berichtet Christian Schmid-Burgk von der Verbraucherzentrale (VZ) Hamburg. „Selbst in einigen neueren Verträgen sind die Belehrungen nicht korrekt.“
Der sorglose Umgang mit der Widerrufsbelehrung könnte sich für die Banken jetzt rächen. Verbraucherschützer warnen allerdings vor überzogenen Erwartungen.
„Es gibt nur wenige Gerichtsentscheidungen zum Widerrufsrecht bei Immobiliendarlehen“, sagt Achim Tiffe vom Institut für Finanzdienstleistungen in Hamburg. „Der Teufel steckt im Detail. Vieles ist gerichtlich nicht geklärt.“
Aus dem Schneider sind Banken, die bei Vertragsabschluss die amtliche Musterwiderrufsbelehrung verwendet haben, die das Bundesjustizministerium seit Einführung des Widerrufsrechts veröffentlicht. Mit dem Muster wollte der Gesetzgeber für Rechtssicherheit sorgen.
Doch statt das Muster vollständig zu übernehmen, haben Banken oft eigene Texte verwendet, die Musterbelehrung umformuliert, ergänzt oder Sätze ausgelassen. Dabei unterliefen den Bankjuristen viele Fehler. Gerichte monieren vor allem, dass Kunden falsch über den Beginn der Widerrufsfrist informiert wurden.
Staatliches Muster war falsch
Viele Jahre lang war sogar das amtliche Muster selbst fehlerhaft. „Die Widerrufsfrist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“, stand in der Muster-Widerrufsbelehrung, die vom 2. November 2002 bis zum 30. August 2008 gültig war. Diese Formulierung ist irreführend, entschied der Bundesgerichtshof (BGH). Durch das Wort „frühestens“ könne der Kreditnehmer den Beginn der Frist nicht eindeutig erkennen.
Das Urteil könnte viele Banken teuer zu stehen kommen. Vertrauensschutz genießen sie laut BGH nur, wenn sie die Musterbelehrung „in jeder Hinsicht“ übernommen haben. Das aber haben viele nicht getan. Eine kleine Änderung am Mustertext oder an der Gestaltung – schon kann die Widerrufsbelehrung unwirksam sein, weil sie die vom BGH beanstandete Formulierung enthält. Banken, die das fehlerhafte Muster noch eingesetzt haben, nachdem es bereits vom Justizministerium ersetzt wurde, dürften kaum eine Chance haben, den Widerruf eines Kunden abzuschmettern.
Oft hilft nur eine Klage
Viel Stoff für Juristen bietet die Frage, wie die Widerrufsbelehrung optisch gestaltet sein muss. Das Gesetz fordert, dass sie deutlich vom übrigen Vertragstext hervorgehoben ist. Was das heißt, darüber lässt sich streiten. Da geht es um Schriftgrößen, Zeilenabstände und Zwischenüberschriften.
Nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob Kunden ihren Vertrag widerrufen können, nachdem sie selbst gekündigt haben. „Ja“ sagt zum Beispiel das Amtsgericht Göttingen, „nein“ das Landgericht Köln.
Kreditkunden haben kaum eine Chance, selbst zu beurteilen, ob sie ihren Vertrag widerrufen können. Wer den Widerrufsjoker ausspielen will, braucht Beratung durch einen versierten Fachanwalt – und gute Nerven. „Wir gehen derzeit davon aus, dass bei den vielen nicht zweifelsfreien Fällen Widerrufsrechte oft nur mit einer Klage durchgesetzt werden können“, meint Stephen Rehmke, Rechtsanwalt bei der VZ Hamburg.
Risikolos ist das nicht: Verliert der Kunde, bleibt er oft auf Anwalts- und Gerichtskosten sitzen. Für Streit um Immobilienkredite zahlen Rechtsschutzversicherungen in vielen Fällen nicht.