
Hemmungslose Bereicherung auf Kosten eines Kunden in Schwierigkeiten: Die Bankaktiengesellschaft (BAG) forderte von einem Kreditkunden einer Genossenschaftsbank 73 000 Euro zu viel. Sie kassierte bis Ende 2015 bei einem Immobilienkredit mit variabler Verzinsung einen Satz, der bereits 2009 weit über dem marktüblichen lag. Rechtsanwalt Achim Tiffe setzte durch: Der Kreditkunde muss nur noch 52 000 statt 125 000 Euro zahlen. test.de schildert den Fall und rechnet vor, wie teuer unterlassene Zinsanpassungen Verbraucher zu stehen kommen können.
Kredit mit Problemen
Der Fall reicht viele Jahre weit in die Vergangenheit zurück. In den 90-er Jahren ging es den Eheleuten Gerda und Karl Pohl* noch gut. Sie hatten mit einem Kredit einer Sparkasse ein Eigenheim gekauft. Doch dann wendete sich das Blatt: 1998 schickte das Finanzamt eine hohe Steuernachforderung. Gleichzeitig war der Sparkassenkredit fällig und musste getilgt werden. Um beides finanzieren zu können, nahmen die beiden bei der Volksbank Lüneburg 370 000 Mark auf. Die Rückzahlung war 2003 fällig. Den Eheleuten fehlte das Geld dafür. Im Jahr 2004 schließlich übertrug die Bank die Forderung auf Tilgung des Kredits auf die Bankaktiengesellschaft (BAG) im westfälischen Unna. Das ist die Badbank der Genossenschaftsbanken. Selbstbeschreibung: „Wir sind die verlängerte Werkbank der Genossenschaftlichen Finanzgruppe, wenn es um die Bearbeitung von Problemkrediten geht“, steht auf der Homepage des Unternehmens.
Zins ohne Anpassung
Familie Pohls Problemkredit bearbeitet die BAG auf ihre Art und Weise. Im Jahr 2004 vereinbarte die Bank mit den Eheleuten einen neuen Vertrag über die Rückzahlung der noch offenen Beträge. Einen Effektivzins nannte sie dabei nicht. Im Jahr 2009 vereinbart die Bank mit den Schuldnern einen neuen Vertrag. Die beiden sollen jetzt ein variablen Zinssatz, zunächst 7,3 Prozent, zahlen – weit mehr als damals für Immobilienkredite üblich. Noch Ende 2015 kassiert sie den ursprünglich vereinbarten Satz. Zum Vergleich: Durchschnittlich kosteten Immobilienkredite mit variablem Zins Anfang 2009 knapp fünf und Ende 2015 nur noch gut zwei Prozent.
Beratung vom Anwalt
Trotz der hohen Ratenzahlungen sinkt die Restschuld nur quälend langsam. Gerda und Karl Pohl* ahnen: Das kann nicht korrekt sein. Schließlich wenden sie sich an Juest + Oprecht-Rechtsanwälte in Hamburg. Der Fall landet auf dem Schreibtisch von Achim Tiffe. Klarer Fall, erklärt der Rechtsanwalt seinen Mandanten: Fehlt die Effektivzinsangabe, dann müssen Kunden der Bank nur den gesetzlichen Zinssatz von 4 Prozent zahlen. Bei Krediten mit variablem Zinssatz ist die Bank verpflichtet, den Zinssatz regelmäßig anzupassen und Zinssenkungen sofort an Kunden weiterzugeben. Das zu unterlassen ist rechtswidrig. Beim Nachrechnen des Kreditvertrags staunt sogar der erfahrende Bankrechtsanwalt: Auf rund 73 000 Euro summieren sich die Bankfehler im Fall Pohl. Gerda und Karl Pohl beauftragen Tiffe, ihre Rechte gegen die BAG durchzusetzen.
Langwierige Verhandlungen
Anwalt Achim Tiffe wendet sich an die Bank, doch zunächst ohne Erfolg. Erst als er sich bei der Bafin über das Verhalten der Bank beschwert, kommt Bewegung in die Sache. Schließlich einigen sich Tiffe und die Bank. Erfreuliches Ergebnis: Die Bank akzeptiert die Senkung der Restschuld um 73 000 Euro auf kaum noch über 50 000 Euro. Statt 7,3 Prozent Zinsen müssen Gerda und Karl Pohl nur noch 2,26 Prozent zahlen. Die Rate sinkt von 1 400 Euro monatlich auf 650 Euro.
Beispielfall Kredit mit variablem Zins: Nachrechnen lohnt oft
Ganz oder teilweise unterlassene Zinsanpassungen benachteiligen Kunden ganz schnell um viele Tausend Euro. Die Beispielrechnung zeigt die Entwicklung der Restschuld eines Kredits über 200 000 Euro, aufgenommen am 31.10.2008, einmal mit und einmal ohne Zinsanpassung. Berechnet mit dem laut Bundesbankstatistik für variabel verzinste Immobilienkredite jeweils pro Monat marktüblichen Zinssatz (Start: 1.10.2008, Zahlung von immer 1 500 Euro am Monatsende).
Datum | Restschuldentwicklung mit Zinsanpassung | Restschuldentwicklung ohne Zinsanpassung | Nachteil unterlassener Zinsanpassung | ||
Restschuld (in Euro) | Zinssatz1 | Restschuld (in Euro) | Zinssatz | ||
Datum | Restschuldentwicklung mit Zinsanpassung | Restschuldentwicklung ohne Zinsanpassung | Nachteil unterlassener Zinsanpassung | ||
Restschuld (in Euro) | Zinssatz1 | Restschuld (in Euro) | Zinssatz | ||
31.10.2008 | 200 000 | 6,34 | 200 000 | 6,34 | 0 |
31.10.2009 | 190 715 | 3,28 - 6,07 | 194 523 | -3 807 | |
31.10.2010 | 178 547 | 2,97 - 3,36 | 188 688 | -10 140 | |
31.10.2011 | 166 470 | 3,17 - 3,78 | 182 472 | -16 002 | |
31.10.2012 | 153 781 | 2,71 - 3,66 | 175 851 | -22 070 | |
31.10.2013 | 139 829 | 2,56 - 2,88 | 168 797 | -28 968 | |
31.10.2014 | 125 291 | 2,33 - 2,90 | 161 283 | -35 992 | |
31.10.2015 | 109 915 | 2,11 - 2,32 | 153 278 | -43 363 | |
31.10.2016 | 94 135 | 1,99 - 2,45 | 144 751 | -50 616 |
- 1 Höchster und tiefster Zinssatz im Verlauf des jeweiligen Jahres
Kredite mit variablem Zins besonders betroffen
Besonders häufig lohnt es sich, Immobilienkredite mit variablem Zinssatz und Kontokorrentkredite nachzurechnen, wie Sie Unternehmen für die Finanzierung des Geschäftsbetriebs benötigen. Selbst in Kreditkartenkonten und Girokonten, die über Jahre hinweg oft tief im roten Bereich waren, können Hunderte oder gar Tausende von Euro stecken, wenn die Bank oder Sparkasse die Zinsen nicht oder nicht schnell genug angepasst hat. Richtiger Ansprechpartner fürs Nachrechnen sind Sachverständige, die die Prüfung von Konten anbieten.
Tipp: test.de ermittelt jeden Monat die Zinssätze für Hypothekendarlehen. Hier finden Sie die günstigsten Immobilienkredite – sortiert nach überregionalen Anbietern mit Filialnetz, überregionalen Anbietern ohne Filialnetz und regionalen Instituten.
* Name geändert