
Millionen männliche Hühnerküken werden jedes Jahr gleich nach dem Schlüpfen getötet. Das ist erlaubt – nach einem Gerichtsurteil aus diesem Jahr ist das Töten männlicher Küken mit dem Tierschutzgesetz vereinbar. Das Biounternehmen Alnatura hat jetzt eine Initiative gegen das Kükentöten gestartet. Es ist nicht die erste Initiative dieser Art. test.de erklärt die Hintergründe der Tötungspraxis und der Initiativen.
Männliche Küken sind nicht rentabel
Zwischen 40 und 50 Millionen männliche Eintagsküken werden pro Jahr in Deutschland vergast oder geschreddert. Der Grund: Die männlichen Küken der Legehennen – auch Bruderküken genannt – setzen anders als die Masttiere kaum Fleisch an. Sie haben ein deutlich geringeres Wachstum und eine geringere Gesamtfleischmenge. Ihr Fleisch ist dunkler und fester. Auch wie das Fleisch am Körper verteilt ist, unterscheidet sich. Und: Sie legen – anders als weibliche Küken – später naturgemäß keine Eier. All das macht ihre Haltung nicht rentabel. Hintergrund: Im vergangenen Jahrhundert, als die Nachfrage nach Geflügelfleisch und Eiern zunahm, wurden Hühner in zwei „Linien“ gezüchtet: Entweder legen sie möglichst viele Eier (Legelinien) oder setzen möglichst viel Fleisch an (Mastlinien).
Nordrhein-Westfalen wollte Kükentöten verbieten
Nordrhein-Westfalen beschloss 2013 als erstes Bundesland, das Kükentöten als tierschutzwidrig zu verbieten. Ab 2015 sollte in dem Bundesland kein männliches Küken mehr getötet werden. In Nordrhein-Westfalen ansässige Brütereien klagten dagegen. Das Verwaltungsgericht Minden gab den Klagen statt. Das Gericht führte aus, dass die Tötung seit Jahrzehnten sowohl im In-, als auch im Ausland üblich sei und als gerechtfertigt angesehen werde. Für die Brütereibetreiber gebe es derzeit keine marktdeckenden und praxistauglichen Alternativen zur Tötung der männlichen Küken in der Massentierhaltung.
Langer Rechtsstreit mit offenem Ende
Das Gericht führte weiter aus, dass alternative Möglichkeiten die allgemeine Nachfrage der Konsumenten nicht decken könnten und die Betriebe bei einem Tötungsverbot vor dem Aus stünden. Außerdem würde eine Untersagung des Tötens allein bezogen auf Nordrhein-Westfalen die Problematik lediglich in andere Bundes- oder EU-Länder verlagern. Die NRW-Kreise Gütersloh und Paderborn legten gegen diese Entscheidung Berufung ein. Im Mai 2016 wies das Oberverwaltungsgericht Münster die Berufung zurück mit der Begründung: Das Töten männlicher Küken verstoße nicht gegen das Tierschutzgesetz, wenn dafür ein vernünftiger Grund vorliege. Die Aufzucht der männlichen Küken von Legehennen sei für die Brütereien mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden. Das Töten sei daher „Teil der Verfahren zur Versorgung der Bevölkerung mit Eiern und Fleisch“. Das Oberverwaltungsgericht hat keine Revision zugelassen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat deswegen eine Nichtzulassungsbeschwerde eingereicht und will im Zweifel vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen. Tiere seien keine Abfallprodukte.
Drei Alternativen zum Kükentöten
Derzeit werden drei Alternativen zum Töten der männlichen Küken diskutiert:
- Die Aufzucht der männlichen Küken,
- das sogenannte Zweinutzungshuhn
- und die Geschlechtsbestimmung im Ei.
Verfahren zur frühzeitigen Geschlechtsbestimmung sind noch nicht praxisreif. Die beiden ersten Modelle bieten Kunden Alternativprodukte, sorgen aber für höhere Preise bei Eiern und Fleisch. Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hält sich die Nachfrage momentan in Grenzen. „Nur wenige Verbraucher sind geneigt, den erforderlichen Aufpreis von gegenwärtig rund zwei Euro mehr pro Kilogramm Hähnchenfleisch und fünf bis zwölf Cent Mehrkosten pro Ei zu zahlen“, schreibt das Ministerium. Dem Plus an Tierschutz stehe bei diesen beiden Modellen neben den höheren Preisen auch ein höherer Verbrauch an Ressourcen wie Futter und Wasser gegenüber.
Initiativen zur Aufzucht männlicher Küken
Mehrere Initiativen wollen das Töten der männlichen Küken von Legehühnern verhindern. Die Idee dahinter: Sie verlangen mehr Geld für die Eier. Durch den Preisaufschlag wird die Aufzucht der männlichen Küken finanziert. Aktuelles Beispiel ist Alnatura. Diese Initiativen gibt es:
- Bruderküken-Initiative von Alnatura: Im Oktober gab Alnatura bekannt, langfristig unter der eigenen Marke nur noch Eier von Legehennen anzubieten, deren männliche Geschwister als Masthähnchen aufgezogen werden. Die ersten Bruderküken-Eier seien in Bayern und Baden-Württemberg ausgeliefert. Nach und nach soll das Konzept bundesweit ausgeweitet werden. Ein Bruderküken-Ei in der 10er-Packung kostet 4 Cent mehr, ein Ei in der 6er-Packung 5 Cent mehr. Langfristig will Alnatura auch ein eigenes Produkt mit dem Fleisch der Bruderhähne anbieten. In welchen Märkten die Eier erhältlich sind, erfahren Sie auf der Alnatura-Seite.
- Bruderhahn Initiative Deutschland (BID): Seit 2013 gibt es dieses Projekt. Die beteiligten Höfe sind Bioland- und Demeterbetriebe. Sie ziehen die Bruderhähne der Legehennen mit auf. Für jedes BID-Ei wird im Laden ein Zuschlag von 4 Cent fällig. Auf der BID-Homepage finden Sie eine eine Händlerliste.
- Basic Bruderherz-Initiative: Auch die Bio-Handelskette Basic zieht die männlichen Küken nach Bioland-Richtlinien auf. Im Basic Online-Shop kostet ein Bruderherz-Ei in der 4er-Packung je 55 Cent.
- Haehnlein: Das ist ein Zusammenschluss aus 14 landwirtschaftlichen Bio-Betrieben in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Die männlichen Tiere werden mitaufgezogen und ihr Fleisch verkauft. Haehnlein-Eier und -Fleisch gibt es bei Denn’s und einigen Alnatura-Märkten sowie regional in einigen Supermarktfilialen. Auf der Haehnlein-Seite gibt es eine Händlersuche.
- Spitz & Bube: Das ist ein Pilotprojekt im konventionellen Bereich von Rewe. Hier werden den Legehennen die Schnäbel nicht gekürzt und die männlichen Küken werden mitaufgezogen. Daher der Name Spitz & Bube. Die Eier sind in weiten Teilen Nordrhein-Westfalens und im Norden von Rheinland-Pfalz bei Rewe erhältlich.
Der Ansatz des Zweinutzungshuhns
Zweinutzungshühner sind Hühnerrassen, die nicht auf Eier- oder Fleischmenge gezüchtet wurden. Die Hennen legen Eier und die Hähne werden als Masthähnchen gehalten. Somit hätten sowohl die weiblichen als auch die männlichen Küken einen wirtschaftlichen Nutzen. Die Legeleistung dieser Hennen und der Fleischansatz der Hähne sind gegenwärtig nicht mit denen von optimierten Lege- und Masttieren vergleichbar. Beispiele für Initiativen, die diesen Ansatz verfolgen:
- Das Zweinutzungshuhn: Diese Initiative setzt sich für das Rassehuhn Les Bleus ein. Sie werden wegen ihrer blauen Beine so genannt. Auf der Webseite findet sich eine Liste mit Höfen, die Les Bleus-Hühner halten oder Produkte verkaufen.
- ei care: Das Regionalprojekt Zweinutzungshuhn ei care umfasst sieben Bio-Höfe in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, die Les Bleus-Hühner halten. Eier und Fleisch gibt es in Bio-Läden im Osten Deutschlands zu kaufen. Auf der ei-care-Seite gibt es eine Karte mit Läden.
Bundesregierung setzt auf Geschlechtsbestimmung im Ei
Schon weit vorher, nämlich im Ei, setzt die dritte Initiative an – die sogenannte In-Ovo-Geschlechtsbestimmung. Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft stellt dieses Verfahren „nach derzeitigem Kenntnisstand die Option mit dem größten Potenzial dar, um künftig das Töten männlicher Küken zu vermeiden“. Ziel ist es, im befruchteten Ei das Geschlecht bereits früh zu erkennen, sodass männliche Küken gar nicht erst ausschlüpfen. Ein Video des Ministeriums erklärt die Technologie. Das Ministerium fördert das Forschungsprojekt im Rahmen der Initiative „Eine Frage der Haltung – Neue Wege für mehr Tierwohl“. Das Verfahren soll nach Zeitplan des Ministeriums 2017 marktreif sein.
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