
Unsichtbar. Getestete Hähnchenschenkel enthielten oft zu viele Bakterien, auch Krankheitserreger wie Campylobacter (siehe Foto).
Unsichtbar. Getestete Hähnchenschenkel enthielten oft zu viele Bakterien, auch Krankheitserreger wie Campylobacter (siehe Foto).
Fast jeder zweite Hähnchenschenkel enthält zu viele Keime. Und in 12 von 20 fanden wir Bakterien, die gegen bestimmte Antibiotika resistent sind.
Sauber sehen sie aus, die frischen Hähnchenschenkel aus der Plastikpackung. Was das menschliche Auge nicht erkennt: Auf dem Fleisch tummeln sich Bakterien. Völlig verbannen lassen sie sich aus Geflügel nie. Sie sollten aber kritische Mengen nicht überschreiten und keine Krankmacher sein.
Zu viele Keime und auch resistente

Antibiogramm. Dieser Test hilft, Antibiotika (im Bild weiß) auszuwählen. Wenn sie wirken, bleiben im Umfeld Kreise frei vom Bakterienbewuchs.
Der Test auf Verderbnis- und Krankheitskeime sowie antibiotikaresistente Bakterien offenbarte allerdings: 9 von 20 Produkten schneiden kurz vor oder am Verbrauchsdatum mikrobiologisch nur ausreichend oder mangelhaft ab – und das trotz optimaler Kühlung zwischen Einkauf und Test. Immerhin waren alle frei von Salmonellen. Doch zwei Produkte , „Bio Geflügel“ und „Le Marensin“, enthielten Listerien über dem Warnwert der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM)*. Diese Bakterien können Hirnhautentzündung verursachen und Ungeborene schädigen. Auch bei anderen Keimen waren oft Richt- oder Warnwerte der DGHM überschritten, etwa für Pseudomonaden oder Enterobakterien. Pseudomonaden lassen Lebensmittel verderben, manche Enterobakterien können Krankheiten verursachen. Keinen Richtwert gibt es für Campylobacter, einen Durchfallerreger und typischen Hühnerhofbewohner. Die Prüfer fanden ihn in acht Produkten.
Das Bioprodukte-Dilemma
Auffällig: Bio-Hähnchenschenkel enthielten viele Verderbnis- und Krankheitskeime. Selbst das beste Produkt, von Rewe, ist bloß befriedigend. Dafür fanden wir nur in einem der fünf Bioprodukte antibiotikaresistente Bakterien – aber bei 11 der 15 konventionellen. Eine mögliche Erklärung: Bei Bio-Erzeugnissen ist der Antibiotikaeinsatz stark beschränkt. Bio-Masthähnchen zum Beispiel dürfen die Medikamente nur einmal in ihrem kurzen Leben erhalten.
Solch strenge Regeln gelten für konventionelle Landwirte nicht. „Wenn einige Tiere kränkeln, behandeln Tierärzte oft vorbeugend den ganzen Bestand“, sagt Dr. Annemarie Käsbohrer vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). So ergab 2011 ein nordrhein-westfälischer Behördenbericht: 92 Prozent der Masthühner in den geprüften Betrieben erhielten Antibiotika.
Der Masseneinsatz von Antibiotika, auch bei Hühnern, macht Bakterien unempfindlich gegen die Arzneien. Solche resistenten Keime können auf vielerlei Wegen übertragen werden: zwischen Tieren, über Abluft und Abwasser oder bei der Arbeit im Stall (siehe Grafik). So sind laut einer 2012 veröffentlichten Studie 24 Prozent der Landwirte mit MRSA besiedelt – im Vergleich zu 1 bis 2 Prozent der Deutschen insgesamt.
MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) ist der bekannteste resistente Keim. Aus Ställen und Schlachthöfen gelangt er auch in Lebensmittel. Wir fanden ihn in fünf Hähnchenschenkeln.
Elf Produkte beherbergten ESBL-Bildner. Dabei handelt es sich um Darmkeime, die durch das Enzym Extended Spectrum Beta-Lactamase ganze Antibiotika-Gruppen zerstören. Wenn wir in einem Produkt ESBL-Bildner oder MRSA entdeckten, werteten wir das Urteil für die mikrobiologische Qualität um eine halbe Note ab. Es gibt zwar keinen gesetzlichen Grenzwert für die Keime – aber wir halten ihre Verbreitung für unerwünscht. Sie können, wenn sie auf Menschen übertragen werden, unter bestimmten Umständen Schaden anrichten.
Die Abwehr darf nicht schwächeln
„Bei gesunden Menschen sind resistente Keime ungefährlich und gliedern sich in die normale Bakterienflora im Darm oder auf Haut und Schleimhäuten ein“, sagt Käsbohrer. Doch bei Immunschwäche, etwa durch Alter, Krankheit oder Medikamente gegen Autoimmunkrankheiten, Krebsund Transplantatabstoßung, könnten sie sich über die Maßen vermehren oder in Blutgefäße und zu Organen vorstoßen.
Auch bei Verletzungen stehen ihnen die Tore ins Körperinnere offen – und im Krankenhaus: durch OPs, Kanülen, Katheter, Beatmungsschläuche. Dann drohen schwere, weil schlecht behandelbare Infektionen. In Europa sterben jährlich etwa 25 000 Menschen an resistenten Keimen, in den USA laut aktueller Schätzung ähnlich viele.
Was die Landwirtschaft zu dem Drama beiträgt, ist wissenschaftlich noch unklar. „Möglicherweise sind von Tieren stammende resistente Keime für Menschen nicht besonders gefährlich“, sagt Professor Dr. Thomas Blaha, Epidemiologe an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. „Trotzdem nimmt die Wissenschaft resistente Bakterien aus Tierbeständen natürlich sehr ernst.“
Vorsorglich handelte die Politik. 2014 tritt ein geändertes Arzneimittelgesetz in Kraft. Es sieht eine bundesweite Datenbank für alle Antibiotika-Behandlungen bei Nutztieren vor. Zudem sollen Verordnungen regeln, dass wichtige humanmedizinische Antibiotika nicht mehr in Ställe kommen und Tierärzte öfter Antibiogramme machen. Diese Tests zeigen, welche Antibiotika gegen Erreger wirken (siehe Foto). Blaha und Käsbohrer halten die Gesetzesänderung übereinstimmend für „wichtig“. Doch wann die Maßnahmen greifen, ist unklar. Und Kritiker fordern weitreichendere Schritte: klare Senkungsziele für Antibiotika und Abkehr von der Massentierhaltung. Dann ließe sich Fleisch vielleicht nicht mehr so billig produzieren. Konventionelle deutsche Hähnchenschenkel aus dem Test kosten im Schnitt 3,86 Euro pro Kilo – Bioprodukte mehr als das Dreifache.
Manche der getesteten Biohersteller befolgen strengere Vorgaben als die der EG-Öko-Verordnung, auch bezüglich Antibiotika. Das zeigt unsere Anbieterbefragung. Konventionelle Hersteller teilten oft mit, ihre Hähnchen und -schenkel würden regelmäßig auf resistente Keime überprüft und stammten aus QS-zertifizierten Betrieben. Diese erfassen ihren Antibiotikaverbrauch bereits in einer Datenbank – „ganz ähnlich wie bald auch gesetzlich vorgeschrieben“, sagt Blaha.
Hygiene schützt auch die Gesellschaft
Hersteller sollten aber auch die anderen Bakterien in Schach halten. Dazu müssten sie wohl die Verbrauchsfrist mancher Produkte verkürzen. Nach deren Ablauf sollte man das Hähnchen wegwerfen – dann haben sich Keime trotz Kühlregal und Kühlschrank so stark vermehrt, dass das Essen übel mundet, vielleicht sogar krankmacht.
Auch sonst müssen Verbraucher auf Hygiene achten – vor allem bei Hähnchen. Selbst die guten im Test sind nicht steril; das ist biologisch unmöglich. Um die Vermehrung der Keime zu bremsen, müssen gekaufte Keulen genau wie andere verderbliche Lebensmittel sofort in den Kühlschrank. Durchgaren oder -braten tötet Bakterien – auch schädliche und resistente. „Küchenhygiene schützt Verbraucher persönlich und nützt der ganzen Gesellschaft, weil resistente Keime aus dem Verkehr gezogen werden“, sagt Blaha.
Noch etwas können Verbraucher tun: Beim Arzt Antibiotika einsparen helfen. Sie werden oft ohne Antibiogramm oder unnötig verordnet – auch, weil Patienten Ärzte bedrängen. So wirken Antibiotika nicht gegen Erkältung und Grippe, da Viren und nicht Bakterien dahinterstecken. Durch Leichtsinn züchtet also auch die Humanmedizin resistente Keime heran. Käsbohrer verlangt „auf beiden Seiten, bei Menschen und Tieren, einen zielgerichteten, achtsamen Einsatz der Antibiotika.“ Sonst könnten wir unsere wichtigste Waffe gegen bakterielle Infektionen verlieren – die dann womöglich tödlich enden.
* Korrigiert am 17.10.2013.