Hüftoperation Kunst der kleinen Schnitte

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Immer mehr Kliniken umwerben Patienten mit minimal-invasiven Hüftoperationen. Sind die neuen Methoden sicher und können sie den Operationserfolg verbessern?

Unerträgliche Schmerzen, erzwungen langsame Bewegungen und schlaflose Nächte veranlassen jedes Jahr rund 180 000 Deutsche, sich ein künstli­ches Hüftgelenk einsetzen zu lassen. Ursache ist meist eine Arthrose – die allmähliche Abnutzung und Zerstörung des elastischen Gelenkknorpels. Häufig beginnt der Prozess mit winzigen, zunächst unbemerkten Verletzungen. Aber auch Entzündungen, Fehlstellungen der Beine oder Hüftgelenke können zum Gelenkverschleiß führen. Die glatte Oberfläche des Knorpels, die für ein reibungsfreies Gleiten der Gelenke notwendig ist, geht so nach und nach verloren.

Eingriffe mit hoher Erfolgsquote

Wenn Medikamente und Krankengymnastik nicht mehr helfen, sorgt ein künstliches Hüftgelenk für Schmerzfreiheit und neue Beweglichkeit. Hüftoperationen gehören heute zu den chirurgischen Eingriffen mit den höchsten Erfolgsquoten. Seit den sechziger Jahren, als die ersten Kunsthüften zum Einsatz kamen, haben Verbesserungen der Prothesenmodelle, Materialien und Operationsmethoden zu großen Fortschritten geführt.

Auch wenn die Operation inzwischen Routine ist und viele große und kleine Kliniken sie anbieten, handelt es sich um einen komplizierten chirurgischen Eingriff, der vom Operateur ein sicheres Augenmaß und eine ruhige Hand erfordert. Er muss den Kopf des Oberschenkelknochens absägen, die Gelenkpfanne in die richtige Form fräsen und einen Kanal in den Oberschenkelknochen bohren, der die Form des später eingesetzten Prothesenschafts hat.

Für die Patienten ist der Eingriff eine große Belastung. Um eine gute Sicht auf die Knochen- und Gelenkstrukturen zu haben, löst der Chirurg bei der traditionellen Operationstechnik einen Teil der Muskeln ab, die das Hüftgelenk umgeben und stabilisieren – und näht sie nach der Implantation der Prothese wieder an. Operationsfolgen können erhöhter Blutverlust, Schmerzen und muskuläre Einschränkungen sein.

Muskeln schonen

Neue minimal-invasive Operationstechniken versprechen hier Abhilfe. Zunächst ist dabei der Hautschnitt wesentlich kleiner als bei den herkömmlichen Verfahren – 6 bis 10 statt der üblichen 15 bis 20 Zentimeter. „Doch entscheidend ist, was unter der Haut passiert“, erklärt Dr. Heinz Röttinger von der Orthopädischen Chirurgie München (OCM-Klinik). Er hat eine klassische Operationstechnik so variiert, dass keine Muskeln und Sehnen mehr durchtrennt oder abgelöst werden müssen. Durch eine Lücke zwischen zwei Muskelgruppen erreicht der Chirurg das Gelenk, während er mit speziellen Operationsinstrumenten und -haken die Muskeln zur Seite hält. Rund 1 500 Patienten hat Dr. Röttinger inzwischen auf diese Weise operiert. Die Vorteile für die Patienten: Sie verlieren weniger Blut – Eigenblutspenden vor der Operation sind nur in Einzelfällen nötig, und meist verzichtet das Münchner Team während der Operation sogar auf die übliche Transfusion des gereinigten Wundbluts mit dem so genannten Cell-Saver. Außerdem haben die Patienten direkt nach der Operation weniger Schmerzen und brauchen entsprechend weniger Schmerzmittel als traditionell Operierte. Sie sind auch schneller wieder beweglich, denn ihre Hüft- und Oberschenkelmuskeln sind bald wieder voll einsatzfähig. Auch die Rehabilitationsphase ist meist kürzer als üblich.

Komplikationen

In den USA verlassen manche Patienten schon am Operationstag die Klinik. Andererseits wird dort über die minimal-invasiven Verfahren kontrovers diskutiert. So gibt es auch Berichte über erhöhte Komplikationsraten, die zum Teil auf ungeübte Operateure, zum Teil auf Operationsmethoden mit eingeschränkter Sicht zurückgeführt werden. Weit verbreitet ist in amerikanischen Kliniken die so genannte Zwei-Schnitt-Methode: Ein kleiner Schnitt in der Leiste ermöglicht den Zugang zum Hüftknochen, ein Schnitt im Gesäß erlaubt das Arbeiten am Oberschenkelknochen. Während der Operation ist zeitweilig eine Röntgenkontrolle notwendig, um die Prothese richtig positionieren zu können – verbunden mit hoher Strahlenbelastung für die Patienten und das Operationsteam.

Neue Verfahren, wenige Patienten

Auf dem Berliner Orthopädenkongress im vergangenen Herbst berichteten auch mehrere deutsche Arbeitsgruppen über ihre Erfahrungen – von der Ostseeklinik Damp bis zum Klinikum Kempten im Allgäu. Die orthopädischen Chirurgen hierzulande versuchen sich an verschiedenen minimal-invasiven Operationstechniken. Neben der Zwei-Schnitt-Methode stellten die Fachärzte vordere, seitliche und hintere Zugänge zum Operationsfeld mit mehr oder weniger starken Eingriffen an Muskeln und Weichteilen vor. Obwohl bisher nur Daten für wenige Patienten vorliegen, zeigten sich die Referenten überzeugt, dass die neuen Operationsverfahren gut funktionieren und die Patienten schneller wieder auf die Beine kommen.

Operationstechnik erlernen

„Über Jahrzehnte hat man sich in der Endoprothetik nur um die Verbesserung der Implantate gekümmert“, erklärt Dr. Röttinger, „jetzt werden auch die Operationstechniken verfeinert.“ Er selbst bietet inzwischen Schulungen für andere Chirurgen an, die die minimal-invasive Technik lernen wollen. Ein großes Problem – auch für Patienten – sieht er jedoch darin, „dass ein Operateur das Verfahren nicht von heute auf morgen beherrscht, denn erst muss er die Instrumente, die Handgriffe und die Lagerung des Beins kennen lernen. Außerdem ist das Operationsfeld kleiner als beim Standardeingriff.“

Vorschriften oder Zertifikate für das Erlernen neuer Operationstechniken gibt es nicht. Bevor Ärzte jedoch ihre Künste an Patienten erproben, sollten sie bei erfahrenen Chirurgen hospitieren und die neue Technik in speziellen Kursen und mit Übungen an anatomischen Präparaten gründlich trainieren, meint auch Dr. Dominik Parsch. Der leitende Oberarzt in der orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg operiert etwa jeden zweiten Hüftpatienten minimal-invasiv.

In einem ausführlichen Gespräch erläutert Dr. Parsch seinen Patienten die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Verfahren und entscheidet dann mit ihnen gemeinsam über die Art des Eingriffs. Bei stark Übergewichtigen bevorzugt er eher die klassische Operation, denn zu viel Fettgewebe schränkt die Übersichtlichkeit des Operationsbereichs ein. Auch ältere Patienten, die eine zementierte Prothese erhalten, operiert er traditionell.

„Minimal-invasiv wird die Zukunft sein“, erklärt Professor Wolfgang Noack vom Waldkrankenhaus Spandau in Berlin, „denn schonenden Operationsverfahren kann sich kein vernünftiger Mensch entziehen.“ In der Berliner Klinik, die jährlich rund 1 000 künstliche Hüften implantiert, ist die neue Methode in den vergangenen zwei Jahren schon fast zum Standard geworden – wenn die Patienten körperlich fit und nicht übergewichtig sind.

Keine Langzeiterfahrungen

Langzeiterfahrungen mit minimal-invasiven Hüftoperationen gibt es noch nicht. Selbst Pioniere der Methode, wie Dr. Röttinger, blicken erst auf drei Jahre Erfahrung und eine entsprechend kurze „Lebenszeit“ der Prothesen zurück. Doch für Professor Noack handelt es sich nur um eine Modifikation der Standardoperation, die keinen Einfluss auf die Haltbarkeit des künstlichen Hüftgelenks hat. Das sieht auch Dr. Dominik Parsch so. Neben der Qualifikation des Chirurgen ist in erster Linie die optimale Position des Implantats im Knochen entscheidend, erklärt er. Wichtig ist deshalb, dass für neue Operationsverfahren eine Prothese gewählt wird, mit der die Klinik lange Erfahrung hat. „In Heidelberg nutzen wir einen Implantatschaft, der seit 20 Jahren im Einsatz ist, und es gibt exzellente Langzeitergebnisse von 15 bis 20 Jahren Haltbarkeit.“

Die Knochen schonen

Trotz allen technischen Fortschritts und des Geschicks eines guten Operateurs ist das Kunstgelenk dem natürlichen Gelenk unterlegen. Besonders jüngere Patienten müssen damit rechnen, die Prothese irgendwann austauschen zu müssen. Der Implantatschaft, der im Oberschenkelknochen sitzt, kann sich lockern und bei den Bewegungen der Kugel in der Hüftpfanne lösen sich kleinste Materialteilchen, die Gewebereaktionen wie Entzündungen und letztlich die Auflösung des Knochens zur Folge haben können.

Die Pfanneneinlage und den Hüftkopf kann der Chirurg relativ einfach ersetzen. Problematischer ist der Austausch des Schafts. Um für solche Wechseloperationen genügend Knochenmasse zur Verfügung zu haben, erproben die Operateure seit einigen Jahren neue knochensparende Implantate. Bei der Erstoperation setzen sie zum Beispiel einen Kurzschaft ein. Eine andere Möglichkeit ist der Oberflächenersatz. Bei diesem Verfahren wird nur die defekte Knorpelkappe des Hüftkopfs abgenommen und die Oberfläche neu modelliert. Eine Kappe aus Metall ersetzt die Knorpelfläche, Gleitpartner ist eine dünne Metallpfanne. Für die knochensparenden Implantate gibt es Studien über fünf bis zehn Jahre Haltbarkeit.

Neues Konzept der Kassen

Verbesserungen für die Patienten, zumindest organisatorischer Art, versprechen auch die Krankenkassen. Etliche Kassen, zum Beispiel AOK, Barmer und Techniker Krankenkasse, bieten ihren Versicherten, die ein künstliches Hüftgelenk brauchen, eine „integrierte Versorgung“ an. Sie schließen regional Verträge mit Krankenhäusern, Rehabilitationskliniken, Ärzten und Physiotherapeuten ab und organisieren den lückenlosen Behandlungsablauf von der Diagnostik und Vorbereitung über die Operation in ausgewählten Kliniken bis hin zu Rehabilitation und regelmäßigen Nachuntersuchungen.

Die Kliniken, die an den Programmen teilnehmen, müssen große Erfahrung mit dem Einsatz künstlicher Gelenke nachweisen. Sie verpflichten sich außerdem zu regelmäßigen Qualitätsprüfungen und geben meist eine Garantie von zehn Jahren auf die Kunsthüfte.

Die Patienten erhalten einen Prothesenpass mit Angaben über die Operation, Material und Hersteller des Implantats sowie Nachuntersuchungen. Diese Auskünfte sind vor allem wichtig, wenn doch einmal eine Wechseloperation notwendig werden sollte.

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