
Zuhause sterben – das wünschen sich viele unheilbar Kranke. Mithilfe ambulanter Dienste kann es gelingen. Ein Tod in Würde ist auch in Hospizen und Kliniken möglich. Das Angebot wächst, reicht aber nicht.
Die meisten Menschen möchten in ihren eigenen vier Wänden sterben. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Etwa 70 Prozent sterben in Krankenhäusern und Pflegeheimen, schätzt der Deutsche Hospiz- und Palliativverband. Er setzt sich dafür ein, Schwerstkranken diesen Wunsch möglichst zu erfüllen und belastende Krankenhausaufenthalte zu vermeiden.
Wenn es nicht mehr um Heilung geht oder darum, Leben zu verlängern, zählen Menschlichkeit und die Linderung von Beschwerden. Verschiedene Einrichtungen und Spezialisten helfen, die Lebensquali-tät am Lebensende zu verbessern. Einige engagieren sich ehrenamtlich als Hospizhelfer, andere wie Ärzte, Pfleger und Therapeuten haben sich auf die Palliativversorgung spezialisiert. Der Begriff palliativ leitet sich vom lateinischen Wort pallium für Mantel ab. Es geht also um Schutz, Wärme und Geborgenheit.
Die Zahl der Hospiz- und Palliativangebote hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Doch den Bedarf decken sie noch nicht. Für Patienten sind ambulante Dienste für zuhause sowie stationäre in Kliniken und Hospizen weitgehend kostenlos. Wir haben zusammengestellt, welche Formen der Palliativversorgung infrage kommen. Je nach Situation kann es sinnvoll sein, die Angebote zu wechseln oder zu kombinieren.
Ehrenamtliche hören zu

Zuhause. Eine Ehrenamtliche hilft, dass wieder etwas Alltag einziehen kann.
Am einfachsten für Menschen mit einer schweren oder unheilbaren Krankheit und für ihre Angehörigen ist es, einen der bundesweit rund 1 500 ambulanten Hospizdienste einzuschalten. Etwa 80 000 Ehrenamtliche engagieren sich dort. Sie kommen nach Hause, ins Pflegeheim, in die Klinik, ins stationäre Hospiz. Ihr Anliegen ist es, den unheilbar Kranken und ihren Angehörigen Beistand zu leisten.
Die meisten Betroffenen sehnen sich nach Nähe zu anderen Menschen. Sie möchten reden über den Sinn von Leben, Krankheit, Tod. Manche sind allein; andere haben zwar Verwandte und Freunde, aber die sind nicht immer die richtigen Gesprächspartner. Sie haben eigene Sorgen, nur begrenzt Zeit, wohnen weit weg oder die Beziehung ist belastet. Manchmal entspannt jemand von außen die Situation.
Ambulante Dienste bürgen für ihre Ehrenamtlichen. Sie müssen in der Regel ein Bewerbungsverfahren durchlaufen und sind geschult. Egal ob zupackend, lustig oder nachdenklich – sie werden so ausgewählt, dass sie zum Patienten passen. Gemeinsam erleben beide oft noch etwas Alltag, gehen spazieren, lesen Zeitung, sehen fern. Wenn Kinder im Haushalt leben, bringen die Ehrenamtlichen sie auch zum Fußball, gehen mit ihnen ins Kino. „Die Krisensituation schweißt schnell zusammen“, sagt Kerstin Kurzke. Sie koordiniert einen Hospizdienst der Malteser in Berlin.
Ärzte auf Rädern

Erfahrung mit dem Tod. Die meisten Deutschen haben bereits Erfahrung mit dem Sterben eines nahestehenden Menschen gemacht.
Erfahrung mit dem Tod. Die meisten Deutschen haben bereits Erfahrung mit dem Sterben eines nahestehenden Menschen gemacht.
Nicht nur Ehrenamtliche kommen zu den Patienten nach Hause, auch Ärzte und Pfleger mit einer besonderen Palliativausbildung. Sie erfüllen Menschen mit den schwersten Krankheitsbildern ihren dringlichsten Wunsch, im gewohnten Umfeld zu sterben. Der Dienst trägt den sperrigen Namen spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV). Thomas Schindler aus Berlin arbeitet als SAPV-Arzt. Er fährt von Wohnung zu Wohnung – untersucht, lindert Schmerzen und Atemnot, verordnet Spezialbetten, Rollstühle, Inhalationsgeräte. Schindler organisiert nicht nur sämtliche Hilfsmittel, sondern managt für jeden Patienten das richtige Team: Pfleger, ehrenamtliche Hospizhelfer, auch Physiotherapeuten oder Logopäden. Manche Patienten betreut er einige Monate, andere nur wenige Tage, im Durchschnitt sind es vier bis acht Wochen. Während dieser Zeit baut Schindler fast immer ein enges Verhältnis zu den Betroffenen auf, schaut auf das Gute im Leben, klärt Unbewältigtes, spendet Trost. „Ich arbeite auch als Seelsorger.“
Anspruch auf Spezialversorgung
Wunsch und Wirklichkeit. Wo die Menschen sterben möchten – und wo sie tatsächlich sterben.
Seit 2007 haben gesetzlich Krankenversicherte bei Bedarf Anspruch auf die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV). Sie müssen unheilbar krank sein und unter schweren Symptomen leiden, die aufwendig zu versorgen sind. Das trifft für etwa 10 Prozent der Schwerstkranken zu. Das Konzept ist sinnvoll, die Umsetzung hat aber Lücken: So erhielt 2010 nur etwa jeder Vierte, für den SAPV wahrscheinlich infrage gekommen wäre, die mobile Leistung. Der Grund: zu wenig Teams, zu wenig Mitarbeiter, vor allem auf dem Land. Experten fordern aber nicht nur mehr Teams, sondern auch offenere Strukturen. So seien zurzeit etwa 85 Prozent der SAPV-Patienten krebskrank, dabei wäre die Spezialversorgung auch für Menschen mit anderen schweren Krankheiten wichtig.
Fehlende Qualifikation
Die meisten unheilbar Kranken, die zuhause sterben möchten, brauchen keine spezialisierte Versorgung. In der Regel könnten Hausärzte und klassische Pflegedienste sie betreuen. Diese Grundversorgung klappt aber oft nur, wenn sich Ärzte und Pflegekräfte stark engagieren. Die notwendigen Leistungen für Sterbende werden kaum angemessen vergütet – etwa zusätzliche Hausbesuche oder die Vermittlung weiterer Hilfe. Hinzu kommt, dass nicht jeder Hausarzt eine besondere Qualifikation in Palliativmedizin hat. Sie ist erst seit 2009 Pflichtfach im Medizinstudium.
Nachholbedarf in Pflegeheimen
Langsam erreicht die Palliativversorgung auch die Pflegeheime, wo viele Schwerstkranke, Demente und Sterbende leben. In einigen Einrichtungen arbeiten bereits palliativ geschulte Pflegekräfte. Sie wissenetwa mit Demenzkranken umzugehen, die für Beschwerden wie Schmerzen keine Worte mehr finden. Die Pfleger können das erkennen und helfen. Auch bei seelischer Not wie Angst erfahren die alten Menschen viel Zuwendung, zumal Angehörige, Ärzte und Hospizhelfer mit eingebunden sind. Bei akuter Verschlechterung des Zustands müssen Schwerstkranke seltener in die Klinik als früher. Die Regel ist Palliativversorgung im Pflegeheim aber noch lange nicht.
Kinderhospize arbeiten anders
Deutlichere Konturen tragen bereits Palliativ- und Hospizangebote für Kinder und Jugendliche. Neben einigen ambulanten Hospizdiensten gibt es bundesweit elf stationäre Hospize. Ihre Arbeit beginnt, sobald eine lebensbedrohliche oder unheilbare Krankheit diagnostiziert wird, etwa Krebs, Erbkrankheiten, Muskel- und Stoffwechselerkrankungen. Auch schwer verunglückte Kinder und behinderte Babys, die viel zu früh oder mit folgenschweren Komplikationen auf die Welt gekommen sind, finden Hilfe. Die Hospizeinrichtungen versorgen die Kleinen oft über Jahre.
Einige Kinder können gänzlich zuhause betreut werden. Der ambulante Kinderhospizdienst hilft den Eltern, den Alltag zu bewältigen. Die Mitarbeiter kümmern sich zudem um die gesunden Geschwister. Seit 2007 haben auch Kinder ein Recht auf ein mobiles Team für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV). Manches schwerkranke Kind wechselt zwischen zuhause und stationärem Hospiz. Ins Hospiz kommt es etwa bei Krisen, Urlaub oder Erschöpfung der Eltern. Einige Kinder und Jugendliche leben auch über Jahre im Hospiz Und darauf sind diese Orte auch eingerichtet: Der Sonnenhof in Berlin etwa hat im großen Garten einen kleinen Zoo mit Kaninchen zum Kraulen und Eseln zum Reiten. Die Zimmer sehen halb aus wie zuhause mit Kuscheltieren und Familienfotos, halb wie Krankenhausräume mit medizinischem Gerät. Wenn ein Kind gestorben ist, können sich die Angehörigen in einem speziellen Raum von ihm verabschieden. Im Sonnenhof brennt dann eine Kerze vor diesem Raum, ein Teddy hält Wache.
Im Hospiz lässt man das Sterben zu
Immer mehr Hospize. Die Zahl der stationären Hospize und Palliativstationen nimmt zu.
Schwerstkranke Erwachsene ziehen erst in ein Hospiz, wenn ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt. Sie leben für einige Tage oder Wochen in einem der wohnlich eingerichteten Zimmer. Im Hospiz Schöneberg-Steglitz sind die Wände in warmem Gelb gestrichen, der Blick durch die Fenster fällt auf große Bäume. Die Schwerkranken heißen dort – wie in zahlreichen anderen Hospizen auch – nicht Patienten, sondern Gäste. Sie sollen sich geborgen fühlen. Dafür tun die Pflegekräfte und die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter viel. Sie verbinden professionelle Pflege mit Menschlichkeit, sie massieren, lesen vor, singen, hören zu. Vor allem aber lassen sie den Sterbeprozess zu. In Zusammenarbeit mit den Palliativmedizinern lindern sie Begleitsymptome wie Schmerzen oder Übelkeit. Die Hospize in Deutschland haben einen guten Ruf. Nahezu jeder Fünfte wünscht sich, in einem Hospiz zu sterben.
Krankenhausstation mit Klavier

In der Natur. Ein Spaziergang macht es leichter, Schwieriges zu besprechen.
Weniger bekannt als die Hospize sind die Palliativstationen, die einige Kliniken in den vergangenen Jahren für unheilbar Kranke eingerichtet haben. Dorthin kommen sie bei akuten Beschwerden, die ambulant nicht mehr behandelt werden können. Ein Team aus vielen Profis wie Ärzten, Pflegern oder Psychologen versucht, die Schwerstkranken medizinisch und mental zu stabilisieren. „Viele Patienten finden bei uns wieder Entspannung“, sagt Wiebke Nehls, ärztliche Leiterin der Palliativstation des Berliner Helios Klinikums Emil von Behring. Die Mitarbeiter wollen die Patienten als Menschen wahrnehmen und wissen viel über ihre Vorlieben – etwa, dass sie Leseratten sind oder gern Boot fahren. Auf Palliativstationen werden die Angehörigen in alle Entscheidungen einbezogen und dürfen oft mit ins Krankenzimmer ziehen. Die befinden sich normalerweise weit weg vom übrigen Klinikbetrieb, sind in freundlichen Farben gestrichen, haben ein Sofa, ein Fenster mit Blick ins Grüne. Zur Station können auch eine Terrasse oder ein Wohnzimmer mit Klavier gehören. Im Mittel bleiben die Kranken zwölf Tage dort. Einige sterben auf der Station, die anderen ziehen um ins Hospiz oder zurück nach Hause, wo sie oft ein SAPV-Team versorgt. Wo das Leben auch zu Ende geht – es sollte schmerzfrei und würdevoll geschehen.