Hörtest bei Babys Nützlicher Klick ins Ohr

0

Seit einem Jahr hat jedes Neugeborene Anspruch auf einen Hörtest. Kinder mit Hörstörungen können so frühzeitig und wirksam behandelt werden.

Hörstörungen zählen zu den häufigsten angeborenen Erkrankungen. Etwa ein bis zwei Neugeborene von 1 000 leiden unter einer beidseitigen Hörstörung, die so gravierend ist, dass die weitere Entwicklung ihres Hörsinns und ihre Sprachentwicklung stark behindert werden, wenn die Störung nicht rechtzeitig entdeckt wird.

Früher viel zu spät entdeckt

Meist handelt es sich um Schäden der Sinneszellen im Innenohr. „Ab einem mittelschweren Hörverlust nehmen die Babys beispielsweise Sprache nur undeutlich wahr, einige hohe Töne können sie gar nicht hören“, erklärt Dr. Bärbel Wohlleben von der Berliner Charité. Sie ist Psychologin an der Klinik für Audiologie und Phoniatrie. Kinder mit hochgradigen Hörstörungen sind nicht einmal in der Lage, laute Geräusche wie einen bellenden Hund zu hören.

In der Klinik für Audiologie und Phoniatrie ist auch das Deutsche Zentralregister für kindliche Hörstörungen angesiedelt. Seit rund 15 Jahren wertet es Daten aus, die aus dem gesamten Bundesgebiet gemeldet werden. Dabei zeigte sich unter anderem, so die Ärztin Maria-Elisabeth Spormann-Lagodzinski, dass angeborene Hörstörungen in Deutschland häufig erst im Kindergartenalter, manchmal sogar erst bei der Einschulung entdeckt werden. Für eine umfassende Behandlung ist das viel zu spät. Denn gerade in den ersten Lebensjahren lernen Säuglinge besonders intensiv. Die Hörbahnen entwickeln sich und das Gehirn lernt, die Hörinformationen der Ohren zu verfeinern und sinnvoll zu interpretieren. Doch ohne akustische Reize kommt es schon nach wenigen Monaten zu nicht wiedergutzumachenden Schäden.

Kinder, die nicht richtig hören können, lernen auch nicht zu sprechen. In der Folge kann ihre geistige, emotionale und soziale Entfaltung behindert sein, ihre Schul- und Berufsausbildung können eingeschränkt sein. Die verpassten Entwicklungsmöglichkeiten können die Kinder nur teilweise und unter großen Mühen aufholen.

Bessere Startmöglichkeiten

Nun gibt es ein flächendeckendes Hör­screening nur wenige Tage nach der Geburt. Kinder- und Ohrenärzte versprechen sich davon, den Säuglingen durch eine frühzeitige Therapie und gezielte Förderung bessere Startmöglichkeiten verschaffen zu können. In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Geburtskliniken den Hörtest für Neugeborene schon aus eigener Initiative freiwillig angeboten, und in mehreren Bundesländern gab es Modellprojekte, auch aufgrund guter Erfahrungen zum Beispiel in Belgien, Österreich und den USA.

In Berlin, wo unter anderem die Lions-Clubs die Geburtskliniken schon vor einigen Jahren mit Geräten für den Hörtest ausstatteten, wurden seither hochgradig hörge­störte Kinder schon früher entdeckt. „Es besteht die Hoffnung,“ sagt Maria-Elisabeth Spormann-Lagodzinski, „dass in Zukunft weniger Kinder durchs Rost fallen“.

Zwei Messverfahren

Die Früherkennungsuntersuchung wird in der Regel bis zum dritten Tag nach der Geburt noch in der Klinik durchgeführt. Bei Hausgeburten oder Geburten in Geburtshäusern können auch niedergelassene Ärzte das Hörscreening übernehmen. Der Hörtest kann gemacht werden, während der Säugling schläft. Risikokinder, zum Beispiel kranke, behinderte oder zu früh geborene Kinder, sollten spätestens bis zum Ende des dritten Lebensmonats untersucht werden.

Es gibt zwei Messverfahren – die Messung der otoakustischen Emissionen und die Hirnstammaudiometrie.

Otoakustische Emissionen (OAE): Sie sind eine Art Echo, die das Ohr zurückschickt, wenn es Töne hört. Für die Messung (siehe Foto) wird dem Baby eine kleine Sonde in den Gehörgang gesteckt, die ein leises Klickgeräusch aussendet. Wenn die Haarzellen der Hörschnecke den Klick wahrnehmen, geraten sie in Schwingungen, die als Schallwellen zurück ins äußere Ohr übertragen werden. Ein an der Sonde befestigtes Mikrofon nimmt die Vibrationen auf und misst, wie stark sie sind. Ein schwaches oder fehlendes Signal kann auf eine gestörte Schallaufnahme im Innenohr hinweisen. Der Hörtest dauert nur wenige Minuten. Die Messung der otoakustischen Emissionen wird in der Regel als Grunduntersuchung durchgeführt. Bei Auffälligkeiten wird sie wiederholt. Ist das Ergebnis weiter negativ, erfolgt zur Kontrolle eine Hirnstammaudiometrie.

Hirnstammaudiometrie: Sie misst, ob Schallwellen als elektrische Impulse aus dem Innenohr an das Gehirn weitergeleitet und verarbeitet werden. Einige Kliniken bieten diesen Test auch schon als Erstuntersuchung an. Über eine Sonde oder einen Kopfhörer werden dazu ebenfalls leise Klickgeräusche in das Ohr gesendet. Als Messfühler dienen Elektroden – kleine Metallplättchen –, die auf die Kopfhaut geklebt werden oder schon in den Kopfhörer integriert sind (siehe Foto). Beide Untersuchungen erfordern eine ruhige Umgebung. Die Ergebnisse werden im gelben Kinderuntersuchungsheft eingetragen.

Falscher Alarm ist möglich

Ein auffälliges Testergebnis bedeutet nicht unbedingt, dass eine angeborene Hörstörung vorliegt. Vor allem bei der Messung der otoakustischen Emissionen kommt es relativ häufig zu einem falschen Alarm. Auch Hintergrundgeräusche oder Flüssigkeit im Ohr des Säuglings können die Ergebnisse verfälschen. Deshalb werden zunächst Kontrolluntersuchungen gemacht. Wenn die Ergebnisse dann immer noch negativ sind, sorgen umfangreichere Untersuchungen beim Pädaudiologen (Facharzt für Stimm-, Sprach- und kindliche Hörstörungen) für mehr Klarheit. Denn wenn die Reaktion des Innenohrs oder von Teilen der Hörbahn gestört ist, liegt ein Hinweis auf eine Hörminderung vor.

Nicht in Stummheit verfallen

In jedem Bundesland gibt es eine „Tracking-Zentrale“, die – bei Einverständnis der Eltern – die Ergebnisse des Hörscreenings erfasst. Sie erinnert die Eltern telefonisch oder per Post an eventuell noch ausstehende Untersuchungen und informiert sie über Kliniken und Spezialisten. Familien mit einem hörgeschädigten Kind brauchen vor allem auch eine intensive Beratung, wie sie mit der schwierigen Situation umgehen. „Denn manchmal sind die Eltern so schockiert“, so Dr. Bärbel Wohlleben, „dass sie die Kommunikation mit ihrem Kind völlig einstellen. Man muss ihnen dabei helfen, nicht in Stummheit zu verfallen.“

Hörgeräte fördern die Entwicklung

Leichte oder einseitige Hörstörungen müssen nicht unbedingt behandelt werden, wenn die Kinder dadurch nicht beeinträchtigt sind. Die Eltern brauchen aber auf jeden Fall eine Beratung. Wenn sie beispielsweise wissen, dass ihr Säugling auf dem rechten Ohr schlecht hört, können sie ihn immer von der linken Seite ansprechen. Später sollten sie außerdem auf die Sprachentwicklung des Kindes achten.

Babys mit mittleren und schweren Hörstörungen sollten so früh wie möglich behandelt werden, idealerweise noch vor dem sechsten Lebensmonat. Meist ist die Versorgung mit einem oder zwei Hörgeräten notwendig. Wenn sie rechtzeitig angepasst werden, haben die Kinder die Chance, sich weitgehend normal zu entwickeln und mit ihren Altersgenossen gleichzuziehen.

Hochgradig schwerhörigen Kindern, die mit Hörgeräten nicht klarkommen, kann ein Cochlea-Implantat die Chance der Hör- und Sprachentwicklung ermöglichen (siehe „Cochlea Implantat“). Das ist schon im Alter von ein oder zwei Jahren möglich.

Ständig begleiten, früh fördern

Auf jeden Fall brauchen Kinder mit schweren Hörstörungen und ihre Familien eine ständige Begleitung. Zusammen mit den technischen Hörhilfen kann eine intensive Frühförderung der Hör- und Sprachfähigkeit hörgeschädigte Kinder dazu befähigen, einen normalen Kindergarten und die Regelschule zu besuchen. Sie sind dann ausreichend fit, um dem normalen Unterricht folgen zu können.

0

Mehr zum Thema

0 Kommentare Diskutieren Sie mit

Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.