Schwerhörige werden nicht immer gut versorgt. Beim Hörhilfenkauf gibts Schwarzmalerei und Schönfärberei.
Zwei Orte, ein Thema: In einem „Hörgarten“ in Oldenburg stehen als Riesenspielzeug überdimensionale Ohren aus Metall – das vielleicht größte Hörgerät der Welt. Wer sich zwischen den Lauschern auf einen „Hörthron“ setzt, kann erleben, wie unterschiedlich das rechte und das linke Ohr hören. Und in einem historischen Landhaus unweit von Kopenhagen residiert das Eriksholm-Museum. Zu besichtigen sind dort Hörgeräte aus drei Jahrhunderten: vom Hörrohr bis zu jenen modernen Winzlingen, ausgestattet mit High-Tech-Miniaturkomponenten, die heutzutage Einlass in die Gehörgänge Schwerhöriger finden sollen.
300 Exponate künden vom Fortschritt bei einem Produkt, das aus einem Mikrofon, analogem oder digitalem Verstärker und einem Lautsprecher besteht. Bereits in den dreißiger Jahren wurden Hörgeräte mit Verstärker und kleinen Batterien ausgestattet, in den Fünzigern kamen erste Im-Ohr-Geräte auf den Markt.
Hörgeräte können bei optimaler Auswahl und Anpassung durch Arzt und Hörgeräteakustiker Schwerhörigen das Verstehen erheblich erleichtern. Hörgeräteakustiker stimmen Hörhilfen nach persönlichen Bedürfnissen ab. Verschiedene Zusatzfunktionen erhöhen den Anwendungskomfort – und oft den Preis.
Probleme mit der Akzeptanz
Versprochen wird Schwerhörigen zum Beispiel ein „natürliches Klangerlebnis“ oder „gutes Hören, Fernsehen, Telefonieren, Musik-Genießen und Sich-Unterhalten“. Also alles in Ordnung? Trotz verbesserter Elektronik und flotter Werbesprüche ist das nicht immer der Fall. Das liegt zum Teil auch an den Schwerhörigen selbst: Im Unterschied zu Brillen, die auch modisches Accessoire sind, haben Hörgeräte als Hilfsmittel nach wie vor ein Imageproblem. Sie sollen ihre guten Dienste im Verborgenen leisten. Hörhilfen fördern zwar das Verstehen, aber offenbar nicht hinreichend das Verständnis für ihre Notwendigkeit – der Optik wegen. „Dass Sie optimal hören, braucht niemand zu sehen“, lautet eine Botschaft, mit der die Akustikerkette Kind im Internet für ein Hörgerät wirbt.
Viele Schwerhörige schieben eine Versorgung mit einem „Hörsystem“ auf die lange Bank. Es dauert etwa sieben Jahre, bis man sich dazu entschließt. Bei einer Leserumfrage zu Erfahrungen mit Hörgeräten, die wir vor einigen Jahren durchführten, fanden sich unter den 1 245 Rückmeldungen Aussagen wie „Man muss lernen mit Hörgeräten zu hören. Das muss man aber vorher wissen.“ Nur jeder zweite trug sie den ganzen Tag, jeder zehnte nur gelegentlich. Sechs Prozent hatten die Hörhilfen enttäuscht beiseite gelegt. An dieser Tendenz hat sich bis heute nichts geändert.
Das ist fatal. Denn Hören will gelernt sein. Ein Kleinkind, das nicht gut hört, kann seine Sprache nur eingeschränkt entwickeln. Erwachsene, die Hördefizite ignorieren, erleiden weiteren Schaden: Hörfähigkeit geht zunehmend verloren, Teilnahme am sozialen Leben, kognitive Fähigkeiten leiden. Eine Hörhilfe muss her – auch wenn sie ursprüngliches Hören nicht wiederherstellen kann. In einer nützlichen Checkliste hat die Fördergemeinschaft Gutes Hören, ein Zusammenschluss von Berufsverbänden von Hörgeräteakustikern, Qualitätskriterien und eine Palette positiver Eigenschaften der Zunft benannt, von denen Hörschwache profitieren sollen.
17 schwerhörige Testpersonen
Für den Praxistest haben wir 15 schwerhörige Tester zur Hörgeräteanpassung zu fünf überregional tätigen Hörgeräteakustikerunternehmen geschickt (in je drei Filialen), zwei zu je einem HNO-Arzt (Direktversorger). Es ging im Wesentlichen um das Hören nach Erstanpassung, die Qualität der Bedarfsanalyse, Dokumentation der Hörergebnisse im Ton- und Sprachaudiogramm , Anpassbericht und Fertigung von Ohrpassstücken – mit nicht immer erfreulichen Ergebnissen:
- So wurden Fragen nach dem persönlichen Umfeld, nach Erkrankungen wie Tinnitus vergessen.
- In einer der besuchten Filialen wurde nur ein Hörgerätetyp angeboten. Es fehlten somit Vergleichsmöglichkeiten.
- Zum Teil fehlten Voraussetzungen für korrekte audiologische Tests, zum Beispiel schalldicht geschlossene Kabinen. Die Tester baten um Angebote von Hörgeräten im Preisbereich zwischen 800 und 1 000 Euro pro Gerät:
- Das Gros der empfohlenen Geräte lag unter 2 000 Euro fürs Paar. Einmal wären aber Kosten von 3 500 Euro fällig geworden und einmal von rund 4 900 Euro.
Von mehreren Experten wurden wir darauf hingewiesen, dass ein wesentlicher Service der Anpassung nach Abnahme des gekauften Hörgeräts noch folge: Erst die Feinabstimmung in den Wochen nach dem Kauf lasse eine endgültige Aussage über die Qualität der Versorgung zu. Doch beim „letzten Besuch“ in den Filialen gab es nur bei zwei Testern einen konkreten Hinweis auf ein „Nachjustieren“ der Geräte, sonst allenfalls auf einen „Kundendienst“ nach bis zu einem Jahr. In sieben Fällen wurden die Tester ohne weitere Angaben entlassen: Mit keiner Silbe wiesen die Akustiker auf ein oft über den Gesamterfolg der Hörgeräteversorgung entscheidendes, abschließendes Feintuning hin.
Autec „mangelhaft“
Die Firma Autec schnitt im Test am schlechtesten ab, insbesondere wegen der fehlerhaften Bedarfsanalyse („mangelhaft“). Bei dieser Analyse muss der Akustiker die Notwendigkeit einer Hörgeräteanpassung auf der Grundlage exakter Daten überprüfen. Und bei allen drei Testpersonen verbesserten sich die Hörergebnisse bei Autec nicht wesentlich.
Seifert und Kind „gut“
Ein „gutes“ test-Qualitätsurteil erzielten nur die Firmen Seifert und Kind. Seifert erreichte beim Hörergebnis nach der Erstanpassung das beste Ergebnis, ebenso bei der Hörgeräteanpassung. Die Firma Geers bekam wegen des „Ausreichend“ im „Hörergebnis nach Erstanpassung“ auch als Qualitätsurteil nur diese Note. „Befriedigend“ zeigte sich Iffland im Test.
Insgesamt fällt auf, dass die Ergebnisse in den jeweils drei getesteten Filialen eines Unternehmens stark variieren können. Oft besteht kein einheitlicher Beratungs- und Versorgungsstandard. Eine Iffland-Filiale erreichte bei der Bedarfsanalyse den besten Wert aller Filialen, bei einer anderen den schlechtesten. Bei Testsieger Seifert lagen die Einzelleistungen in allen drei getesteten Filialen auf befriedigendem oder gutem Niveau.
Schwarzmalen und Schönfärben
Zu den Daten, die die Akustiker zur Hörfähigkeit ohne Hörgerät und zum Hörergebnis nach Erstanpassung der Hörgeräte ermittelten, führten wir Kontrollmessungen durch. Die Messungen zeigen zwei Trends: Einerseits wurde die Hörfähigkeit ohne Hörgerät von den Akustikern tendenziell schlechter gemessen, als sie tatsächlich war. Andererseits stellten sie die Hörfähigkeit mit den Hörgeräten in den Berichten oft besser dar.
Nicht immer war gegenüber der Situation ohne Hörgerät in den Frequenzbereichen, die für die Hörstörung relevant sind, eine Verbesserung durch die Versorgung festzustellen, in zwei Fällen sogar eine Verschlechterung. Hat ein Schwerhöriger ein Hörgerät erst kurze Zeit in Betrieb, kann es vorkommen, dass sich das Sprachverstehen nicht gleich verbessert. Ein schlechteres Verstehen dürfte nach einer sachkundigen Hörgeräteversorgung aber nicht auftreten. Es kam bei Autec aber in einem Fall sogar auf beiden Ohren zu einer leichten Verschlechterung. Auffällig ist auch die Häufung unpräziser Ton- und Sprachaudiogramme, was Schwächen im Versorgungsablauf zeigt und eine gewisse Oberflächlichkeit bei deren Durchführung.
Ein Tester war mit seinem Hörgerät „eher zufrieden“, obwohl bei ihm im Sprachverstehenstest im Störschall im Vergleich zum Zustand ohne Hörgerät keine Verbesserung festgestellt wurde. In dem Fall hätte eine Kasse die Kosten für das Hörgerät noch nicht übernommen. Ist die Schwerhörigkeit eindeutig belegt, aber der Erfolg nach der Hörgeräteanpassung nicht hinreichend festzustellen, wird dem Patienten meist noch Zeit zur Eingewöhnung gegeben und dem Akustiker Gelegenheit, die Anpassung zu verbessern.
Herausfiltern bleibt ein Problem
Der Hörgeräteakustiker muss oft zwischen der optimalen akustischen Versorgung und dem abwägen, was für Patienten ästhetisch akzeptabel ist. Für sie zählen auch optische Aspekte. Viele bevorzugen Minigeräte. Die aber sind häufig nicht genügend leistungsstark – und sie bieten bei einer weiteren Hörverschlechterung auch keine „Hörreserve“ mehr.
Ein Problem ist gezielt Redebeiträge aus einer Runde hörbar zu machen. Derzeit gelingt es nur teilweise, Sprachschall aus Hintergrundgeräuschen herauszufiltern. Um Enttäuschungen vorzubeugen, müssen Schwerhörige vom Akustiker über solche Probleme aufgeklärt werden. Zudem kann ein „Hörtraining“ helfen.
Auch Diplom-Ingenieur Rolf Erdmann vom Deutschen Schwerhörigenbund fordert Verbesserungen bei der Hörgeräteversorgung, so einen Gebrauchstest von drei Geräten, umfassende Infos zu Gerätesystemen, die Hörprüfung mit ganzen Sätzen unter Störgeräusch.
Wichtig sind auch Informationen zur Kostenübernahme durch die Kassen und Hinweise auf Gerichtsurteile dazu.
Tipps
- Nehmen Sie beim Hörgeräteakustiker einen unverbindlichen Gratis-Hörtest in Anspruch. Zweitmeinung einholen.
- Machen Sie beim Arzt ein Audiogramm, um in Akustikerläden ohne Zusatzkosten Preisauskünfte einholen zu können.
- Sollen beide Ohren mit Hörgeräten versorgt werden, fragen Sie nach einem Rabatt bei der Zuzahlung für das zweite Gerät (etwa 10 bis 20 Prozent).
- Wer die Anpassung abbricht, muss damit rechnen, dass Kosten auf ihn zukommen – falls der Akustiker das Rezept einbehalten will und bereits ein Ohrpassstück gefertigt hat.
- Testen Sie vor der Auswahl das Telefonieren mit Hörgerät, auch per Handy.
Ratgeber
Besser hören
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Kommentarliste
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> Unerwähnt bleibt dass ein zuzahlungsfreies Gerät oft genauso gut ist
Das ist gelogen. Ich trage jetzt seit 30 Jahren Hörgeräte. Die Zuzahlungsfreien sind technisch auf dem Niveau der späten 90er. Sie ermöglichen mir unter idealen Bedingen ein Gespräch mit jemandem, der laut spricht. In der Öffentlichkeit ist eine Unterhaltung unmöglich.
Schlechterdings wäre ich mit Kassenmodelen weder dazu in der Lage am geselschaftlichen Leben teilzunehmen, noch zu arbeiten.
Ich empfinde bei den Themen Hörgeräteakustiker und Hörgeräte einen EXTREMEN Mangel an Transparenz, insbesondere bezüglich der effektiven Zuzahlung und der Auswahl der Hörgeräte.
Es gibt scheinbar Standardantworten: "wir würden mindestens ein Gerät der Einstiegsklasse mit 150,- bis 450,- € Zuzahlung empfehlen" oder "wir führen alle Marken". Unerwähnt bleibt dass ein zuzahlungsfreies Gerät oft genauso gut ist oder dass bestimmte Geräte/Marken nicht geführt werden (natürlich wegen schlechter Erfahrungen!).
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Mein trauriger Eindruck: zuerst kommt die möglichst hohe Zuzahlung und dann erst der Kunde!
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Mögliche VERKAUFSSTRATEGIE: zuerst ein schlecht eingestelltes Gerät in der vom Kunden geäußerten Preisklasse testen lassen und danach ein teureres mit guter Einstellung - das Gerät mit guter Einstellung findet naturgemäß eine höhere Akzeptanz, der höhere Aufpreis wird viel zu oft bezahlt!
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Ich freue mich auf den Zeitpunkt ab dem man Geräte online kaufen und per App selbst justieren ka
Kommentar vom Autor gelöscht.
@JonaS95: Unsere Untersuchung umfasst die Qualität der Beratung und die Erstanpassung des gewählten Hörgerätes von Hörgeräteakustikerketten. Zur Haltbarkeit von Hörgeräten können wir keine Aussagen treffen, da diese Geräte nicht getestet wurden. (PF)
Kommentar vom Autor gelöscht.