
Hähnchenfleisch ist so billig wie nie, dank Massentierhaltung. Den Preis zahlen die Tiere. Nur Bioanbieter engagieren sich für den Tierschutz.
Es sind die Augen, die man nicht mehr vergisst. Bei all dem Blut, dem Gemetzel, den abgeschnittenen Köpfen, bei all dem Fleisch – es ist der Blick der Tiere, der einen daran erinnert, dass es hier um fühlende Lebewesen geht.
Niederlehme, ein Geflügelschlachthof nahe Berlin. Ortstermin bei Wiesenhof-Hähnchen. Wir stehen neben einem Lkw, der mit einigen tausend Hühnern beladen ist, hoch gestapelt in flachen Plastikkisten. Wer unten sitzt, muss die Ausscheidungen der oberen ertragen. Ein paar Meter weiter packen drei Männer die Tiere bei den Füßen und hängen sie kopfüber in einen Metallhaken. Ein Förderband transportiert sie an der Hallendecke weiter. Maschinenlärm dröhnt, ein dumpfer, süßlicher Geruch hängt in der Luft. Die Halle ist mit blauem Licht spärlich beleuchtet. Hühner können blaues Licht nicht wahrnehmen, sie empfinden Dunkelheit. Es soll sie beruhigen.
Die Tiere baumeln zu einem Elektrobad, werden eingetaucht und mit Strom betäubt. Einige bäumen sich ein letztes Mal auf. Dann schneiden rotierende Messer die Köpfe ab, die unter der Maschine auf ein Fließband fallen – 10 000 in der Stunde, 100 000 am Tag, 2,5 Millionen im Monat. Wurde ein Kopf nicht vollständig abgetrennt, schneidet ein Mann mit einem Messer nach. Er ist Moslem und angewiesen, beim Betätigen der Schlachtmaschine zu beten. Das Fleisch wird auch als Halal – nach muslimischen Regeln geschlachtet – vermarktet. Die Kadaver baumeln weiter, bluten aus und werden maschinell entfedert, ausgenommen und gewaschen, bevor sie in ihre Einzelteile zerlegt werden.
Wer wissen will, wo sein Hähnchenschnitzel herkommt, braucht starke Nerven. Nicht nur, weil alles so blutig ist. Die maschinelle Fleischwerdung im Schlachthaus ist nur der letzte Akt einer Industrie, die den Blick für die Würde des Tieres verloren hat. Degradiert zum reinen Fleischlieferanten, leiden viele Hühner bereits während der Aufzucht und der Mast. Sie zahlen einen hohen Preis für die maximale Rendite und den Billigkonsum.
Vom Teller bis zurück zum Küken
Wir haben das Fleisch aus unserem Warentest (siehe Test: Hähnchenbrustfilets aus test 10/2010) vom Teller bis zum Küken zurückverfolgt und die Unternehmen gefragt, wie sie sich ihrer Verantwortung für Tierschutz, Umweltschutz und soziale Belange ihrer Mitarbeiter stellen (Corporate Social Responsibility, CSR). Bis auf Karstadt Feinkost und Maitre CoQ öffneten uns alle Anbieter ihre Firmenzentralen. Auch in Ställe und Schlachthöfe der meisten Hersteller durften wir schauen. Nur beim Thema Fotos war es vorbei mit der Transparenz: Emsland, Friki, Wiesenhof – keiner erlaubte uns, Bilder vom Schlachten, Ausnehmen und Entfedern der Tiere in ihren Betrieben zu veröffentlichen. Zu groß war die Angst, solche Bilder publik zu machen.
Bis zu 25 Tiere pro Quadratmeter Stall
Frisches Hähnchenfleisch stammt zu 99 Prozent aus der Massentierhaltung. Produziert wird vor allem in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Häufig sind tageslichtlose Ställe mit 20 000 bis 40 000 Tieren belegt. Natürliche Verhaltensweisen wie Sonnenbaden oder Aufbaumen lässt sich hier nicht ausleben, es gibt keinen Auslauf und keine erhöhten Sitzplätze. Hühner sind soziale Lebewesen, die in der Natur in kleinen Gruppen mit bestimmter Rangordnung leben. Vieles spricht dafür, dass die Tiere in der Massenhaltung permanenten Stress erleben, wenngleich ein wissenschaftlicher Nachweis dafür schwierig ist. Am Ende der Mast drängen sich pro Quadratmeter Stallfläche oft bis zu 25 Tiere.
Schlachten nach 28 Tagen Turbomast
Masthühner sind speziell gezüchtete Hochleistungstiere. Kein anderes Nutztier ist derart für die Intensivmast optimiert worden wie das Huhn. Über Selektion und Kreuzungen werden heute sogenannte Masthybriden erzeugt, die in immer kürzerer Zeit mit immer weniger Futter immer mehr Fleisch ansetzen – vor allem Brustfleisch. Durch die genetische Auswahl wurde das Wachstum von Masthühnern in den vergangenen 50 Jahren um das Vierfache beschleunigt. Heute reifen die Tiere in 28 bis 40 Tagen vom Küken zum Schlachtvieh heran – „frohwüchsig“ nennt das der Fachmann. Dabei nehmen sie etwa das 40-Fache ihres Anfangsgewichts zu und wiegen am Ende bis zu 2,5 Kilogramm.
Beinschäden und Herzversagen
Die Entwicklung von Skelett, inneren Organen und Herzkreislaufsystem halten mit dem intensiven Muskelwachstum nicht Schritt. Etwa 5 Prozent der Hühner sterben in der Mast, meist an Herzkreislaufversagen. Schmerzhafte Knorpelwucherungen, verdrehte und entzündete Beine sind an der Tagesordnung. Lahme Tiere können Futter und Wasser nur schwer erreichen. Werden sie nicht getötet, verhungern oder verdursten sie. Gegen Ende der Mast sind die Tiere teilweise so schwer, dass sie nur noch kurz stehen können. Sie fressen dann sogar im Sitzen oder Liegen. Das viele Sitzen in der feuchten Einstreu zieht vermehrt Entzündungen an Brusthaut, Fersenhöckern und Fußballen nach sich.
Küken werden lebendig geschreddert
Gemästet werden übrigens männliche und weibliche Tiere, anders als bei der Eierproduktion. Dort werden speziell auf Legeleistung gezüchtete Hennen verwendet. Da männliche Legehybriden naturgemäß keine Eier legen können, werden sie nach dem Schlüpfen aussortiert und getötet. Für eine Mast sind sie unrentabel, weil sie zu wenig Fleisch ansetzen. Die Eintagsküken werden lebendig geschreddert oder vergast und zu Tierfutter verarbeitet.
Aus Tierschutzsicht umstritten ist auch die Kükenproduktion der Masthybriden. Hühner werden erst ab etwa fünf Monaten geschlechtsreif – lange nach dem Schlachttermin. Da auch die Elterntiere „frohwüchsig“ sind, würden sie bei normaler Fütterung nach wenigen Monaten so fett, dass sie nicht mehr für Nachwuchs sorgen könnten. Daher wird ihr Futter rationiert. Den Großteil des Tages hungern die Tiere.
Biobetriebe zeigen mehr Engagement
Konventionelle Betriebe reizen Gesetze oft bis zum Limit aus. Mehr Engagement für das Wohl der Tiere zeigt, wer nach Ökokriterien produziert, etwa nach EG-Öko-Verordnung oder den strengeren Naturland- oder Bioland-Regeln. Natürlich werden auch Biohähnchen geschlachtet. Auch sie werden lebendig an den Haken gehängt und zur Elektrobetäubung befördert, bevor ihnen der Hals durchgeschnitten wird. Auch ihnen bleiben an dieser Stelle Ängste und Schmerzen nicht erspart. Wer das ausschließen will, muss auf Fleisch verzichten.
Biomast unterscheidet sich aber grundlegend von konventioneller Mast (siehe Tabelle: Unterschiede zwischen konventioneller und ökologischer Hühnermast) Es werden langsamer wachsende Hybride eingesetzt, wachstumsbedingte Erkrankungen treten daher wesentlich weniger auf. Die Ställe haben Tageslicht, die Hühner mehr Platz und Auslauf ins Freie. Bei unseren Besuchen wirkten die Tiere zufriedener und entspannter als in den konventionellen Betrieben. Die Biomast ist für den Landwirt aufwendiger und kostspieliger, weil er nicht um jeden Preis produziert. Daher ist Biofleisch teurer als Fleisch aus Massentierhaltung. Letztlich muss jeder selbst entscheiden, ob er bereit ist, mehr zu zahlen, damit Tiere weniger leiden.