
Lücken. Der Blick in den Spiegel offenbart vielen Männern gar nicht so geheime Geheimratsecken.
Wird der Schopf schütter, greifen viele zu Shampoos, Tinkturen oder Pillen. Was wirkt gegen den drohenden Kahlschlag?
Etwa 100 Haare verliert der Mensch täglich. Sie wachsen bei den meisten nach. Fallen deutlich mehr aus, wird es sichtbar: Bei Männern zunächst meist als Geheimratsecken oder kleine Platte auf dem Kopf, bei Frauen um den Scheitel herum. Nahezu jeder zweite Mann verliert im Laufe seines Lebens deutlich Haare, einige erblich bedingt schon in ihren Zwanzigern, bei anderen ist es eine Alterserscheinung.
Betroffene versuchen, dem Haarverlust beizukommen: mit Spezialshampoos, Arzneimitteln oder sogar einer Haarverpflanzung. Spezielle Shampoos richten kaum etwas aus. Zwei Wirkstoffe in Medikamenten können zumindest bedingt helfen. Allein eine Transplantation kann Haare wieder sprießen lassen.
Wer etwas gegen seine Lücken unternehmen will, sollte zunächst die Ursache aufspüren. Denn Auslöser können neben anlagebedingtem Haarausfall auch Krankheiten, Mangelernährung, Medikamente, Hormonschwankungen während der Wechseljahre oder Stress sein. „Bei jedem Anzeichen im Bereich des Haarkleides, das Patienten sonderbar vorkommt, sollte ein Arzt aufgesucht werden“, sagt Swen Malte John, Professor für Dermatologie an der Universität Osnabrück. Krankhafter Haarverlust ist oft vorübergehend, irgendwann stellt sich der Haarwuchs wieder ein.
Kreisrunder Haarausfall beruht vermutlich auf einer Fehlreaktion der körpereigenen Abwehr – eine Autoimmunkrankheit. Für das Leiden, bei dem oft innerhalb weniger Tage büschelweise Haare ausfallen, gibt es verschiedene Therapieansätze. Keine davon hat sich bislang als wirklich wirksam erwiesen. Mittel gegen ererbten Haarausfall sind hier völlig machtlos. Denn sie setzen an ganz anderer Stelle an.
Überempfindliche Haarschäfte
Genetisch bedingter Haarausfall, die sogenannte androgenetische Alopezie, kann Männer wie Frauen treffen. Hormone spielen die entscheidende Rolle. Die Follikel – das sind die Haarschäfte unter der Haut – reagieren überempfindlich gegenüber männlichen Sexualhormonen, speziell Testosteron. Ein Abbauprodukt des Botenstoffs lässt die Follikel schrumpfen, die Haare werden feiner, fallen irgendwann aus. Schließlich sterben die Follikel ab. Dann wachsen keine Haare mehr nach.
Oft bleibt beim Mann am Ende nur noch ein Haarkranz am Hinterkopf übrig. Zur Vollglatze kommt es selten. Statt Mut zur Lücke zu zeigen, versuchen viele, die letzten Strähnen kunstvoll auf der Glatze zu drapieren – eine fragile Illusion, die ein einziger Windstoß jäh zerstören kann.
Das Schweigen der Männer
Nicht wenige Männer behaupten, Kahlheit sei kein Thema für sie – trotz sichtbarer Lücken. Manche flüchten sich in Sprüche wie Richard P., ein langmähniger Sozialarbeiter aus Berlin: „Was vorn schwindet, wächst bei mir hinten nach“, ätzt er, als er auf seine sehr hohe Stirn angesprochen wird. Für ein offenes Wort mit vollem Namen stand er unserer Redaktion nicht zur Verfügung. Torsten M. aus Hannover hat seinen Schädel rasiert und behauptet trotzig, dadurch sexy zu wirken – so wie frauenumschwärmte Männermodels mit Glatze aus der Werbung.
Das Schweigen der Männer schlägt sich in einer Umfrage für die Markt-Media-Studie b4p von fünf deutschen Medienhäusern nieder: Danach sorgte sich 2013 nur jeder Zehnte der befragten Herren um Haarausfall, 68 Prozent gaben an, keine Haarprobleme zu haben. Das steht im Widerspruch zum großen Markt der Tinkturen, Sprays oder Shampoos, die dem Kahlschlag angeblich ein Ende bereiten sollen.
So vermeldete der deutsche Hersteller Dr. Wolff vor einem Jahr stolz die Produktion der hundertmillionsten Flasche eines Männer-Koffein-Shampoos und schwärmte von zweistelligen Zuwachsraten.
Zwei Wirkstoffe geben Hoffnung
Die positive Wirkung von Koffein im Shampoo ist wissenschaftlich jedoch nicht ausreichend fundiert belegt. In Studien, mitfinanziert von Anbietern, zeigt sich zwar, dass aus Kopfhautproben, eingelegt in Koffein-Testosteron-Lösung, nach Tagen wieder Haare wachsen. Das lässt sich aber nur eingeschränkt auf Wirkweise und -dauer koffeinhaltiger Shampoos übertragen. Sie enthalten auch kein Testosteron. Wirken andere Zusätze wie Keratin oder Ginseng? „Nein“, sagt Dermatologe Swen Malte John.
Allein die Wirkstoffe Finasterid und Minoxidil in Medikamenten können Haarausfall verlangsamen (Tabelle).
Das rezeptpflichtige Finasterid, das auch bei vergrößerter Prostata zur Therapie eingesetzt wird, „kann nicht wirklich eine Wiederbehaarung herbeiführen, aber den Prozess des Haarverlusts aufhalten“, sagt John. Das gilt auch für das rezeptfreie Minoxidil, das in Tablettenform bei Bluthochdruck angewandt wird. Präparate, die zwei Wirkstoffe kombinieren, sind da weniger erfolgversprechend (Medikamente).
Chirurgische Umsiedlung
Wer nicht dauerhaft Medikamente nehmen möchte, kann eine Haarverpflanzung in Erwägung ziehen. Dazu braucht es eine ausreichend große „Spenderfläche“ (Interview). Dafür eignen sich Haarwurzeln aus der hinteren und seitlichen Kopfhaarregion. Sie gehört aus medizinischer Sicht zur Körperbehaarung und produziert lebenslang Haar ohne Ausfallerscheinungen. Eine Garantie dafür, dass transplantierte Wurzeln auch tatsächlich wieder Haare bilden, gibt es nicht.
Egal, wie Mann oder Frau der Kahlheit beikommen wollen: Sie sollten sich von einem Dermatologen beraten lassen.