Anzünder mit Paraffin – Gesundheitsrisiko

Dr. Axel Hahn, Leiter der Dokumentations- und Bewertungsstelle für Vergiftungen im Bundesinstitut für Risikobewertung, setzt auf Vorsorge. Er möchte ein Bewusstsein für die gesundheitlichen Risiken von paraffinhaltigen Flüssiganzündern schaffen.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung warnte im Jahr 2005 vor Flüssiganzündern. Warum?
Vor allem Kinder können paraffinhaltige Flüssiganzünder mit Getränken verwechseln und davon trinken. Bereits ein kleiner Schluck (1 ml) davon ist gefährlich. Ihre Paraffine haben ein hohes Kriechvermögen und können so in den Kehlkopfraum gelangen. Ein sicheres Zeichen ist anhaltender Husten. Im ungünstigen Fall können sie tief in die Lunge „hineinkriechen“ und in vielen Fällen eine chemische Lungenentzündung verursachen. Wenn schwerwiegende Folgen auftreten, können Teile der Lunge verkleben oder noch schlimmer, aber eher selten, Löcher in der Lunge entstehen. Gemeldete Todesfälle durch Flüssiganzünder gab es bisher nicht. Allerdings starben bereits 5 Kinder, weil sie paraffinhaltiges Lampenöl getrunken haben. Von ihren Inhaltsstoffen her sind Flüssiganzünder und Lampenöle nahezu identisch.
Wie gut lassen sich die gesundheitlichen Schäden therapieren?
Zum Teil müssen Betroffene mehrere Wochen zur Behandlung ins Krankenhaus. Zum Glück heilen die meisten chemischen Lungenentzündungen wieder vollständig aus. In der Regel ist ein normales Leben danach möglich.
Am ersten Dezember 2010 trat eine EU-weite Verordnung in Kraft, nach der die Hersteller paraffinhaltige Flüssiganzünder in schwarze, undurchsichtige Flaschen abfüllen müssen. Ein Aufdruck auf der Flasche weist den Kunden auf das Vergiftungsrisiko hin. Was hat das gebracht?
Als Zentralstelle zur Dokumentation und Bewertung von Vergiftungen erhalten wir auch Zahlen und Einschätzungen von Giftinformationszentren in Deutschland. In den Jahren 2005 bis 2010 kam es hochgerechnet auf das Bundesgebiet pro Jahr zu rund 300 Vergiftungsfällen durch Flüssiganzünder. Da es in Deutschland keine ausreichende Statistik zu Vergiftungsfällen gibt, liegt die Dunkelziffer wahrscheinlich höher. Für das Jahr 2011 ist nach ersten Hochrechnungen ein Rückgang zu verzeichnen. Für das Jahr 2012 liegt noch kein ausreichendes Zahlenmaterial vor. Schwere Fälle wurden uns bisher noch nicht gemeldet, damit könnte es in Bezug auf die Gesundheitsschäden eine rückläufige Tendenz geben. Die EU-Verordnung wirkt sicher zeitverzögert. Es dauert ja eine Weile, bis die inzwischen verbotenen Flüssiganzünder in durchsichtigen Flaschen verbraucht sind.
Eltern verwenden dennoch Flüssiganzünder. Was sollten sie dabei beachten?
Ich empfehle Eltern von Kleinkindern bis 4 Jahren, eher feste Grillanzünder zu verwenden. Es muss bei den Eltern ein Gefahrenbewusstsein für die gesundheitlichen Risiken von Flüssiganzündern entstehen. Das heißt: Die Flaschen immer nach Gebrauch verschließen und für Kinder unerreichbar wegstellen. Kindergesicherte Verschlüsse sind auch keine vollständige Sicherung. Durch Hinweise von Eltern und Giftinformationszentren wissen wir, dass die Kindersicherungen im Inneren des Flaschenverschlusses auch öfters abbrechen können und nicht mehr richtig funktionieren. Eltern dürfen Grillanzünder, wie auch andere Chemikalien, nicht in andere Gefäße umfüllen. Das ist grob fahrlässig!
Was tun, wenn jemand trotz aller Vorsichtsmaßnahmen vom flüssigen Grillanzünder getrunken hat?
Am besten sofort ein Giftinformationszentrum anrufen. Die Fachkräfte dort wissen, was zu tun ist. Anzeichen wie Husten unbedingt ernst nehmen. Das zeigt, dass der Flüssiganzünder im Kehlkopfbereich angekommen ist. Selbst wenn der Hustenreiz aufhört, kann die Gefahr weiterbestehen: der Kriechprozess kann jenseits des Kehlkopfes weiterlaufen.
Gibt es weniger gefährliche Alternativen zu den dünnflüssigen Paraffinen in Flüssiganzündern?
Eine Alternative könnten Ersatzstoffe wie z.B. Ölsäure-Methylesther sein. Sie sind zwar teurer und brennen nicht ganz so gut wie die Paraffinöle. Dafür dringen sie nach dem Verschlucken nicht in die Lunge, sind also sicherer. Zum Entzünden der Holzkohle reichen sie auf jeden Fall aus.
Worin unterscheiden sich Flüssiganzünder von Brandbeschleunigern wie Benzin oder Spiritus?
Brandbeschleuniger wie Spiritus oder gar Benzin gehören auf gar keinen Fall auf den Grill. Diese Flüssigkeiten verdampfen bereits bei niedrigen Temperaturen und bilden ein explosives Gas-Luft-Gemisch. Sie können meterhoch verpuffen und umstehende Menschen verbrennen. Mit Flüssiganzündern auf Paraffinbasis passiert das nicht.
Erhalten Sie auch Vergiftungsmeldungen zu festen Grillanzündern?
Nein. Selbst wenn ein Kind an einem Würfel knabbern sollte, gelangen die Brandbeschleuniger nicht in die Lunge. Wir erhalten aber regelmäßig Meldungen zu schweren oder sogar tödlichen Kohlenmonoxid-Vergiftungen, wenn Grills mit noch glühenden Holzkohlen in geschlossene Wohnräume mitgenommen werden. Wichtig ist es, Holzkohle-Grills und Grillkohlen ausschließlich im Freien zu nutzen, zu löschen oder auskühlen zu lassen.