Gluten Wer das Getreide-Eiweiß meiden sollte

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Zöliakie – etwa jeder 150. Deutsche leidet an dieser Auto­imm­unerkrankung. Umstritten ist die „Gluten-Sensitivität“. Ist vorsorglicher Verzicht ratsam?

Die Not mit dem Brot

Die Substanz versteckt sich nicht nur in herkömm­lichem Brot, in Nudeln und Pizza, sondern auch als Zutat in Wurst, Schokolade und Fertigge­richten. Denn Gluten, das Kleber-Eiweiß heimischer Getreidearten wie Weizen, Roggen, Dinkel und Gerste, ist ein prima Binde­mittel. Seit einigen Jahren wächst in den Supermarkt­regalen die Zahl der Produkte mit dem Hinweis „Frei von Gluten“. Sie sind ein Segen für jene Menschen, die das Eiweiß nicht oder nicht gut vertragen – und das könnten nach jüngeren Forschungs­ergeb­nissen mehr sein als lange angenommen. Die Mehr­heit allerdings kann Gluten bestens verdauen – und geht mit einem selbst verordneten Verzicht eventuell Risiken ein. Eine Über­sicht.

Zöliakie: Wenn Gluten krank macht

Zöliakie ist eine Auto­imm­unerkrankung, die das Leben der Betroffenen stark einschränkt. Selbst Spuren von Gluten vertragen sie nicht. Das Kleber-Eiweiß löst bei ihnen eine Entzündung der Darm­schleimhaut aus, die Darmzotten bilden sich zurück. Dadurch kann der Körper Nähr­stoffe schlechter aufnehmen. Die Anlage zu Zöliakie ist erblich.

Von Durch­fall bis Eisen­mangel. Glutenun­verträglich­keit kann sich in unterschiedlichsten Symptomen äußern. „Kleine Kinder und Leute über 60 Jahre haben oft typische Magen-Darm-Beschwerden wie Blähbauch, Durch­fall, Erbrechen“, sagt Sofia Beisel, wissenschaftliche Leiterin der Deutschen Zöliakie-Gesell­schaft. „In allen anderen Alters­gruppen treten eher unspezi­fische Symptome wie Eisen­mangel oder Osteoporose auf.“ Auch erhöhte Leber­werte oder Depressionen können Folge von Zöliakie sein. In Deutsch­land sei etwa jeder 150. betroffen, sagt Beisel. Seit 1997 Antikörper entdeckt wurden, können Ärzte das Leiden zuver­lässiger und schneller diagnostizieren.

Komplexe Erkennungs­zeichen. Eine sichere Diagnose ist nur möglich, wenn sich der Patient über Wochen glutenhaltig ernährt hat. Erkennungs­zeichen einer Zöliakie sind Antikörper im Blut wie Trans­glutaminase und entzündliche Veränderungen an Gewebe­proben aus dem Dünn­darm. Unter glutenfreier Diät gehen die Beschwerden zurück. Wichtig ist auch, eine Weizen­allergie oder -sensitivität auszuschließen. Weizen­allergiker können lebens­bedrohliche Symptome entwickeln, wenn sie Kontakt mit Weizen­proteinen haben; sie müssen auf einige andere Lebens­mittel verzichten als Zöliakie-Patienten.

Fazit. Wer eine sichere Zöliakie-Diagnose hat, sollte sich streng glutenfrei ernähren und von Gastroenterologen und Diät­assistenten begleiten lassen.

[Update 17.09.21] Medikament gegen Zöliakie in Sicht

Forschende der Universität Mainz haben einen Wirk­stoff zur Behand­lung von Zöliakie entwickelt. Davon berichten sie im New England Journal of Medicine. Der Trans­glutaminase-Hemmer ZED1227 sei das erste Zöliakie-Medikament, für das eine Wirk­samkeit an einer kleinen Patientengruppe aufgezeigt werden konnte. Der Wirk­stoff hemme das körper­eigene Enzym Trans­glutaminase, das in der Darm­schleimhaut mit Gluteneiweiß reagieren und starke Entzündungen verursachen kann. So soll er die Schleimhaut schützen, Entzündungen mindern und Krank­heits­symptome lindern. Ob das tatsäch­lich gelingen kann, muss nun noch weiter untersucht werden.

Sensitive: Wenn der Körper sensibel reagiert

Gibt es so etwas wie eine Empfindlich­keit gegen­über Gluten? Die „Gluten-Sensitivität“ wurde erst­mals in den 1970ern beschrieben, jedoch lange nicht sehr intensiv erforscht. In jüngerer Zeit mehren sich Belege dafür, dass es sich wohl um ein eigenes Krank­heits­bild handelt – allseits anerkannt ist es noch nicht. „Wissenschaftler sind sich nur einig: Neben Zöliakie und Weizen­allergie gibt es noch etwas“, sagt Expertin Sofia Beisel. Bis zu 6 Prozent der Bevölkerung könnten betroffen sein.

Der Weg zur Diagnose. Betroffene haben ähnliche Symptome wie Zöliakie-Patienten, es lässt sich bei ihnen aber weder Zöliakie noch eine Weizen­allergie nach­weisen. Ernähren sie sich glutenfrei, verbessert sich ihr Wohl­befinden deutlich.

Das sagen Studien. Einige Forscher kommen zu dem Schluss, dass oft Patienten mit Reizdarm eine versteckte Gluten-Sensitivität haben. So lauten auch erste Ergeb­nisse einer Studie, die derzeit an der Berliner Charité läuft. Andere vermuten, dass die Beschwerden nicht durch Gluten ausgelöst werden, sondern durch andere Inhalts­stoffe im Getreide. Es gibt auch Studien, die von einem Nocebo-Effekt sprechen. Das heißt: Betroffene bilden sich ein, es gehe ihnen nach glutenhaltiger Kost schlecht. Umge­kehrt fühlten sie sich bei glutenfreier Ernährung gut.

Fazit. Für Gluten-Sensitivität gibt es derzeit keine Nach­weis­möglich­keit. Die Diagnose wird gestellt, indem andere Erkrankungen ausgeschlossen werden. Die Ursache ist noch unklar – ebenso, wie strikt die Diät auszusehen hat.

Lebens­stil: Wenn Glutenfrei sich gut anfühlt

„Mir tut es gut, auf Gluten zu verzichten“, sagt eine wachsende Zahl von Menschen, die sich gesünder ernähren wollen, unter ihnen Stars wie der Sportler Novak Djokovic und die Schauspielerin Gwyneth Paltrow. Vielen genügt für ihre Entscheidung eine Selbst­diagnose.

Trend zum Verzicht. Nach Zahlen des Markt­forschungs­unter­nehmens Nielsen steigerten Deutsch­lands Supermarkt- und Drogerieketten den Umsatz mit glutenfreien Produkten von Anfang 2016 bis Anfang 2017 um rund 30 Prozent. Auch die Gastronomie greift den Trend auf. Recherchen der Verbraucherzentralen ergaben: Glutenfreie Ware ist bis zu viermal teurer als normale Produkte.

Vitamine kommen zu kurz. „Selbst­beob­achtung ist gut“, sagt die Ernährungs­therapeutin Ingrid Acker, Vorstands­mitglied des Berufs­verbands Oecotrophologie. „Ich lege aber jedem eine abge­sicherte Diagnostik ans Herz. Eine grund­lose glutenfreie Ernährung lohnt sich nicht. Glutenfreie Produkte haben oft mehr Fett und Zucker und weniger Ballast­stoffe.“ Bisherige Studien zeigten: Das Herz scheint nicht von einem vorsorglichen Verzicht zu profitieren. Mögliche Erklärung: Glutenfreie Ernährung bedeutet, weniger Voll­korn­produkte zu essen – und deren B-Vitamine schützen das Herz. Auch andere Vitamine und Mineralstoffe können zu kurz kommen.

Fazit. Nach aktuellem Stand der Wissenschaft ist glutenfreie Kost nicht per se gesünder. Vor allem Kinder sollten nicht grund­los ohne Gluten ernährt werden. Zur Vorbeugung von Allergien raten Experten, Babys ab dem sechsten Lebens­monat Getreidebrei zu füttern.

Tipp: Dass Lebens­mittel, die als „glutenfrei“, „laktosefrei“ und „ohne Geschmacks­verstärker“ beworben werden, nicht auto­matisch besser sind als andere, zeigt unser Special Glutenfrei, laktosefrei und Co: Welche Versprechen relevant sind.

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ninick am 12.02.2018 um 20:13 Uhr
Schlecht recherchierte Desinformation

Liebe Tester,
ich fände es schön, wenn Sie sich mal grundlegend mit dem Thema beschäftigt würden, anstatt hier die mantraartig wiederholten Binsenweisheiten von Oecotrophologen nachzuplappern, die, obwohl das Wort schlau klingt, ganz sicher nicht zu den Durchblickern auf unserem Planeten zählen (siehe z.B. die regelmäßig revidierten Empfehlungen der DGE).
Frage: Seit wann gibt es Ackerbau, d.h. seit wann ist Getreide relevanter Teil des menschlichen Ernährungsplans? Genau, seit ca. 12.000 Jahren. Wie lange hat sich der Mensch entwickelt? So um die 2 Millionen Jahre. Zu den wenigen Leuten, die daraus die richtigen Schlüsse ziehen, gehören im Moment noch Naturheilkundler (die leider ansonsten viel dummes Zeug erzählen), Betroffene (Experiment macht schlau) und Paleofood-Befürworter. Auch wenn es ziemlich sicher eine genetische Anpassung an Weizen gibt heißt das keinesfalls, dass er gesund oder gar "unverzichtbar" ist, und im Gegensatz zu Obst "WILL" er auch gar nicht gegessen werden.