
Öffentliche Sünde. Die App FatSecret sendet unverschlüsselt, auch das Gewicht ihres Nutzers.
Ob Abnehm-Coach oder Medikamenten-Manager – kleine Programme auf dem Handy können Nutzern helfen. Sensible Daten sind aber nicht bei allen 24 Apps im Test sicher.
Biskuit und Sahne, der süße Duft frischer Erdbeeren – wer kann da widerstehen? So gesellt sich der Kuchen zum Kaffee, auch wenn ein Blick auf das Handy verrät: Der empfohlene Tagesbedarf (ETB) an Kalorien ist längst überschritten. Die installierte Abnehm-App FatSecret zeigt fettgedruckt „141 % ETB“. Sie weiß genau: Die schwach gewordene Kuchenfreundin wiegt 100 Kilogramm, hat heute noch keine Sportübung gemacht und ist von ihrem Traumgewicht weit entfernt. Da sie ihre Abnehm-App in einem WLan-Café mit ungeschütztem Netzwerk nutzt, könnte es wenig später auch ein Tischnachbar mitlesen – wenn er über das technische Know-how verfügt. Datenschutz: Fehlanzeige.
Rund 97 000 Apps mit Gesundheitsbezug wurden im März 2013 auf den führenden Downloadportalen angeboten. Etwa 1 000 kommen jeden Monat hinzu. Jeder fünfte Bundesbürger nutzt sie bereits. Die hilfreichen unter den Handy-Programmen zählen Kalorien, erinnern an fällige Medikamente oder helfen den Blutzuckerspiegel zu überwachen. Wir haben 24 Apps auf Herz und Nieren geprüft – jeweils 12 für die Betriebssysteme Android und iOS. Dabei geht es um Gewichtskontrolle, Diabetes, Rauchen-Aufgeben und Medikamentenverwaltung. Kein Programm schneidet sehr gut ab. Sechs sind gut, sie überzeugen mit Benutzerfreundlichkeit und vielen Funktionen. Von den Apps zum Thema „Rauchen aufgeben“ kommt keine über ein Befriedigend hinaus. Als Defizit fast aller getesteten Handy-Helferlein erwies sich die Transparenz – oft fehlte etwa ein Impressum.
Fremde lesen mit
Schon beim Arzt ist es vielen unangenehm, genau Auskunft zu geben über Gewicht, Alkohol- und Nikotinkonsum. Der Mediziner runzelt vielleicht die Stirn. Womöglich sieht er mit hochgezogenen Brauen über seine randlose Brille und sagt etwas wie: „Das Glas Rotwein sollten wir nur noch an Samstagen trinken.“ Immerhin: Der Ratsuchende geht das Projekt Gesundheit gemeinsam mit dem Arzt an.
Mit wem aber kommunizieren Nutzer einer Handy-App, wenn sie ihr all diese Daten anvertrauen? Im Extremfall auch mit Dritten, wie der Test zeigt. Vier Apps sind beim Datenschutz sehr kritisch, zwei kritisch. „QuitNow Pro – Rauchen aufgeben“ beispielsweise verschlüsselt das Nutzerpasswort unzureichend und den Nutzernamen gar nicht. Fremde könnten sich so selbst mit den abgefangenen Daten einloggen und das Nutzerkonto übernehmen.
Pharmakonzern oder IT-Firma?
Auch bei den 18 unkritischen Apps weiß der Nutzer oft nicht wirklich, wem er seine sensiblen persönlichen Daten anvertraut. Hinter einer Gesundheits-App können beispielsweise Pharmakonzerne, IT-Firmen oder Krankenkassen stehen. Jeder Anbieter verfolgt andere Interessen. Pharmaunternehmen verantworten oder unterstützen die von uns geprüften Medikamenten-Manager sowie „Der Nichtraucher Coach“ in der Android-Version, „Rauchfrei durchstarten“ und „DiabetesPlus Typ 2“. Glucolog Lite stammt von einem Hersteller für medizinische Geräte. Die Kalorienzähler im Test sind mit Abnehm-Websites verbunden und haben keinen erkennbaren medizinischen Hintergrund. Auch bei „QuitNow Pro – Rauchen aufgeben“ bleibt unklar, wer das Fachwissen geliefert hat.
Neben den Apps vertreiben einige Anbieter auch medizinisches Zubehör wie zum Beispiel Blutzuckermessgeräte oder Körperwaagen. Diese können an das Smartphone gesteckt oder per drahtlosem Funk etwa über Bluetooth verbunden werden. Praktisch: Der Anwender muss die gemessenen Werte nicht manuell eintragen. Die Apps übernehmen sie automatisch. Ein Grund mehr, warum der Nutzer wissen sollte, mit wem er seine Daten austauscht.
Nur 4 der 24 haben ein Impressum
„Es mag sicher auch Fälle geben, in denen ein Unternehmen die anvertrauten Daten auswertet und zum Beispiel Nutzerprofile daraus erstellt“, sagt Dr. Urs-Vito Albrecht. Er ist Leiter einer App-Forschergruppe an der Medizinischen Hochschule Hannover. Details zum Umgang mit Kundendaten sollten in der Beschreibung der App, am besten vor dem Download im App-Store, zu finden sein. Fehlen diese Angaben, ist der Download entsprechend riskant. „Je offener ein Anbieter schon vor dem Download informiert, desto eher weiß der Nutzer auch, ob die eigenen oder nicht doch die Interessen des Anbieters im Vordergrund stehen“, warnt Albrecht.
Klare Hinweise sind jedoch Mangelware. Nur 4 der 24 geprüften Apps enthalten ein Impressum, 2 weitere verlinken auf die Anbieter-Homepage, auf der ein Impressum zu finden ist. Die Übrigen verstecken vereinzelte Angaben im Kleingedruckten oder geben gar keine Auskunft.
Ebenso gravierend: Nur 4 Apps informieren über genutzte Quellen oder die Qualifikation des Autors. Der Nutzer kann nicht nachvollziehen, auf welchem Fachwissen beispielsweise die Ernährungstipps beruhen, für ihre Richtigkeit gibt es keine Garantie. „Intransparenz ist aktuell das größte Problem“, bestätigt Beatrix Reiß vom Zentrum für Telematik und Telemedizin.
Bei Männern effektiver
Bringen Gesundheits-Apps überhaupt etwas? „Die Perspektiven und Chancen sind da“, ist Beatrix Reiß überzeugt. Jeder fünfte Deutsche nutzt Gesundheits-Apps. 42 Prozent der Männer und 30 Prozent der Frauen verhalten sich dank solcher Apps nach eigenen Angaben gesundheitsbewusster, ergab eine Forsa-Umfrage.
Weiterer Vorteil: Rund 75 Prozent der deutschen Handybesitzer haben ihr Smartphone immer dabei. Die Kalorien des Snacks unterwegs können sie so schneller eintragen als in eine auf Papier geführte Tabelle, die womöglich zuhause auf dem Nachttisch liegt. Der Download einer App zeigt zudem: Der Nutzer beschäftigt sich mit seiner Gesundheit. Auch das ist bereits ein positiver Effekt.
App auf Rezept bei den Briten
In den kleinen Hilfsprogrammen stecken auch politisch große Hoffnungen. Sie sollen langfristig den Kostenanstieg im Gesundheitssektor senken, die Kommunikation zwischen Arzt und Patient erleichtern. Britische Hausärzte können Apps seit 2012 sogar als Gesundheitsmaßnahme verschreiben. Weil eine Standardisierung fehlt, ist es für deutsche Ärzte bislang kaum möglich, von einer App erzeugte Daten, beispielsweise Blutzuckertabellen, im eigenen Praxissystem auszuwerten. „Aber immer mehr Ärzte gehen damit um“, sagt Reiß. Problem: „Es gibt noch nicht viele hochwertige Gesundheits-Apps.“
USA will Prüfverfahren einführen
Wenn Anbieter ihren Gesundheits-Apps eine therapeutische oder diagnostische Bestimmung zuweisen, müssen sie diese als Medizinprodukt lizenzieren lassen. Diese Verantwortung gehen viele aber nicht ein. Dabei können fehlerhafte Apps zur Blutzucker- oder Medikamenten-Überwachung für Patienten gefährlich sein. Die US-Zulassungsbehörde für Arzneimittel und Medizinprodukte (FDA) hat jetzt beschlossen, medizinische Apps aus dieser Risikogruppe grundsätzlich prüfen zu lassen. In der EU gibt es solch ein Prüfverfahren bislang nicht. Bis es so weit ist, rät Reiß: „Stets kritisch bleiben und Angaben prüfen.“