
Eine spezielle Form der Reha bietet älteren Menschen mehr als klassische Behandlungen. Doch kaum jemand weiß, dass es sie gibt.
Geriatrische Reha
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Gertrud Gerke* erwischte es im trauten Heim. Kurz vor Weihnachten 2012 brachte sie Einmachgläser in den Keller. „Ich habe wohl eine Stufe verpasst“, sagt die 87-Jährige. Sie fand sich am unteren Ende der Treppe wieder, konnte nicht aufstehen und schrie um Hilfe – ungehört; sie wohnt allein. Nach anderthalb Stunden kam zum Glück ihr Sohn vorbei und rief den Krankenwagen. Die Ärzte diagnostizierten einen Oberschenkelhalsbruch und fixierten ihn chirurgisch mit einem langen Nagel.
Ingeborg Ort* ereilte ein ähnliches Schicksal. Im August 2012 ging die 83-Jährige mit ihren Enkeln im Park spazieren. Eine Wurzel brachte sie zu Fall. Auch bei ihr stellten die Ärzte einen Oberschenkelhalsbruch fest und setzten sogar drei Nägel ein. „Doch kürzlich lockerten sie sich und mussten wieder raus“, sagt Ingeborg Ort. Seither hat sie rechts ein künstliches Hüftgelenk – und trägt die drei Nägel eingeschweißt als Andenken in der Handtasche.
Zwei Formen von Reha

Üben. Ob geriatrisch oder nicht – bei vielen Rehas ist Physiotherapie wichtig.
Die alten Damen, beide verwitwet, müssen buchstäblich wieder auf die Beine kommen – in einer norddeutschen Reha-Klinik. Aber nicht in derselben.
Ingeborg Ort besucht eine orthopädische Reha, die vor allem ihren Hüftschaden, also ein konkretes Gesundheitsproblem, ins Visier nimmt. Diese Versorgung, im Fachjargon „indikationsspezifische Reha“, ist in Deutschland der Regelfall.
Gertrud Gerke macht eine „geriatrische Reha“. Die richtet sich an Menschen ab etwa 70 Jahre mit mehreren altersbedingten Beschwerden und Einschränkungen. Zusätzlich zur Versorgung akuter Gesundheitsprobleme werden Patienten hier speziell und umfassend betreut, geschult, trainiert. Auch Angehörige werden einbezogen, Hilfsmittel und Unterstützung für die Zeit nach der Entlassung organisiert.
All diese Maßnahmen dienen einem wichtigen Ziel: das alltägliche Leben weiter oder wieder selbstständig zu meistern, am liebsten zuhause und mit möglichst wenig Pflege. Dass das Konzept wirkt, zeigte 2010 eine Studienauswertung im „British Medical Journal“. Geriatrische Reha bedeutet also für viele Ältere eine große Chance. Aber längst nicht jeder kommt in den Genuss.
Ungenutzter Rechtsanspruch
Problem Nummer eins: Kaum einer kennt die geriatrische Reha. Obwohl es seit 2007 einen Rechtsanspruch darauf gibt. Problem Nummer zwei: Die Versorgungsform ist in manchen Bundesländern wenig oder gar nicht verbreitet (siehe Karte). Problem Nummer drei: Sie ist vergleichsweise teuer. Entsprechend lehnen die Krankenkassen immer wieder Anträge ab oder lenken Versicherte in die günstigere indikationsspezifische Reha um. Problem Nummer vier: Leider vermitteln auch Ärzte Patienten in die klassische Reha – unabhängig von Alter und Vorerkrankungen.
Tipp: Ob eine geriatrische Reha für Sie oder Angehörige infrage kommt, wie Sie den Anspruch durchsetzen und den Aufenthalt erfolgreich gestalten, zeigt auf einen Blick unsere Checkliste.
Laufen lernen, Schritt für Schritt

Gehübungen. Trittsicherheit lässt sich auf einem Plastikringparcours üben.
Chronische altersbedingte Krankheiten und Einschränkungen können allein als Grund für eine geriatrische Reha reichen. Doch meist kommt ein akuter Anlass hinzu, etwa ein Herzinfarkt, Schlaganfall, Knochenbruch oder Gelenkersatz. Um solche konkreten Probleme kümmert sich die geriatrische Reha genauso intensiv wie die indikationsspezifische. Das zeigt auch der Vergleich von Gertrud Gerke und Ingeborg Ort. Beide Frauen sollen – unabhängig von der Form der Reha – täglich ihr lädiertes Bein trainieren.
Heute, am zweiten Tag, steht bei Ingeborg Ort in der indikationsspezifischen, orthopädischen Reha „Hüftgruppe“ auf dem Programm. Zwölf Patienten liegen auf zwölf Liegen – in Sportzeug und Socken, die Schuhe am Boden, ein oder zwei Stützen in Griffweite an der Wand. Ingeborg Ort ist die Kleinste, Dünnste und Älteste. Und die Eleganteste: Sie trägt Schwarz, die weißen Haare straff zum Zopf gebunden, Silberschmuck an Hals und Ohren.

Treppensteigen. Auch das gehört zum Training bei Beinproblemen.
Mitten im Raum steht eine Physiotherapeutin im roten T-Shirt und weist die Gruppe an: „Zehen einkrallen – und aufmachen. Und zu – und auf. Und zu – und auf.“ Dazu schließt und öffnet sie die erhobenen Fäuste. Dann lässt sie die Patienten die Zehen in Richtung Nase ziehen und wieder strecken, die Füße in beide Richtungen kreisen, die Beine abwechselnd anwinkeln und lang machen. Zwölf Fersen ratschen gleichzeitig über den Stoffüberzug der Liegen. Sonst herrscht im Saal konzentrierte Stille.
In der geriatrischen Reha macht Gertrud Gerke – graue Kleidung, grauer Kurzhaarschnitt – ganz ähnliche Übungen im Liegen. Sie trainiert heute aber allein mit ihrer Physiotherapeutin. Nach zehn Minuten fragt die Patientin: „Fertig?“ Sie erntet ein schallendes Lachen: „Nein“. Vielmehr soll sie sich hinstellen und mit gestrecktem Arm bunte Plastikringe vom Boden aufheben. Später erprobt sie Ausfallschritte und strampelt auf dem Trimmrad. Das Pensum soll jeden Tag ein bisschen steigen.
Viele Fachleute unter einem Dach
Physiotherapie spielt bei vielen Rehas eine zentrale Rolle – nicht nur bei orthopädischen Beschwerden. Je nach Gesundheitsproblem kommen weitere Fachleute zum Einsatz. Besonders viele arbeiten in einer geriatrischen Reha-Einrichtung unter einem Dach: neben Physiotherapeuten auch Ergotherapeuten, Logopäden, Psychologen, Sozialarbeiter und selbstverständlich Ärzte und Pfleger. Alle sind spezialisiert auf altersbedingte Probleme.
Wessen Dienste ein Patient braucht, ermittelt ein „geriatrisches Assessment“, das Tests und Fragebögen umfasst. Dabei fielen bei Gertrud Gerke drei Dinge auf: Erstens stürzt sie öfter – ein typisches Altersproblem. Zweitens schafft sie das Waschen, Duschen, Anziehen seit dem Malheur auf der Kellertreppe allein nicht mehr so recht. Drittens wirkt sie traurig und verunsichert.
Um sie emotional zu stabilisieren, führt sie während der Reha mehrere Gespräche mit einer Psychologin. Zu allen Behandlungen wird sie abgeholt und nachher zurück aufs Zimmer gebracht. Zudem übt eine Schwester jeden Morgen und jeden Abend mit ihr, wie sie zum Beispiel ohne Probleme für die Hüfte in die Hose kommt. Diese Maßnahme nennt sich „aktivierende Pflege“ und soll ihre Selbstständigkeit wieder herstellen. Derweil versuchen die Ärzte in der Reha-Klinik, die Gründe für ihre häufigen Stürze zu finden. Unter anderem untersuchen sie deshalb ihr Herz und überprüfen ihre Medikamente. Manche sind im Alter schlecht verträglich und erhöhen zum Beispiel das Risiko zu fallen.
Arzneimittelcheck, aktivierende Pflege, Begleitservice, geriatrisches Assessment – all das bekommt Ingeborg Ort nicht. Eine indikationsspezifische Reha befasst sich mit einem speziellen Gesundheitsproblem und nicht mit den Altersbeschwerden rundum. Das reicht bei rüstigen Senioren normalerweise auch aus.
„Reha vor Pflege“
Aber etliche ältere Menschen leiden an Krankheiten und Einschränkungen, die die Fähigkeit zum selbstständigen Leben bedrohen. Sie wären in einer geriatrischen Reha besser aufgehoben. Dafür können chronische Beschwerden, etwa Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen, Parkinson oder Gelenkverschleiß, bereits reichen – auch ohne akuten Anlass. Die Gesetzesvorgabe lautet: „Reha vor Pflege.“
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung muss beim Begutachten der Pflegebedürftigkeit immer auch das „Reha“-Potenzial prüfen. Das aber wird zu selten bejaht. Auch Hausärzte, die Anträge auf geriatrische Reha stellen können, weisen nicht oft genug darauf diese Variante hin.
Tipp: Denken Sie an die Möglichkeit der geriatrischen Reha, etwa bei wachsender Pflegebedürftigkeit. Sprechen Sie das Thema bei der Pflegestufen-Begutachtung oder beim Hausarzt an. Oder wenden Sie sich an Pflegeberatungsstellen oder niedergelassene Geriater. Als weiterer Anlaufpunkt sollen ab diesem Jahr Ambulanzen an geriatrischen Kliniken entstehen.
Steiniger Weg zur Reha

Rollator los werden.Zu Anfang der Reha sollten persönliche Ziele festgelegt werden.
Geriatrisch oder nicht? Das lässt sich bei Ingeborg Ort nicht eindeutig beantworten. Einerseits war sie vor ihrem Unfall sehr selbstständig, lebte allein im Parterre ihres Häuschens, ging alle paar Tage zum Sport. Andererseits stürzte sie nicht zum ersten Mal. 2009 zertrümmerte sie dabei ihr linkes Knie. Kein Wunder: Sie leidet an Osteoporose, was sie „morsche Knochen“ nennt – eine Alterserkrankung. Vielleicht könnte ihr die geriatrische Reha also nützen. Nur: Sie hat noch nie davon gehört.
Gertrud Gerke war – dank einer Bekannten – deutlich besser informiert. Sie bat den Arzt in der Unfallklinik, „geriatrische Reha“ in ihren Antrag zu schreiben. Er tat es, schließlich kam bei ihr einiges zusammen: der Bruch und die Stürze, ein Herzschrittmacher, künstliche Kniegelenke, verkalkte Herzklappen, Bluthochdruck und Krampfadern, die auch schon Geschwüre verursachten. Daher braucht sie seit Jahren täglich einen Pflegedienst, der ihr die Beine verbindet. Trotzdem war ihr Antrag kein Selbstläufer. Die Kasse wollte Gertrud Gerke in eine orthopädische Reha stecken. Dass sie doch noch zu ihrem Recht kam, verdankt sie ihrem Sohn: „Er ging mehrmals zur Kasse hin, und schließlich bewilligte sie den Antrag.“
Während er für sie kämpfte, war sie schon nicht mehr im Krankenhaus, sondern in der „Kurzzeitpflege“. Die Erinnerung treibt ihr Tränen in die Augen: „Das war ein Haus voller kranker Menschen, die nichts alleine machen konnten. Ich fühlte mich auch ganz krank.“
Viele Betroffene finden Kurzzeitpflegeschrecklich. Manchmal lässt sie sich nicht vermeiden, wenn etwa eine Amputationswunde vor der Reha erst einmal heilen muss. Keinesfalls aber sollte die Kurzzeitpflege nur als Wartebahnhof dienen – weil etwa der Reha-Antrag bei der Klinikentlassung noch nicht bewilligt ist und Patienten einen Ort zum Überbrücken benötigen.
Gertrud Gerkes Leidensgeschichte zeigt: Für eine geriatrische Reha braucht es Eigeninitiative und langen Atem. Viele alte und schwache Patienten überfordert das – gerade wenn sie nach einer dramatischen Situation im Krankenhaus liegen. Deshalb kommt es auf engagierte Angehörige an.
Tipp: Kümmern Sie sich aktiv. Wenden Sie sich frühestmöglich nach der Einweisung in die Akutklinik an die Stationsärzte oder den Sozialdienst, die den Reha-Antrag ausfüllen. Darin sollte „geriatrische Reha“ stehen, genau wie alle altersbedingten Beschwerden, um den Rechtsanspruch zu begründen. Wenn die Kasse mauert, hilft vielleicht ein Anruf beim Sachbearbeiter. Eventuell weiß auch der Arzt, der den Antrag stellte, oder die benannte Reha-Einrichtung Rat. Die sollte ebenfalls im Antrag stehen. Patienten haben ein Wahlrecht.
Der Ausweg im Norden

Süd-Nord-Gefälle
Es gibt drei Typen von Reha: stationär, ambulant, mobil. Die Einrichtung sollte möglichst nah am Wohnort liegen – dann kann sie besser mit ambulanten Dienstleistern in der Region Vorsorge für die Zeit nach der Reha treffen. Zudem gilt der Grundsatz: „Ambulant vor stationär“. So lässt sich Gelerntes direkt zuhause ausprobieren. Das klingt gut, klappt aber nicht immer. Die Versorgung ist in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Im Norden und in der Mitte Deutschlands gibt es kaum oder keine Einrichtungen für geriatrische Reha. Dort ist dann aber in der Regel eine „geriatrische Behandlung“ möglich. Sie umfasst vor allem akute medizinische Versorgung, aber auch Rehamaßnahmen. Oft findet sie teilstationär in Tageskliniken von Akutkrankenhäusern statt. Patienten brauchen dafür keinen Reha-Antrag, sondern eine ärztliche Überweisung.
Tipp: Eine Liste mit allen Einrichtungen für die geriatrische Reha und Behandlung können Sie kostenlos abrufen unter der Adresse www.test.de/pdf-reha-liste.
Egal welche Reha-Einrichtung – sie muss Erfolge sichern. Patienten und Angehörige sollten sich deshalb den Inhalt des Entlassungsbriefs genau erklären lassen und fragen, was es noch alles zu beachten gilt.
Gut gewappnet für zuhause
Gertrud Gerke fühlt sich am vorletzten Tag ihrer geriatrischen Reha gut gewappnet. Sie ist seelisch stabil und schafft die Morgen- und Abendtoilette wieder allein. Sie braucht also den Pflegedienst weiterhin nur zum Verbinden der Beine. Ferner soll sich ihr Sohn um eine Wohnungsanpassung und einen Hausnotruf bemühen – für ein sicheres Zuhause (siehe test 08/2012 und 09/2011). Solche Vorkehrungen werden in der geriatrischen Reha oft angestoßen. Vorerst braucht Gertrud Gerke auch noch ambulante Physiotherapie, Stützen und daher zudem Essen auf Rädern. Aber sie läuft viel besser und kommt dabei ohne Rollator zurecht – anders als zu Anfang der Reha.
Auch Ingeborg Ort muss „die ollen Krücken“ nach ihrer Reha noch behalten. Sie tippt damit aber nur noch leicht auf den Boden. „Drücken Sie mir die Daumen, dass ich sie bald ganz los bin und wieder normal Sport machen darf“, sagt sie. Sonst plant sie nichts Besonderes. Wie Gertrud Gerke freut sie sich einfach auf ihr Häuschen, auf Familie und Freunde und die Gartenbank im Sommer – auf ihr ganz normales Leben.
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diese Info benötigt jeder Hausarzt,sowie med.Berufstätige wie Ergotherapeuten,Krankengymnasten
sowie die Sozialdienste von Kliniken.
In ihrem Artikel ist sehr gut dargestellt dass Angehörige und Betroffene um diese REHA kämpfen müssen.
Da die Abrechnungs-Jongliererei den Hausärzten zusätzliche Gelder bei Diagnosestellung eines
geriatrischen Behandlungskomples eröffnet hat,sollte der HA zuerst gefragt werden ob der betreff.Patient schon dieses Ettiket für die Abrechnung aufweist: (Voraussetzung über 70 Jahre und
geriatrietyp.Morbidität/und oder Pflegestufe/und oder Vorliegen einer Erkrankung wie Demenz,Alzheimer
oder Parkinson letztere 3 Diagnosen ,schwer ausgeprägt,ermöglichen Abrechnung eines geriatr.Behandlungskomplex auch unter 70 Jahren und entsprechend auch einen REHA Antrag
Dr.med.H.P.Klein