
Wenn ein Immobilienkredit platzt, haben Betroffene andere Sorgen, als die Abrechnung der Bank zu kontrollieren. Das nutzen die Kreditinstitute schamlos aus und berechnen mehr, als ihnen zusteht. Klare Ansage des Bundesgerichtshofs: Banken und Sparkassen steht jenseits der Verzugszinsen für verspätete oder ausgebliebene Ratenzahlungen keine Entschädigung zu, wenn sie wegen Zahlungsverzug den Vertrag kündigen und die Vollstreckung einleiten. Die Kreditinstitute haben aber in der Regel etliche Tausend Euro extra kassiert. Zumindest ab 1.1.2014 gezahlte Beträge müssen sie jetzt erstatten. test.de erklärt die Rechtslage und liefert ausführliche Tipps und Musterbriefe für Betroffene.*
Bitteres Ende des Traums vom Eigenheim
Das ist bitter: Wenn das Geld nicht mehr reicht, um die Raten für einen Immobilienkredit zu zahlen, droht der Ruin. Die Bank kündigt das Darlehen und fordert die gesamte Restschuld auf einen Schlag. Meist leitet sie dann gleich auch die Zwangsversteigerung ein. Den Betroffenen bleibt oft nur der Umzug in eine billige Mietwohnung und der Weg zum Insolvenzgericht. Bei der Abrechnung geplatzter Immobilienkredite langten die Banken ordentlich zu: Nicht nur ausstehende Raten und Restschuld schlagen da zu Buche, sondern stets auch eine Vorfälligkeitsentschädigung und Verzugszinsen. Es geht in fast jedem Fall um Tausende von Euro.
Schuldentilgung per Zwangsversteigerung
Zum Beispiel Familie Weigand (Name geändert): 300 000 Euro hatte sie für ihr Haus im nordrhein-westfälischen Solingen aufgenommen. Als die Finanzierung platzte, standen die Eheleute bei der Bank noch mit genau 236 677,89 Euro einschließlich Zinsen in der Kreide. Bei den Kosten addierte die Bank noch 16 164,41 Euro Vorfälligkeitsentschädigung hinzu, und die Verzugszinsen beliefen sich am Ende auf weitere 14 553,72 Euro. Dazu kamen noch 150 Euro Bearbeitungsgebühr und 183,24 Reisekosten der Bankbeauftragten. Auf genau 270 026,55 Euro summierte sich die Forderung der Bank unter dem Strich. Glück für die Weigands: Die Zwangsversteigerung brachte fast 300 000 Euro. 26 967,63 Euro blieben am Ende sogar noch für die Eheleute übrig.
Abrechnung vor Gericht
Nach einer Feier war der Familie trotzdem nicht zumute. Die hohen Extra-Posten auf der Abrechnung ärgerten sie. Sie beauftragten Rechtsanwalt Hartmut Strube, die Abrechnung zu überprüfen. Dem Anwalt war schnell klar: Die Bank hat nach Kündigung des Darlehens doppelt kassiert: Vorfälligkeitsentschädigung und Verzugszinsen sollen jeweils den Schaden der Bank durch die vorzeitige Rückzahlung ausgleichen. Beides zusammen beschert dem Kreditinstitut ein sattes zusätzliches Plus, rechnete der Anwalt seinen Mandanten vor. Als die Bank sich weigerte, die Vorfälligkeitsentschädigung zurück zu zahlen, reichte Hartmut Strube Klage ein. Doch die Bank wehrte sich erbittert. Und zunächst mit Erfolg. Erst das Landgericht und dann das Oberlandesgericht Frankfurt wiesen die Klage der Weigands ab.
Sieg in letzter Instanz
Doch vor dem Bundesgerichtshof wendete sich das Blatt. Die klare Ansage vom Vorsitzenden des elften Senats des Bundesgerichtshofes Ulrich Wiechers an die Bank-Anwälte in der Verhandlung: Nach Kündigung des Darlehensvertrags stehen dem Kreditinstitut zusätzlich zu Zahlungsrückstand und Restschuld nur noch Verzugszinsen zu. Das seien bei Verbraucherkrediten, die mit einer Grundschuld besichert sind, ja nur 2,5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz – und damit weniger als die Bank bei Erfüllung des Vertrags erhalten hätte, schimpften die Anwälte. Der Richter hielt dagegen: Mehr sei angesichts der Regeln über Verbraucherdarlehen nicht drin. Als die Bankanwälte darauf hin die Verantwortlichen im Unternehmen informierten, ging es ganz schnell: Die Bank erkannte den Anspruch von Familie Weigand auf Erstattung von (inklusive Zinsen) rund 17 000 Euro Vorfälligkeitsentschädigung an. So verhinderte sie ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs.
Gute Chancen auf Durchsetzung
Offensichtliches Kalkül hinter dem plötzlichen Einlenken der Bank: Die Niederlage gegen Familie Weigand sollte ein Einzelfall bleiben und kein weiteres Aufsehen erregen. Das war im Jahr 2013. Fast drei und fast vier Jahre später hat der Bundesgerichtshof die Ansagen von Ulrich Wiechers in zwei Fällen endgültig bestätigt: Bei wegen Zahlungsverzugs des Kreditnehmers gekündigten Kreditverträgen darf die Bank oder Sparkasse jenseits von Verzugszinsen für verspätete oder ausgebliebene Ratenzahlungen keine Entschädigung fordern. Das haben sie aber getan. Um wie viel Geld es genau geht, lässt sich kaum abschätzen. Wegen der gesunkenen Zinsen waren in den letzten Jahren meist sehr hohe Vorfälligkeitsentschädigungen fällig. test.de vermutet deshalb: Es geht insgesamt um Milliarden.
Unter diesen Voraussetzungen können Betroffene Erstattung fordern
Mit de BGH-Urteilen im Rücken können Betroffene jetzt Erstattung von solchen Vorfälligkeitsentschädigungen fordern. Die Voraussetzungen im Überblick:
- Sie haben den später geplatzten Kredit als Verbraucher aufgenommen. Für Kredite zur Finanzierung unternehmerischen Immobilienbesitzes gelten die BGH-Ansagen nicht.
- Die Bank oder Sparkasse hat den Kreditvertrag wegen des Verzugs mit Ratenzahlungen gekündigt.
- Die Bank oder Sparkasse hat von Ihnen eine Vorfälligkeitsentschädigung kassiert. Häufig und ausreichend: Sie hat auch diesen Betrag vom Zwangsversteigerungserlös abgezogen, bevor sie Ihnen oder anderen Gläubigern den Rest ausgezahlt hat. Sofern der Kredit immer noch nicht vollständig abgewickelt ist, müssen Sie prüfen (lassen), ob bisherige Zahlungen ganz oder teilweise auf die rechtswidrige Vorfälligkeitsentschädigung entfallen.
- Die Zahlung erfolgte nach 1.1.2014. Dann ist die Erstattungsforderung sicher nicht verjährt. Die Forderung auf Erstattung im Jahr 2014 gezahlter Beträge verjährt frühestens am 31.12.2017. Einzelne Verbraucheranwälte wie Timo Gansel meinen sogar: Die Erstattungsforderung verjährt erst nach zehn Jahren. Diese Verjährung ist taggenau. Wenn sie am 05.01.2007 eine Vorfälligkeitsentschädigung gezahlt haben, verjährt die Erstattungsforderung am 05.01.2017, wenn sich diese Rechtssauffassung durchsetzt.
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Arbeit für Anwälte
Wie sonst auch bei entsprechenden Forderungen werden viele Banken die Erstattung rechtswidrig gezahlter Beträge verweigern. Betroffene können dann entweder selbst einen Rechtsanwalt einschalten oder ihre Forderung unter www.sammelklage-anfrage.de bei der Metaclaims Sammelklagen Prozessfinanzierungsgesellschaft mbH anmelden. Vorteil für Benutzer des Musterbriefs: Wer seine Forderung korrekt geltend gemacht hat, kann sich darauf verlassen, dass die Bank am Ende auch auf außergerichtliche Tätigkeit entfallende Anwalthonorare zahlen muss, wenn sie die Vorfälligkeitsentschädigung zu Unrecht kassiert hat. Alle anderen Kosten und Honorare hat sie ohnehin zu zahlen.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.11.2016
Aktenzeichen: XI ZR 187/15
Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.01.2016
Aktenzeichen: XI ZR 103/15 (Pressemitteilung des Gerichts)
Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.01.2013
Aktenzeichen: XI ZR 512/11 (Anerkenntnisurteil ohne Gründe)
Oberlandesgericht Zweibrücken, Urteil vom 24.07.2000
Aktenzeichen: 7 U 47/00
* Diese Meldung ist erstmals am 13. Februar 2013 erschienen. Sie wurde mehrfach überarbeitet, zuletzt am 05.01.2017. Kommentare beziehen sich auf die jeweils aktuelle Fassung des Berichts.