Neue Kennzeichnungsregeln sollen dem Kunden die Wahl lassen: zwischen gentechnisch veränderten und nicht veränderten Lebensmitteln. Doch die Wahlfreiheit hat Grenzen.
Die niemals matschige Gentomate hat als Horrorvision ausgedient: Obst und Gemüse darf in der EU nicht genverändert sein. Im Einkaufsalltag kommt die Gentechnik inzwischen viel subtiler daher: Soßen, Cornflakes, Öl oder Margarine können mit genveränderten Soja- oder Maiszutaten hergestellt sein. Und Mais oder Soja sind in schätzungsweise 30 000 Lebensmitteln enthalten – in mehr oder weniger verarbeiteter und auch in genveränderter Form.
Seit April 2004 gelten für Lebensmittel, die aus genetisch veränderten Organismen (GVO) hergestellt wurden, neue Kennzeichnungsregeln. Nun muss auch deklariert werden, wenn zwar keine Spuren im Endprodukt nachweisbar sind, GVO aber bei der Produktion gezielt eingesetzt wurden. Das spielt vor allem für hochverarbeitete Zutaten (wie Öle, Margarine, Cornflakes) oder Zusatzstoffe (wie Emulgatoren), Stabilisatoren (für Pasten, Soßen, Suppen, Gebäck) und Antioxidationsmittel (wie Vitamin E) eine Rolle. Ob Hersteller oder Zulieferer: Wer genveränderte Zutaten oder Rohstoffe einsetzt, muss darüber schriftlich informieren – auch den Verbraucher.
Bei unverpackter Ware wie zum Beispiel Zuckermais müsste die Angabe „genetisch verändert“ auf einem Schild oder Aushang stehen. Sind die Produkte verpackt, muss die Formulierung gut lesbar und deutlich auf dem Etikett stehen. In deutschen Supermärkten sind diese Produkte bisher aber kaum zu finden. Allerdings ist der „Butterfinger“ wieder da. Der Schokoriegel aus genverändertem Mais (Cornflakes und Stärke) war vor einigen Jahren massiv kritisiert und in Deutschland aus dem Handel genommen worden.
Wie wird gekennzeichnet?
Produkte, die GVO enthalten oder daraus bestehen, müssen die Aufschrift „aus genetisch verändertem ... hergestellt“ tragen. Das gilt auch für Cornflakes und Stärke aus gv-Mais, Traubenzucker oder Glukosesirup aus gv-Maisstärke oder Öl aus gv-Sojabohnen.
Doch gerade hier wird das Vertrauen der Verbraucher auf die Probe gestellt – trotz amtlicher Kontrollen. Denn der Nachweis genveränderter Strukturen auf diesem hochverarbeiteten Niveau ist fast unmöglich. Außerdem gilt die neue Kennzeichnungspflicht nicht für Produkte, die vor dem Stichtag 18. April hergestellt wurden. An der EU-Grenze endet die Kontrolle ohnehin: Verarbeitete Produkte aus GVO-Zutaten (zum Beispiel Sojaöl) können importiert und möglicherweise unbemerkt auf den deutschen Markt gelangen. Anfang des Jahres entdeckten Lebensmittelkontrolleure sogar nicht zugelassene genveränderte Papaya aus den USA in deutschen Geschäften. Sie wurden vom Markt genommen.
GVO-Anteile, die zufällig und technisch unvermeidbar in die Lebensmittel gelangen, müssen nicht deklariert werden.
Bis zu 0,9 Prozent ohne Deklaration
Das gilt jedoch nur, wenn diese Anteile nur bis zu 0,9 Prozent einer Zutat ausmachen. Eine weitere Einschränkung für diesen Schwellenwert: Die GVO müssen in der EU zugelassen und als sicher eingestuft sein. GVO, die noch nicht abschließend zugelassen sind, deren Sicherheit aber schon wissenschaftlich untersucht wurde, dürfen nur einen Anteil von 0,5 Prozent ausmachen – für eine Übergangsfrist von drei Jahren.
Saatgut muss zwar gekennzeichnet werden, aber bislang gibt es noch keine Schwellenwerte – ein Manko. So ist nicht absehbar, wie stark beispielsweise die Durchmischung mit genveränderter Saat auf dem Acker ist, unerwünschte „Auskreuzungen“ können schwanken. Sie können auch durch Insekten oder Pollenflug geschehen: Während Mais nur verhältnismäßig gering „streut“, gehört Raps zu den leichter auskreuzenden Pflanzen.
Bioprodukte haben es beim Thema Gentechnik besonders schwer. Prinzipiell verpflichtet sich der Ökolandbau, auf GVO zu verzichten. Doch trotz guter Vorsätze lässt sich das in der Realität nicht immer durchsetzen: Zufällige und unbeabsichtigte Beimischungen sind auch hier möglich. Als Bio-Schwellenwert gilt faktisch ebenfalls die 0,9-Prozent-Marke. In mehreren Fällen wurden bereits GVO-Spuren nachgewiesen. Unser Test (6/02) hat das gezeigt.
Gentechnik durch die Hintertür
Das neue Gesetz lässt aus Verbrauchersicht Wünsche offen. So müssen zwar auch GVO-Futtermittel und GVO-Zusätze deklariert werden – doch Eier, Fleisch, Wurst, Milch oder Käse dürfen auch ohne Hinweis darauf verkauft werden, dass die Tiere solches Futter bekommen haben.
Auch Zusatzstoffe, Vitamine und Aromen, die mithilfe genveränderter Mikroorganismen gewonnen werden, müssen nicht gekennzeichnet werden. Das gilt ebenfalls für Enzyme – sie werden rechtlich nicht zu den Lebensmitteln gezählt. Die Wahlfreiheit hat in diesen Fällen also Grenzen.
Illusion und Wirklichkeit
Wer mit offenen Augen durch den Supermarkt streift, findet bisher kaum gekennzeichnete GVO-Produkte. Diese stoßen beim deutschen Verbraucher auf wenig Gegenliebe. Dabei ist eine wirklich gentechnikfreie Ernährung schon heute Illusion. Seit Jahren wird auf diesem Gebiet weltweit geforscht. 2003 war bereits eine Fläche von rund 67 Millionen Hektar mit gentechnisch veränderten Organismen bebaut. An der Spitze rangiert Soja: Der GVO-Anteil an der Weltproduktion liegt inzwischen bei rund 55 Prozent. Die so-jaexportierenden Länder (USA, Argentinien und Brasilien) bauen gv-Pflanzen an. Daneben nutzen auch Kanada und Chi-na GVO kommerziell, Tendenzen gibt es in Südafrika, Indien und Australien. Neben genverändertem Soja stehen auch genveränderter Mais, Raps und Baumwolle auf dem Acker. Ziel ist es vor allem, gegen Insekten und Herbizide resistente Pflanzen zu schaffen. Vortei-le bringt das den Landwirten. Sie wollen Kosten für Pestizide sparen. Verbraucher haben bisher keinen direkten Nutzen. Und: Welche Konsequenzen die grüne Gentechnik langfristig hat, ist noch nicht absehbar.
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Der Artikel war interessant, bis ich zum Schluss kam, wo ihr schreibt, dass die Landwirte Vorteile aus der Gentechnik ziehen. Dem ist nicht so. Es ist inzwischen erwiesen, dass sie damit in Abhängigkeit geraten, und das Mär vom geringeren Pestizidverbrauch ist längstens wiederlegt. Die Einzigen, die davon fett profitieren, sind die grossindustriellen Betriebe, die ohne Subventionen nicht überleben könnten. Und die GVO-Saatgut- und Gift-Hersteller u.ä.
Sämtliche wissenschaftlichen Berater der EU Zulassungsgremien forderten weitere Test, aber sie wurden ignoriert. WESHALB? Informiert euch!(zB testbiotech)
Ein Blick in die Linkliste links zeigt, ihr verweist auf biosicherheit.de, dort kann man sich Filmchen von Genius angucken, voll die Lobby von der ganz grossen Gentechindustrie.
Ich empfehle jedem "Tödliche Ernte " von Rickelmann zu lesen, auf dass jedem, auch euch, liebes Test-Team, die Augen aufgehn, was da schon auf vollen Touren läuft. Es ist ein einziger, riesiger Skandal.