
So warb die Altersvorsorgegenossenschaft AVG Potsdam um Mitglieder. © Stiftung Warentest / Ralph Kaiser
Windige Anbieter nutzen laxe Vorschriften im Genossenschaftsgesetz aus, um Mitglieder abzuzocken.
Das Versprechen der Altersvorsorgegenossenschaft AVG in Potsdam klingt gut: Bereits seit mehreren Jahren biete sie „nach den Regeln des über 100 Jahren bewährten Genossenschaftsgesetzes, also unter Aufsicht eines staatlich überwachten Prüfungsverbandes“ eine „langfristige Altersvorsorge“ an. Ein Traum, der „auch mit geringem Eigenkapital realisierbar“ sei. Mit den eingezahlten Geschäftsguthaben werden „weit überdurchschnittliche Renditen erarbeitet“, wirbt die AVG. Rund 20 Millionen Euro haben rund 800 Genossen bei der AVG investiert. Jetzt müssen sie um ihr Geld fürchten.
Manche fördern vor allem ihre Führungsriege
Immer wieder missbrauchen Genossenschaften die gute Idee, gemeinsam mit anderen wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Projekte zum Vorteil der Mitglieder zu fördern. Manche locken mit dubiosen Mitteln, andere fördern vor allem ihre Führungsriege auf Kosten der Mitglieder. Diese verlieren im Extremfall ihren gesamten Einsatz.
Unser Rat
- Checkliste.
- Dubiose Geschäftemacher nutzen immer wieder das gute Image von Genossenschaften aus. Unsere Checkliste zeigt Merkmale, die schwarze Schafe oft aufweisen. Seien Sie skeptisch, wenn das Einwerben von Kapital im Vordergrund steht. Auf der Warnliste der Stiftung Warentest (kostenpflichtig) finden Sie Genossenschaften, über die wir kritisch berichtet haben.
Hohe Rendite sollte Skepsis auslösen
Die AVG wollte das Vermögen mit „Investitionen an der Börse“ mehren. Dafür lieh sie der Karriere AG aus Potsdam Geld in Millionenhöhe, bei der ihr Aufsichtsratsvorsitzender James H. Klein Alleinvorstand und Aktionär ist. Die Karriere AG sollte damit Erträge durch ein Börsenhandelssystem erwirtschaften, das Kleins Stiefsohn Ingo entwickelt hat. Von den Erträgen sollte auch die AVG profitieren. Dort war Kleins Ehefrau Ilona bis zur Liquidation der AVG im August 2018 Vorstand. Inzwischen ist sie Liquidatorin.
Widersprach Prüfungsverband der Bafin?
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) forderte die AVG im Februar 2018 auf, allen Mitgliedern innerhalb von vier Wochen ihr Geld zurückzuzahlen. Es sei kein zulässiger Förderzweck, wenn eine Genossenschaft nach einer festen Anlagestrategie anlege, die ausschließlich darauf abziele, Gewinne auszuschütten. Die AVG wickelte aber nicht ab – und überraschenderweise ergriff die Bafin keine weiteren Maßnahmen. Zu den Gründen schweigt die Aufsicht. Offenbar widersprach der Potsdamer Prüfungsverband der Bafin und attestierte der AVG einen zulässigen Förderzweck.
Viele Interessenkonflikte
Dennoch schimpfte AVG-Aufsichtsratschef Klein auf einer außerordentlichen Generalversammlung kurz vor Weihnachten 2018 auf die Bafin. Er stellte ihr Schreiben als „Bombendrohung“ dar. Eine Zwangsverwaltung durch die Bafin habe nur mit der Zustimmung der Mitglieder zur Liquidation der AVG abgewendet werden können. Auch der Prüfungsverband habe das so gesehen. Den Mitgliedern versprach Klein, dass sie keinen Euro verlieren würden.
Unliebsamer Vorstand rausgeworfen
Wird eine Genossenschaft liquidiert, müssen alle Vermögenswerte verwertet werden. Wenn Führungskräfte mit wichtigen Geschäftspartnern verbunden sind, kann es zu Interessenkonflikten kommen. Bei der AVG sorgte Klein bei der außerordentlichen Generalversammlung 2018 dafür, dass ein unliebsamer Vorstand rausgeworfen wurde. Dabei behauptete er wortreich, die Interessen der Mitglieder in den Vordergrund zu stellen.
Zwei Strafanzeigen wegen Untreuevorwürfen
Doch mittlerweile gibt es daran Zweifel. Zwei Strafanzeigen sind bei der Staatsanwaltschaft Potsdam eingegangen. Staatsanwalt Markus Nolte erklärt: „Wir prüfen Untreuevorwürfe zum Nachteil von Genossen.“ Klein führt die Ermittlungen auf „haltlose Verleumdungen“ des rausgeschmissenen Ex-Vorstands zurück. Eventuellen Ermittlungen können „wir ruhig entgegensehen“.
Warnung vor früherer Genossenschaft
Klein hat viel Erfahrung mit dieser Unternehmensform. Er war in den 1990er Jahren Vorstand der Genossenschaft Atlantis mit etwa 80 000 Mitgliedern, vor der Finanztest 1994 warnte, unter anderem weil sie unter Kleins Regie seit 1991 Verluste eingefahren hatte. Klein, der suspendiert wurde*, bezeichnet die damaligen Vorwürfe bis heute als „Hetzjagd der Stiftung Warentest“. Das Führungsteam der AVG schaltet und waltet, wie es will, so scheint es. Lücken im Genossenschaftsgesetz machen das möglich.
Kein Informationsaustausch zwischen Bafin und Staatsaufsichten
Der Prüfungsverband, dem die AVG angehört, sieht offenbar keinen Grund einzuschreiten. Ihn überwacht wiederum das brandenburgische Wirtschaftsministerium als Staatsaufsicht. Es erfuhr aber nur zufällig von dem Schreiben mit den Zweifeln der Bafin. Wolfgang Weber vom Wirtschaftsministerium erläutert dazu: „Einen Informationsaustausch zwischen Bafin und Staatsaufsichten oder auch den Registergerichten (bei denen sich Genossenschaften eintragen lassen müssen, Anm. d. Red.) sehen weder das Genossenschaftsgesetz noch das Kapitalanlagegesetzbuch noch das Vermögensanlagengesetz vor.“ Weber ergänzt: „Bestätigt ein Prüfungsverband, dass eine Genossenschaft im Berichtszeitraum den Förderzweck erreicht hat, ist das für die Staatsaufsicht Fakt.“
Prüfverband räumt Streitigkeiten ein
Kontrollinstanzen müssen sich nicht gegenseitig informieren, der Prüfungsverband entscheidet, ob eine Genossenschaft einen zulässigen Zweck verfolgt – das eröffnet ein weites Feld für windige Angebote. Im Fall der AVG räumt der Vorstand des Potsdamer Prüfungsverbands, Wolfram Klüber, ein, dass ihm „Streitigkeiten und Auseinandersetzungen innerhalb des Vorstandes und der Aufsichtsorgane“ der AVG bekannt geworden sind. Der Prüfungsverband habe Aufsichtsorgane und Behörden im gesetzlichen Umfang informiert. Er stünde auch in Bezug auf die Finanztest-Anfrage im Kontakt mit den Aufsichtsbehörden. Klüber berief sich aber ansonsten auf seine Verschwiegenheitspflicht als Prüfer.
Tricksen mit einer Mustersatzung
Schon bei der Gründung einer Genossenschaft ist es möglich, Lücken im Gesetz zu nutzen. Das machten Experten auf einem Symposium des Bundeswirtschaftsministeriums im Februar 2019 deutlich. Gründungswillige müssen sich einen der gut zwei Dutzend Prüfungsverbände aussuchen und dort eine Satzung vorlegen. Ingeborg Esser, Hauptgeschäftsführerin des GdW Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, hat beobachtet, dass „windige Anbieter dazu gerne die von der GdW herausgegebene Mustersatzung nutzen“. Wohnwirtschaftliche Zwecke ziehen bei der Mitgliedersuche, nicht zuletzt wegen staatlicher Förderungen. Daher nutzen dubiose Wohnungsgenossenschaften sie häufiger.
Zwei Prüfungsverbände urteilen großzügiger als andere
Da anhand der Satzung entschieden wird, ob ein zulässiger Förderzweck vorliegt, ist es leicht, die Gründungsprüfung zu überstehen. Auffällig: Nach den Erfahrungen der Experten des Genossenschaftssymposiums gibt es offenbar zwei Prüfungsverbände, die großzügiger urteilen als andere. Das passt zu den Erfahrungen des Marktwächterteams bei der Verbraucherzentrale Hessen. Zwei Drittel der Verbraucherbeschwerden über Genossenschaften gehen auf das Konto dieser zwei Verbände. Es handelt sich um den DEGP Deutsch-Europäischer Genossenschafts- und Prüfverband in Dessau und um den Potsdamer Prüfungsverband aus Ludwigsfelde in Brandenburg. Bei beiden ist Wirtschaftsprüfer Wolfram Klüber Vorstand.
GenoGen und Inco vom selben Verband geprüft
Auch Finanztest sind diese beiden Verbände schon aufgefallen. Die Berliner Genotrust, bei der die Bafin 2018 die Abwicklung der unerlaubten Einlagengeschäfte anordnete, wurde wie die betrügerische GenoGen aus Münster vom DEGP geprüft. Die Inco Genossenschaft aus Duisburg, die Finanztest laut Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart „unseriös“ nennen darf, wird ebenfalls vom DEGP geprüft. Die Inco nennt den Prüfungsverband zwar nicht auf ihrer Internetseite geno-inco.de, brüstet sich aber mit einer im Sinne der Transparenz von ihr veranlassten Sonderprüfung. Über das Ergebnis der Prüfung informiert die Seite nicht. Sie betrifft vermutlich die krummen Geschäfte, die Finanztest der Inco vorwirft.
Genossenschaften auf der Warnliste

Dubiose Anbieter. Diese Gesellschaften stehen auf der Warnliste der Stiftung Warentest.
Die Inco steht wie die Wohnungsbaugenossenschaften Protectum Moderne sowie die GenoKap auf der Geldanlage-Warnliste der Stiftung Warentest. Die GenoKap heißt seit Juli 2018 DWG Deutsche Wohnungsbaugenossenschaft. Beide sitzen in Großwallstatt und haben laut Impressum zwei Prüfungsverbände. Neben dem Erfurter PDG Genossenschaftlichen Prüfungsverband ist es wiederum der Potsdamer Prüfungsverband. Er hat die Jahresabschlüsse bis zum aktuellsten für 2017 geprüft.
Mündliche Vollmachten am Telefon
Beide Genossenschaften ließen Verbraucher anrufen und sich von ihnen am Telefon mündliche Vollmachten zum Beitritt geben. Das ist seit einer Gesetzesänderung 2017 nicht mehr zulässig. Danach fiel die DWG der Verbraucherzentrale Hessen erneut auf: Interessenten wurde eine ungewöhnliche Kombination aus Postident-Verfahren und einer Beitrittserklärung zugesandt, mit der sie Mitglied der DWG wurden. Auf Anfrage betonte die DWG, dass dieses Verfahren Interessenten erklärt werde. Sie nutze das „gesetzlich ausdrücklich erlaubte Telefonmarketing“, um Mitglieder zu werben.
Niedrigere Hürden locken auch windige Anbieter an
Das 2017 verabschiedete „Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Förderung der Transparenz bei Genossenschaften“ sollte die Gründung kleinerer Genossenschaften erleichtern. Dass niedrigere Hürden auch windige Anbieter anlocken würden, hatte der Gesetzgeber nicht im Blick.
AVG-Genossen fürchten um ihre Altersvorsorge
Was die AVG-Genossen erwartet, ist offen. Klein glaubt an ein Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers, wonach die Handelssysteme „für Investmentgesellschaften einen Wert von 111 Millionen Euro haben könnten“. Einige AVG-Genossen glauben das nicht mehr. Sie fürchten um ihre Altersvorsorge. Sollte die Vermarktung des Börsenhandelssystems nicht gelingen und die AVG Verluste machen, sind die Genossen als Mitunternehmer der Genossenschaft daran beteiligt.
*Geändert am 18. April 2019
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Sehr geehrte Frau Veronika Panzer. Wir haben im System leider Ihren Namen so nicht finden können. Insofern können wir den hier getätigten Vorwurf nicht resümieren. Bitte melden Sie sich bei der GF unter den auf Ihren Schreiben abgedruckten Kontaktdaten. Laut Satzung Artikel 5 Absatz 1 ist eine Kündigung möglich und wird selbstverständlich auch bearbeitet. Wenn Sie so freundlich wären offizielle Kanäle oder Telefonnummern zu wählen können wir sicher ein eventuelles Missverständnis aufklären, respektive aber auf jeden Fall helfen. Mit freundlichen Grüßen. Kathrin Pflanz (Vertriebsleitung)
Hallo Robinsoncrussow,
wie sind Sie an die Geno-Anteile gekommen?
Über einen Finanzvermittler oder direkt über die Agronaro-Geno oder sonst wie?
Danke für Ihre Antwort.
Freundlichen Gruß
Denowie2009
@Robinsoncrussow: Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung nur raten, die Finger davon zu lassen. Einzahlungen werden schnell bearbeitet, aber sobald man kündigt und eine Auszahlung fordert, wird man plötzlich ignoriert und der Auseinandersetzungsanteil ist trotz vorher kommunizierter toller Entwicklung plötzlich angeblich 0. Ich wäre heilfroh, wenn ich irgendwann einen Bruchteil meines Investments wieder sehen würde. Daher leider ganz klar "schwarzes Schaf"
Als ich Sie vor 3 Jahren – bevor ich mich bei der AVG beteiligt hatte – bei Ihnen nach einer Bewertung erkundigt hatte, konnten sie mir NICHTS darüber erzählen.
Jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, brauchen Sie auch nicht mehr vor dem Hochwasser zu warnen. Eine Genossenschaft in Liquidation kann sowieso keine Mitglieder mehr aufnehmen!
Ich hatte mir damals von Ihnen zumindest eine grobe Einschätzung der Risiken gewünscht. Leider wurde ich enttäuscht.
Hallo zusammen,
ich würde vor dem Kauf von Anteilen jeden dringend empfehlen die Bilanzen der letzten Jahre der Genossenschaft zu prüfen. Die meisten Genossenschaften sind dazu verpflichtet Ihre Bilanzen auf der Internetseite https://www.bundesanzeiger.de zu publizieren.
Darüber hinaus sollte man sich im Vorfeld auch etwas Fachliteratur zu legen in den beispielsweise die wichtigsten Finanzkennzahlen von Genossenschaften vorgestellt werden. Hier kann ich beispielsweise, dass Buch - Raus aus der Niedrigzinsfalle empfehlen:
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*Link vom Moderator gelöscht