Genossenschaft, Baugruppe, Investor Bin ich bereit fürs Wohn­projekt?

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Mit Nach­barn zusammenleben statt allein zu wohnen – Wohn­projekte liegen im Trend. Finanztest stellt drei vor.

Gut und sicher wohnen, das ist es, was Renate Berg schätzt: „Es gibt Menschen ein gutes Gefühl, zu wissen, dass ihre Wohnung auch auf lange Sicht bezahl­bar bleibt.“ Die 45-Jährige ist eine von zwei Gründern einer Genossenschaft im Berliner Bezirk Friedrichs­hain-Kreuz­berg. Zwei Häuser mit 52 Bewohnern gehören dazu: „Das Leben in unseren Wohn­projekten ist selbst­bestimmter als in einem normalen Miets­haus. Jeder kann sich einbringen, sei es beim Gestalten der gemein­samen Flächen wie den Garten oder auch beim Zusammenleben im Haus.“

Individuell zusammen wohnen

Typisch für solche gemeinschaftlichen Wohn­projekte ist, dass die Bewohner in der eigenen Wohnung leben, es jedoch auch gemeinschaftlich genutzte Flächen wie einen Garten, eine Terrasse oder auch Räume gibt, die von allen genutzt werden. Eine wichtige Rolle spielt das Zusammenleben in einer funk­tionierenden Nach­barschaft, das von den Bewohnern selbst organisiert wird. Renate Berg: „Muss etwas im Haus repariert oder kleinere Sachen wie das Streichen der Wände erledigt werden, macht das die Haus­gemeinschaft in Absprache selbst und spart dadurch Kosten.“

Erste Wohn­projekte in Deutsch­land entstanden in den 70er und 80er Jahren, damals noch eher vereinzelt in West­deutsch­land, oft initiiert von allein­lebenden Frauen. Jetzt sind es auch Familien, Singles, Ältere und Menschen mit Einschränkungen, die sich dafür interes­sieren und solche Projekte umsetzen. Das Wohn­projekte-Portal der Stiftung Trias registrierte im August 2015 insgesamt 725 umge­setzte Projekte. Im Jahr 2013 waren es erst 543, die meisten in städtischen Regionen wie Berlin, München, Hamburg und auch im Ruhr­gebiet. Nach Schät­zungen des Portals gibt es viele weitere nicht­registrierte, insgesamt dürften es bundes­weit zwischen 3 000 und 4 000 sein.

Eric Tenz vom vhw, dem Bundes­verband für Wohnen und Stadt­entwick­lung: „Es ist ein Thema, das immer bedeutender wird und sich auch immer weiter ausdifferenziert.“ Konzept und Form, sich zu organisieren, sind bei jedem Wohn­projekt anders. Ob eine Gruppe beispiels­weise zur Miete, in einer Genossenschaft oder im Wohn­eigentum lebt, ist abhängig vom Eigen­kapital der Einzelnen und ihren Vorstel­lungen vom Zusammenleben.

Wohn­projekt Baugruppe

Gesa Schenk und Romed Perfler sind Architekten und arbeiteten zusammen in London, bevor sie sich für den Umzug nach Berlin entschieden. Hier planten und bauten sie ab 2011 ein Mehr­familien­haus mit sechs Wohnungen. Romed Perfler: „Das Bauen in einer Bauherren­gemeinschaft kannten wir so aus England nicht. Interes­sant ist, dass dadurch das Wohnen nach eigenen Vorstel­lungen mitten in der Stadt möglich wird.“ Die Kosten für das unbe­baute Grund­stück werden geteilt und auch die Grund­erwerb­steuer fällt nied­riger aus als beim Kauf einer fertiggestellten Wohnung.

Jedes Baugruppen­mitglied musste anfäng­lich so viel Eigen­kapital zusammenhaben, dass Grund­stück und Neben­kosten, wie die Grund­erwerb­steuer, nach dem Kauf sofort bezahlt werden konnten. Die Baukosten wurden dann neben den eigenen Mitteln über einen Kredit bei der Umwelt­bank finanziert.

Gesa Schenk: „Zu Fragen der Finanzierung haben wir einen Baugruppen­berater dazu­geholt.“ Der Berater gab den Tipp, alle Wohnungen über dieselbe Bank zu finanzieren. Finanziell schwächere Mitglieder und Freiberufler bekamen so eher die Möglich­keit einer Finanzierung.

Um gegen­über Bank und Baufirmen recht­lich handeln zu können, gründeten die Mitglieder der Baugruppe bereits vor dem Grundstücks­kauf eine Gesell­schaft bürgerlichen Rechts, kurz GbR. Im GbR-Vertrag ist fest­gelegt, welche Ziele gemein­sam verfolgt, wie Entscheidungen in der Gruppe gefällt werden und welche Aufgaben die Geschäfts­führung hat. Geregelt ist auch, zu welchen Teilen jeder Gesell­schafter haftet.

Streit ist Still­stand

Um Mitstreiter für ihre Baugruppe zu finden, mussten Gesa Schenk und Romed Perfler nicht lange suchen. Nachdem sie ein Grund­stück in Berlin-Kreuz­berg gefunden hatten, gaben sie eine Anzeige auf. Mehr als 40 Interes­senten kamen zu ihrer ersten Informations­ver­anstaltung.

Neun davon blieben, bis das Grund­stück im Bieter­verfahren von der Stadt Berlin ersteigert war. Perfler: „Da im Haus nur sechs Wohn­einheiten zu vergeben waren, haben wir nach Sympathie ausgewählt.“ Die zwei Architekten bestimmten das dritte Baugruppen­mitglied und das wiederum das vierte. Nummer fünf und sechs wurden nach dem gleichen Prinzip gewählt.

Doch zwei der Mitglieder blieben nicht. Schwierig war, wissen Schenk und Perfler heute, dass sie Baugruppen­mitglieder und ausführende Architekten in einem waren. Konflikte gab es, weil jede Empfehlung für den Bau infrage gestellt wurde und das wiederum zu Verzögerungen beim Bauen führte. Am Ende half nur ein Mediator, der vermittelte und eine Lösung im Sinne der Mehr­heit fand.

Berater helfen

Wie wichtig es ist, dass man miteinander sprechen kann und nicht aneinander vorbeiredet, weiß auch Ulrike Jurrack vom Verein Wohn­strategen in Weimar. Sie berät Baugruppen und Wohn­projekte: „Für die meisten ist der gemein­same Bau eine Situation, die sie so noch nicht erlebt haben. Vieles kommt anders als gedacht und dann ist es wichtig, vorher auch Regeln für den Umgang fest­zulegen.“ Eine große Gefahr fürs Scheitern auch nach Jahren sei, wenn die Gruppe nicht ehrlich zueinander ist und nur ungenaue Absprachen trifft.

Wohn­projekt Genossenschaft

Renate Berg und ihr Kollege haben sich bewusst für die Gründung einer Genossenschaft entschieden: „Nicht jeder will oder kann sich Wohn­eigentum leisten. Vor allem für Menschen ab 50 wird es oft schwierig, einen ausreichend hohen Kredit bei der Bank zu bekommen.“ Häufige Begründung der Institute: Die verbleibenden Arbeits­jahre reichten für die Rück­zahlung nicht aus.

Genossen­schafts­mitglieder müssen weniger Geld mitbringen als Menschen, die Eigentum kaufen wollen. In dem Kreuz­berger Wohn­projekt fallen pro Person 350 Euro pro Quadrat­meter Wohn­fläche als Einlage – und damit Genossen­schafts­anteil – an und 50 Euro für den Eintritt in die Genossenschaft. Dafür gibt es ein Wohn­recht auf Lebens­zeit.

Das Nutzungs­entgelt – vergleich­bar der Miete – kommt noch hinzu: rund 8,70 Euro kalt pro Quadrat­meter im Monat. Darin sind beispiels­weise die Kreditraten für das Haus enthalten und die Kosten für gemein­same Räume wie die Werk­statt und eine Gästewohnung für Besucher.

Sollte ein Genossen­schafts­mitglied in eine andere Stadt ziehen und aus der Genossenschaft austreten, bekommt es seine Anteile wieder ausgezahlt.

Eine Erhöhung der Miete durch einen Investor wie in normalen Miet­verhält­nissen ist beim Genossen­schafts­modell nicht möglich. Das ist auch ein Grund, warum Genossin Sabine Eggert hier wohnt: „Im Moment ist die monatliche Zahlung durch die Tilgung der Darlehen zwar recht hoch. Ist das in einigen Jahr­zehnten abge­schlossen, ändert sich das und alle Genossen profitieren.“

Das, was sie an ihrem Wohn­projekt zudem besonders schätzt, ist die Solidarität: „Geht es einem Bewohner finanziell nicht gut, etwa weil er arbeitslos geworden ist, können die anderen das ausgleichen.“ Eggert ist beim Projekt von Anfang an dabei. Aufmerk­sam darauf wurde sie 2009 bei den Experimentdays, einer einwöchigen Veranstaltung im September jeden Jahres in Berlin. Interes­sierte können sich dort über selbst­organisierte Wohn- und Bauformen informieren und Mitstreiter finden, wenn sie selbst gründen wollen. Ähnliche Veranstaltungen gibt es in vielen anderen Bundes­ländern.

Wohn­projekt zur Miete

In jedem Projekt braucht es Menschen, die die Gemeinschaft zusammenhalten und Verantwortung über­nehmen. Die 81-jährige Waltraut Cott aus Gotha ist so ein Mensch: „Bei einem Treffen des Seniorenbeirats vor sechs Jahren erzählte uns eine Frau aus Nürn­berg von ihrem Wohn­projekt, in dem sie zur Miete wohnte. Ich war sofort begeistert und fing an, Informationen und Mitstreiter zu suchen.“ Viele Info­ver­anstaltungen und Treffen über Monate waren notwendig, um die Gruppe zu bilden. Immer wieder musste jeder die eigenen Vorstel­lungen vom Zusammenleben mit denen anderer abgleichen.

Am Ende standen Gruppe und gemein­sames Konzept fest: Nur Menschen ab 55 Jahren dürfen einziehen und sie müssen Mitglied des neugegründeten Vereins sein. Ein weiteres Ziel war, einen Investor zu finden, der Grund­stück und Haus zur Miete zur Verfügung stellte.

Waltraut Cott und ihr Verein mussten nicht lange suchen. Die Rentnerin kannte durch ihre Arbeit als Vorsitzende beim Seniorenbeirat der Stadt Gotha Christine Riede, die Geschäfts­führerin der Baugesell­schaft Gotha, des kommunalen Wohnungs­unter­nehmens mit knapp 5 000 Wohnungen. Das Konzept vom Wohnen im Alter über­zeugte Riede: „Nach längerem Suchen fanden wir auch ein Grund­stück mit einer alten Villa in der Innen­stadt.“

Die Baugesell­schaft über­nahm darauf­hin die Reno­vierung des baufäl­ligen Hauses mit drei Wohnungen und baute zusätzlich einen Neubau mit zwölf Wohnungen.

Von dem neuen Miet­verhältnis profitieren beide – Baugesell­schaft und Verein. Christine Riede: „Wir haben wenig Aufwand mit der Vermietung und eine gepflegte Immobilie, um die sich die Haus­gemeinschaft gern kümmert.“ Der Verein entscheidet selbst, wer zur Gemeinschaft passt und einziehen darf. Das Ganze regelt ein Vertrag zwischen Baugesell­schaft und Verein.

Tipp: Wenn Sie oder ein Angehöriger bereits pflegebedürftig sind, kommt vielleicht eine Pflege-Wohn­gemeinschaft in Frage. Deren Vor- und Nachteile beleuchtet unser Special zum Thema Pflege-WGs.

Baukosten meist höher als geplant

Nicht erst nach dem Einzug konnten Mieter bei dem Wohn­projekt mitentscheiden. Waltraut Cott: „Auch schon in der Planung war die Baugesell­schaft offen für unsere Wünsche, beispiels­weise bei Grund­riss und Ausstattung.“ Um Kosten zu sparen, wurden gute Kompromisse gefunden. So befinden sich die Wasch­maschinen der Mieter nun im Keller und es gibt offene Laubengänge in den Stock­werken, die einzelne Wohnungen miteinander verbinden.

Die monatliche Miete liegt bei 6 Euro pro Quadrat­meter ohne Betriebs­kosten. Geplant war ein Preis von rund 5 Euro. Riede: „Sehr starker Haus­schwamm in der alten Villa und eine unerwartet instabile Stadt­mauer haben die Ausgaben am Ende höher ausfallen lassen.“ Die Mieter zogen trotzdem ein. Cott: „Der Aufwand hat sich gelohnt. Ausziehen will hier keiner mehr.“

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