
Das Bundesinstitut für Arzneimittelbewertung (BfArM) hat einen Verkaufsstopp für 79 Arzneimittel verhängt. Der Grund: Indische Studien, die zur Zulassung der Medikamente geführt hatten, sind gefälscht. Betroffen sind rezeptpflichtige Nachahmerpräparate, sogenannte Generika, gegen verschiedenste Erkrankungen. Eine Gesundheitsgefahr für Patienten bestehe nicht, so das BfArM.
[Update 10.08.2016] Derzeit gilt der Verkaufsstopp nur noch für 36 Medikamente. Das Bundesinstitut für Arzneimittelbewertung (BfArM) ging auf Anfrage von test.de nicht genauer darauf ein, welche Gründe im Einzelnen dazu geführt haben. Es prüft aber fortlaufend Rückmeldungen von betroffenen Pharmafirmen. Diese könnten zum Beispiel ergänzende Unterlagen und Studien vorgelegt haben. Außerdem haben mehrere betroffene Generikahersteller wie die Nürnberger Firma Heumann Pharma Widerspruch gegen den Bescheid des BfArM eingelegt – teilweise mit Erfolg: Das Ruhen der Zulassung einzelner Arzneimittel wurde wieder aufgehoben. Sie tauchen in der BfArM-Liste nicht mehr auf und dürfen wieder verkauft werden. Dazu gehören auch die drei unten genannten Medikamente aus der Arzneimitteldatenbank der Stiftung Warentest. Die Stiftung Warentest hat aus diesem Grund den Rückruf-Vermerk vom 11.12.2014 in der Datenbank Medikamente im Test wieder gelöscht. [Update Ende]
Verschiedenste Medikamente betroffen
Das Bundesinstitut für Arzneimittelbewertung (BfArM) hatte am Dienstag das Ruhen der Zulassungen von insgesamt 80 Arzneimitteln angeordnet. Mittlerweile hat das BfArM die Zahl auf 79 korrigiert. Das heißt: Apotheken, Großhändler und Unternehmen dürfen diese Mittel nicht mehr verkaufen. Betroffen sind nur Nachahmerpräparate, sogenannte Generika. Sie sind deutlich preisgünstiger als Original-Arzneimittel. Von dem Rückruf sind Medikamente gegen verschiedenste Krankheiten, wie etwa Herz-Kreislauf-Beschwerden, aber auch Parkinson, Depressionen, Diabetes oder Migräne betroffen. Alle 79 Arzneimittel, die nun nicht mehr verkauft werden dürfen, stehen in einer Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Das BfArM aktualisiert diese Liste regelmäßig. Legt ein betroffenes pharmazeutisches Unternehmen zum Beispiel ergänzende Unterlagen vor, kann dies dazu führen, dass ein Medikament wieder vertrieben werden darf.
Von allen von der Stiftung Warentest bewerteten Arzneimitteln sind drei Präparate betroffen:
- Venlafaxin Heumann 37,5 mg Hartkapseln retardiert
- Venlafaxin Heumann 75 mg Hartkapseln retardiert
- Venlafaxin Heumann 150 mg Hartkapseln retardiert
In der Arzneimitteldatenbank der Stiftung Warentest sind betroffene Präparate mit einem Vermerk gekennzeichnet.
Französische Behörde stellt Mängel fest
Die indische Firma GVK Biosciences hatte zwischen 2008 und 2014 Bioäquivalenzstudien für national zugelassene Generika durchgeführt. Bei der Inspektion der Firma hat die französische Arzneimittelbehörde dann „erhebliche Mängel bei der Studiendurchführung und der Datenvalidität“ festgestellt, berichtet das BfArM. Es spricht davon, dass die indischen Studien gefälscht seien. Mit den Bioäquivalenzstudien soll nachgewiesen werden, dass Originalpräparat und Nachahmerprodukt im Körper gleichwertig wirken. Dafür wird überprüft, ob die enthaltenen arzneilich wirksamen Bestandteile in vergleichbarer Geschwindigkeit und vergleichbarem Ausmaß im menschlichen Körper verfügbar sind. Der Nachweis der Bioäquivalenz ist Voraussetzung, damit ein Generikum zugelassen wird.
Klinische Studien des Original-Präparats nicht betroffen
Aufgrund der Schwere und der Systematik der gefundenen Mängel könne das BfArM die Bioäquivalenzstudien der indischen Firma im Sinne des vorbeugenden Patientenschutzes nicht mehr als Zulassungsgrundlage für die betroffenen Generika akzeptieren. Wichtig zu wissen: Um Generika auf den Markt zu bringen, dürfen sich Hersteller auf klinische Prüfungen des Original-Präparates beziehen, also auf bereits vorhandene Studienergebnisse zum Wirkstoff zurückgreifen. Solche Studien zu Original-Arzneimitteln sind im vorliegenden Fall nicht von Fälschungsvorwürfen betroffen.
Keine Gesundheitsgefahr für Patienten
Derzeit liegen dem BfArM „keine Hinweise auf Gesundheitsgefahren für Patientinnen und Patienten“ vor. Dr. Judith Günther, Schlussgutachterin der Arzneimittelbewertungen für die Stiftung Warentest erläutert: „Hier geht es nicht um neue, bisher unbekannte Nebenwirkungen. Unklar ist aber, ob die Wirkstärke der betroffenen Generika der von Originalpräparaten ähnelt.“ Die betroffenen Präparate könnten nämlich schwächer oder auch stärker wirken als die Originale. Patienten, die die betroffenen Tabletten und Kapseln eingenommen haben, müssten sich aber nicht beunruhigen: „Es wäre aufgefallen, wenn die Präparate nicht so gewirkt hätten, wie sie wirken sollten“, sagt die Apothekerin und ergänzt: „Bei einer stärkeren Wirksamkeit wären bei Patienten beispielsweise verstärkt Nebenwirkungen aufgetreten, wie sie bereits im Beipackzettel beschrieben sind.“
Zur Arzneimitteldatenbank der Stiftung Warentest
Patienten sollten mit dem Arzt sprechen
Was sollten jene tun, die betroffene Medikamente zu Hause haben? Judith Günther rät, diese nicht eigenmächtig abzusetzen, wenn bisher keine Probleme damit aufgetreten seien. „Patienten sollten sich aber bald an ihren Arzt wenden, um das weitere Vorgehen zu besprechen“, empfiehlt Günther. Da Apotheken die betroffenen Mittel nicht mehr abgeben dürfen, müssen Ärzte ein anderes Präparat verschreiben. Für die meisten Patienten dürfte der Wechsel aber unproblematisch sein, da es die Wirkstoffe auch von anderen Firmen gibt. Nach Einschätzung des BfArM ist nicht mit Lieferengpässen zu rechnen, weil vergleichbare andere Arzneimittel zur Verfügung stünden.
Unabhängige Inspektionen für mehr Arzneimittelsicherheit
Der Vorfall wirft die Frage auf, ob die aktuellen Regelungen zur Zulassung von Generika ausreichen oder verschärft werden sollten. Judith Günther: „Es sollte mehr unabhängige Inspektionen vor Ort bei den Unternehmen geben, die Studien im Auftrag der Pharmaunternehmen durchführen, um diese Pannen zu vermeiden.“