
Fünf Monate nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verwenden die Versorger immer noch unwirksame oder zumindest zweifelhafte Regeln für Preiserhöhungen. Das ist das Ergebnis einer test.de-Untersuchung von 30 Gasangeboten. Gut für Gaskunden: Wenn ihr Versorger trotzdem mehr Geld fordert, können sie sich weigern und bereits gezahltes Geld zurückfordern. test.de erklärt die Rechtslage und sagt, wie Gaskunden ihre Rechte durchsetzen und hat aktuell die Bewertung der Klauseln von Hamburg Energie verbessert.
Klare Ansagen
Das Urteil der Richter am EuGH in Luxemburg ist klar: „In Bezug auf die Beurteilung einer Klausel, die es (...) erlaubt, die Entgelte (...) einseitig zu ändern, hat der Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass (...) dafür von wesentlicher Bedeutung ist, ob (...) der Vertrag den Anlass und den Modus der Änderung der Entgelte für die zu erbringende Leistung so transparent darstellt, dass der Verbraucher die etwaigen Änderungen dieser Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien vorhersehen kann“, heißt es in der Urteilsbegründung wörtlich. Mit anderen Worten: Die Unternehmen müssen Verbraucher vor Vertragsabschluss klar und verständlich über die grundlegenden Voraussetzungen für Preiserhöhungen informieren.
Kaum Reaktionen
Das Urteil fielt bereits Mitte März. Trotzdem behält sich die Mehrheit der getesteten Gasversorger immer noch vor, die Preise ohne Angabe von Gründen zu ändern. Immerhin: Acht der 30 Versorger in der test.de-Stichprobe erkennen ausdrücklich die Pflicht an, Kostensenkungen ebenfalls an Kunden wiederzugeben. Doch auch diese Klauseln sind nach Auffassung der Stiftung Warentest zu intransparent und unklar. Die Tabelle zeigt alle Test-Ergebnisse. test.de hat die aktuellen Bedingungen der fünf großen Gasversorger und der empfehlenswerten Angebote aus dem Gastarif-Vergleich in Finanztest 12/2012 untersucht. Von vielen anderen Angeboten und vor allem zahlreichen Discount-Tarifen rät die Stiftung Warentest ohnehin ab.
Früher nur Grundversorgung
Die Unternehmen tuen sich offensichtlich schwer mit den Vorgaben des EuGH. Hintergrund: Lange Jahre gab’s beim Gas keinen Wettbewerb. Wer Gas wollte, bekam es vom örtlich zuständigen Versorger. Die Regeln dafür gab die Regierung per Verordnung vor. Für Preiserhöhungen gilt danach noch heute: Sie sind zulässig, ohne sie den Kunden erklären zu müssen. Die Versorger müssen ihre neuen Preise nur spätestens sechs Wochen vor Inkrafttreten öffentlich bekanntmachen.
Wettbewerb und Verbraucherschutz
Doch längst kann sich jeder Gaskunde aussuchen, von wem er sich versorgen lässt. Laut Bundesnetzagentur haben etwas über 60 Prozent der Kunden von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht und sind so vom Grundversorgungs- zum Sonderkunden avanciert. Kein Wunder: Mit den so genannten Sondertarifen lassen sich gegenüber der Grundversorgung je nach Verbrauch und Region oft viele Hundert Euro sparen. Für die Sondertarife gelten die für die Grundversorgung verordneten Regierungsregeln nicht. Maßgeblich sind die jeweiligen Geschäftsbedingungen. Doch die verweisen oft auf die Grundversorgungsverordnung oder übernehmen die dort geltenden Regeln. Das genügt den Verbraucherschutzregeln nicht, urteilten die EuGH-Richter.
Ansätze zur Fairness
Immerhin: Acht Anbieter – darunter die EnBW als einer der großen der Branche – wollen Preisänderungen strikt an die Änderung der Kosten knüpfen und verpflichten sich, auch Einsparungen an Kunden weiterzugeben. Das ist im Ansatz fair und entspricht dem Anliegen des EuGH. Allerdings: Die Regelungen bleiben schwammig und schwer durchschaubar. Auch mit ihnen kann kein Gaskunde vorhersehen, unter welchen Bedingungen die Preise steigen oder sinken. test.de hält daher auch diese Regeln für unwirksam. Einschlägige Urteile gibt es allerdings noch nicht.
[Update 04.09.2013] test.de hat die Bewertung der Hamburg-Energie-Preisanpassungsklausel von „unwirksam“ auf „zweifelhaft“ geändert. Hintergrund: Das Unternehmen bietet nach eigener Darstellung nur Verträge mit Preisgarantie an. Deshalb gelte für jede Preiserhöhung im laufenden Vertragsverhältnis nicht nur die von uns zunächst geprüfte Klausel, sondern darüber hinaus Ziffer 8.3, wie wir sie jetzt in der Tabelle wiedergeben. Die Prüfung dieser Klausel ergibt: Sie ist im Ansatz fair und benennt – anders als bei allen anderen Anbietern – auch den Zeitpunkt für Preisanpassungen und die für die Preisbildung maßgeblichen Faktoren. Offen bleibt allerdings das Gewicht der Faktoren, und die Aufzählung ist nicht abschließend („insbesondere“). Unklar ist außerdem noch, ob die Entwicklung der Kostenfaktoren für Verbraucher nachprüfbar sein muss. Dann müssten die Unternehmen Indizes für die Faktoren heranziehen. Ziffer 8.3 der Hamburg-Energie-Klauseln ist somit genauer als alle anderen Klauseln im Test, aber dennoch nicht hinreichend transparent und eindeutig. Eine zusätzliche Schwäche der Hamburg-Energie-Preisanpassungsklausel: Sie ist sehr lang und nur für den verständlich, der die Angebote des Unternehmens kennt. [Update Ende]
Anbieter ohne Einsicht
Viele andere Anbieter allerdings behaupten: Unsere Geschäftsbedingungen sind wirksam. Das EuGH-Urteil sei zu älteren Regelungen mit abweichendem Wortlaut gefallen und betreffe die aktuellen Geschäftsbedingungen nicht, argumentieren sie. Das hält test.de für falsch. Das EuGH-Urteil betrifft alle Klauseln, mit denen Anbieter sich eine Preiserhöhung unabhängig von ausreichend klaren Kriterien erlauben. Die Richter sagen in der Urteilsbegründung ausdrücklich: Es reicht nicht aus, wenn Unternehmen eine Preiserhöhung rechtzeitig ankündigen und sie ihren Kunden ein Sonderkündigungsrecht einzuräumen. Hintergrund: Kunden müssen sich auch darauf verlassen können, dass die Preise rechtzeitig sinken, wenn die Unternehmen von geringeren Kosten profitieren.
Suche nach neuen Regeln
Wie es sonst gehen kann, führt mancher Fernwärme-Anbieter den Gasversorgern vor: Bei ihnen hängt der Energiepreis vom Gas- und Ölpreis auf dem Weltmarkt sowie von den Kosten für Personal, Anlagen und Leitungen ab. Verbraucher können selbst ausrechnen, was sie von bestimmten Stichtagen an zahlen müssen.
Gaspreiserhöhungen: So fordern Sie Ihr Geld zurück
Die grundlegenden Urteile zu Gaspreisen:
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 21.03.2013
Aktenzeichen: C-92/11
Bundesgerichtshof, Urteil vom 31.07.2013
Aktenzeichen: VIII ZR 162/09
[Update 05.09.2013] Der BGH hat heute die Begründung zu seinem Urteil vorgelegt. Sie ist über den Link oben direkt zu erreichen. Wie nicht anders zu erwarten war, bestätigen die Bundesrichter: Die Vorgaben des EuGH sind verbindlich. Ein Recht zur Preisänderung steht Gas- und anderen Energieversorgern nur zu, wenn Voraussetzungen und Verfahren in den Geschäftsbedingungen klar und nachvollziehbar geregelt sind. Es reicht nicht aus, Kunden vorab zu informieren und ihnen ein Kündigungsrecht einzuräumen. [Update Ende]
-
- Wärmepumpe, Pelletkessel oder doch noch eine Gasheizung? Welche Heizung zu Ihrem Haus passt, was sie einspart und wie viel der Staat zuschießt. Wir haben es berechnet.
-
- Ist ein Strom- oder Gasversorger insolvent, sollten Kundinnen und Kunden rasch handeln. Stiftung Warentest sagt, was zu tun ist. Neu: BEV-Kunden erhalten Neukundenbonus.
-
- Ohne Aufwand in einen günstigeren Strom- oder Gastarif wechseln? Das kann ein Wechselservice übernehmen. Wie gut das klappt, zeigen Recherchen der Stiftung Warentest.
Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.
Kommentarliste
Nutzerkommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.
Bitte um Verständnis: Rechtsberatung im Einzelfall ist Rechtsanwälten und Menschen mit besonderer Genehmigung vorbehalten. Die Stiftung Warentest informiert über die Rechtslage allgemein. Danach gilt: Wer bei Abgaber einer Willeneserklärung im Irrtum über wesentliche Folgen war, dann die Erklärung anfechten. Dies muss allerdings unverzüglich erfolgen, nur bei arglistiger Täuschung ist bis zu ein Jahr Zeit.
Nett wäre, wenn Sie sich bei mir unter c.herrmann@stiftung-warentest.de melden, möglicherweise ist das ein Fall, über den wir - wenn Sie einverstanden sind - gern berichten würden.
Mein Anbieter Maingau schickte im Nov. 13 eine Preisanpassung um ca.20%. Mit dabei war ein Angebot mit 12 Monaten Preisgarantie zu einem etwas günstigeren Preis.
Dieses habe ich leider angenommen, um nun festzustellen, dass die Preise aktuell sogar gesunken sind.
Hat man eine Möglichkeit nachträglich etwas zu machen, da die Ankündigung der Preiserhöhung mich zum Abschluss des neuen Vertrags "verleitet" hat?
Vielen Dank und Grüße
Mein ehemaliger Anbieter Maingau Energie GmbH, von dem ich in 2012 ganz normal weggewechselt war, hat sich zuerst auch geweigert, dabei aber -wohl pflichtgemäß- auf die Möglichkeit eines Schlichtungsverfahrens (www.schlichtungsstelle-energie.de) hingewiesen. Das Schlichtungsverfahren kann komplett online über ein Onlineverfahren kostenlos gestartet werden, der Schlichterspruch ist allerdings für den Gasanbieter unverbindlich. Bei mir jedenfalls hat die Schlichtungsstelle meine Beschwerde an den Anbieter weitergeleitet, der daraufhin sofort meine Bankverbindung erfragt und dann erstattet hat.
Ob der Grund für das schnelle Einlenken war, dass es "nur" um ca. 100 € ging und ich auch vorher schon kein Kunde mehr war, weiß ich natürlich nicht.
So haben wir es erwartet. Wer Erstattung fordern will, muss mit Widerstand rechnen. Viele Versorger haben schon signalisiert: Freiwillig zahlen sie nicht. Wer sich die Mühe macht, die Erstattung mit Fristsetzung zu fordern und anschließend einen Rechtsanwalt oder Metaclaims einschaltet, hat gute Aussichten sich durchzusetzen. Klar: Etwas Geduld ist dann auch noch nötig...
Die Frist beträgt drei Jahre. Sie beginnt mit Erhalt der ersten Abrechnung, in der der Versorger die erhöhten Preise verlangt hat.