Früh­erkennung Brust­krebs Ärzte müssen vor Mammografie besser beraten

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Früh­erkennung Brust­krebs - Ärzte müssen vor Mammografie besser beraten

Alle zwei Jahre. Jede Frau zwischen 50 und 69 Jahren kann am Scree­ning teilnehmen.

Die Reihen­unter­suchung soll Frauen vor dem Tod durch Brust­krebs bewahren. Sie birgt aber auch Risiken. Über die werden Frauen nicht genügend aufgeklärt, wie unser Test zeigt.

Schulter­zucken. Ein fragender Blick. Ihr Gynäkologe kann nicht verstehen, warum Sonja Weigel* einen Beratungs­termin bei ihm vereinbart hat. Sonja Weigel ist seit kurzem 50 Jahre alt. Per Post bekam sie die Einladung zum Mammografie-Scree­ning, einer Reihen-Röntgen­unter­suchung der Brust. Sie fragt sich, wie sinn­voll die für sie ist. Ihr Arzt zeigt wenig Verständnis für die Ratsuchende: „Sie sind jetzt in dem Alter. Die Unter­suchung ist doch kostenlos. Warum wollen Sie sie nicht in Anspruch nehmen?“ Nur wenige Minuten dauert das Gespräch. Für Frau Weigel war es „die reine Zeit­verschwendung“.

Ärzte im Test schweigen zu Risiken

Früh­erkennung Brust­krebs - Ärzte müssen vor Mammografie besser beraten

Unangenehm. Bei der Unter­suchung wird die Brust stark zusammen­gepresst. Das erhöht die Aussagekraft der Aufnahmen und hält die Strahlenbelastung so gering wie möglich.

Beim Mammografie-Scree­ning selbst, das in speziellen radio­logischen Zentren durch­geführt wird, ist keine Beratung vorgesehen. Zuständig für Fragen zu Früh­erkennungs­unter­suchungen ist in erster Linie der nieder­gelassene Frauen­arzt. Wie gut klären Gynäkologen über Nutzen und Risiken auf, damit Frauen eine informierte Entscheidung treffen können? Und: Sind die generellen Abläufe des Scree­ning­programms bundes­weit einheitlich? Das haben wir exemplarisch geprüft.

Sonja Weigel und neun weitere Frauen ließen sich von ihrem Frauen­arzt beraten. Eine mangelnde Vermitt­lung von Fakten und zugleich einseitige Empfehlungen – so lautet das ernüchternde Fazit unseres Tests. Die Qualität der Beratungs­gespräche ist erschre­ckend schlecht. Trotz Nach­frage erfuhren die Frauen wenig Informatives, wenn über­haupt, dann zum Nutzen des Scree­nings. Über Risiken schwiegen sich die Ärzte nahezu gänzlich aus. Nur zwei von zehn sprachen das Risiko von Über­diagnosen an. Nur drei informierten über falsch-positive Befunde Nutzen und Risiken. Dabei zeigen Studien, dass Frauen die Risiken einer Unter­suchung kennen möchten. Auch das konkrete, individuelle Brust­krebs­risiko kam kaum zur Sprache.

Reihen­unter­suchung in der Kritik

Diese Beispiele beunruhigen, denn etwa 10,5 Millionen Frauen in Deutsch­land stehen alle zwei Jahre vor der Frage, ob sie der Einladung zur Röntgen­unter­suchung folgen sollen. Der Bundes­tag hat das Mammografie­programm 2002 beschlossen. Das Ziel: Brust­krebs früh­zeitig zu erkennen und die Sterb­lich­keits­rate lang­fristig zu senken. Seit 2009 ist die Reihen­unter­suchung in allen Bundes­ländern einge­führt. Von den anspruchs­berechtigten Frauen zwischen 50 und 69 Jahren nehmen rund 54 Prozent daran teil. Die Kosten betragen jähr­lich etwa 220 Millionen Euro.

Gerade in den vergangenen Monaten wurde über das Mammografie-Scree­ning in Wissenschaft und Medien kontrovers diskutiert. Kritiker monieren: Die Risiken der Reihen­unter­suchung würden den Nutzen über­wiegen. Das sei der Fall, wenn gesunden Frauen auffällige Befunde attestiert würden oder Brust­krebs unnötig behandelt werde Nutzen und Risiken.

Dass die Teil­nahme am Scree­ning im individuellen Fall nutzen, aber auch schaden kann, wissen viele Frauen nicht. Laut aktuellem Gesund­heits­monitor der Bertels­mann Stiftung und der Krankenkasse Barmer GEK ist jede zweite Frau falsch oder unzu­reichend über das Scree­ning informiert. So glaubt etwa jede dritte, die Mammografie schütze vor Brust­krebs, und hält die Früh­erkennungs­unter­suchung somit fälsch­licher­weise für eine Vorsorgeunter­suchung. Die Autoren des Gesund­heits­monitors kommen zu dem Schluss, dass „Frauen den Nutzen des Brust­krebs-Scree­nings massiv über- und die Schadens­potenziale erheblich unterschätzen.“

Pauschale Empfehlungen sind kritisch

„Auch Ärzte über­schätzen den Nutzen von Früh­erkennungs­unter­suchungen“, sagt Professor Dr. Eva Maria Bitzer. Die Wissenschaft­lerin der Pädagogischen Hoch­schule Freiburg forscht zu den Themen Patienten­kommunikation und informierte Entscheidung. „So unterliegen auch Ärzte dem gesell­schaftlichen Prinzip: Vorsicht ist besser als Nach­sicht – und blenden Risiken aus.“

Das wurde auch in unserem Test deutlich. Klare Empfehlungen für die Teil­nahme am Mammografie-Scree­ning gingen neun der zehn Ärzte leicht über die Lippen: „Unbe­dingt teilnehmen“, „auf alle Fälle“, „ich gehe selbst alle zwei Jahre“. Trotz dieser auffordernden Empfehlungen fühlten sich die Frauen weder bedrängt noch über­redet. Einige begrüßten die klaren Worte sogar. Eine Testerin findet: „Die Empfehlung des Arztes, an der Mammografie teil­zunehmen, erleichtert die Entscheidung.“

Aber: Aufgabe eines Arztes ist es, die Patientin bei ihrer eigenen Entscheidungs­findung zu unterstützen. „Ärzte sollen über Früh­erkennungs­unter­suchungen nicht nur sachlich und ausgewogen informieren, sondern den Patienten auch die Sicherheit vermitteln, dass sie selbst die richtige Entscheidung für sich treffen können“, sagt Professor Bitzer. „Dazu gehört auch, deutlich zu machen, dass es immer Vor- und Nachteile hat, egal ob man sich für oder gegen das Scree­ning entscheidet.“

Ganz andere Erfahrungen hat Sonja Weigel gemacht. Statt sie zu beraten, fragte ihr Arzt: „Ist es Ihnen lieber, das Risiko zu tragen, an Brust­krebs zu erkranken?“ Das ist nicht nur anmaßend, sondern auch fachlich falsch. Durch das Scree­ning kann Brust­krebs zwar früher erkannt, aber nicht verhindert werden. Sonja Weigel findet drastische Worte für ihren Arzt: „Diese Beratung war einfach unter aller Sau.“

Verschiedene Einladungs­schreiben

Nach den Qualitäts­ansprüchen des Scree­ning­programms sollten alle Frauen zumindest schriftlich mit der Einladung dieselben Basis­informationen erhalten. Dem ist aber nicht so. Unsere freiwil­ligen Teste­rinnen kommen aus fünf Bundes­ländern. Je nachdem, wo eine Frau wohnt, wird sie von der dort zuständigen zentralen Stelle per Brief zum Scree­ning einge­laden Wie das Programm organisiert ist. Die zentralen Stellen in Bayern, Nord­rhein, West­falen-Lippe und Saar­land nutzen den Muster­einladungs­text des Programms und informieren sachlich. Die Stellen in Sachsen und Thüringen machen im Anschreiben einleitend pauschale Aussagen zur Brust­krebs­häufig­keit. So kann es passieren, dass Frauen die Bedrohung durch Brust­krebs über­schätzen.

Mit der Einladung erhält jede Frau auch das Merk­blatt „Informationen zum Mammo­graphie-Scree­ning“. Es enthält Elemente einer guten Patienten­information. So listet es Vor- und Nachteile des Scree­nings über­sicht­lich auf. Echte Entscheidungs­hilfen fehlen aber, etwa Tipps, wie ein Beratungs­gespräch mit einem Arzt geführt werden kann. Beides, Merk­blatt und Einladungs­schreiben, werden zurzeit über­arbeitet.

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Angst­einflößend. Dieser Flyer einer Scree­ning-Einheit fordert in einem alarmierenden Ton zur Teil­nahme auf.

Unsere Teste­rinnen sammelten zusätzliche Informations­materialien ein, die im Warte­zimmer der Arzt­praxis oder in der Scree­ning-Einheit auslagen. Ausgewogen informiert keins davon, einige erzeugen sogar Angst.

Auch beim Scree­ning­termin selbst soll es möglich sein, medizi­nische Fragen mit einem Arzt zu besprechen. So steht es in dem Merk­blatt, das alle Frauen bekommen. Wir haben die Frauen deshalb gebeten, beim Scree­ning nach dem Risiko durch Über­diagnosen zu fragen und nach einem Radio­logen zu verlangen. Keine unserer Teste­rinnen konnte mit einem Arzt sprechen.

Fünf­mal wurde darauf hingewiesen, dass kein Arzt vor Ort sei, etwa in den Mammobilen. Von den Röntgenfach­kräften erhielten die Frauen kaum oder falsche Antworten. Zwei der Teste­rinnen kritisierten, dass in der Routine der Abläufe keine Zeit einge­räumt werde, um über­haupt Fragen zu stellen. Zwei Frauen beschrieben die Abläufe vor Ort generell als Schnell­abfertigung.

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Mobile Röntgen­station. In sogenannten Mammobilen werden Frauen in ländlichen Regionen untersucht.

Ein Richtig oder Falsch gibt es nicht

Unser Test unter­streicht: Die Risiken des Scree­nings werden verharmlost. Frauen wird so das Gefühl vermittelt, die Nicht­teil­nahme sei die falsche Entscheidung. „Für die Teil­nahme an einer Krebs­früh­erkennungs­unter­suchung gibt es aber kein Richtig oder Falsch“, sagt Professor Bitzer. Sie wünscht sich einen verbindlichen Leitfaden für Beratungen, an dem sich Ärzte und Frauen orientieren können. Auch ärzt­liche Schu­lungen seien notwendig.

Der Groß­teil der Frauen, die am Scree­ning teilnehmen, bekommt einen unauffäl­ligen Befund, so auch Sonja Weigel. In zwei Jahren wird sie sich vermutlich wieder unter­suchen lassen. Ganz sicher wechselt sie aber den Frauen­arzt.

* Name von der Redak­tion geändert

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Profilbild Stiftung_Warentest am 19.11.2014 um 16:26 Uhr
@Pete59

An keiner Stelle unserer Veröffentlichung ist von einem Rechtsanspruch auf Beratung als systematischem Bestandteil des Screening-Programms die Rede. Aber: Beratung von Patienten gehört zu den ärztlichen Kernleistungen und ist gegenüber den Krankenkassen abrechnungsfähig. Wenn eine ratsuchende Frau sich an ihren Frauenarzt oder ihre Frauenärztin wendet, um sich zum Mammografie-Screening beraten zu lassen und zu ihren möglichen individuellen Brustkrebsrisikofaktoren sowie zum Stellenwert der Untersuchung im Kontext weiterer gesetzlicher Früherkennungsmaßnahmen wie der Tastuntersuchung der Brust – dann steht der Arzt in der Pflicht, sie zu beraten.

Pete59 am 17.11.2014 um 18:09 Uhr
@Stiftung Warentest

Ihre Antwort auf meinen Kommentar enthält viel Wahres: dass „Frauenärzte die ersten Ansprechpartner für ratsuchende Frauen“ sind, dass „ein ärztliches Beratungsgespräch vor der Inanspruchnahme der Mammografie hilfreich sein kann“.
Nur ist dies, übrigens gegen den Rat der Frauenärzte, nicht in der Krebsfrüherkennungs-Richtlinie verankert. Aus Kostengründen sollen die niedergelassenen Frauenärzte beim Mammographie-Screening außen vor bleiben. Auch in der von Ihnen angeführten Patientenleitlinie steht, dass „das Programm vor der Röntgenaufnahme der Brust kein Beratungsgespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt vorsieht“.
Es bleibt daher falsch, dass Sie in Ihrem Artikel einen Rechtsanspruch postulieren. Und Ihrer Antwort versteigen Sie sich nun sogar zu einer Beratungspflicht.
Angesichts der Diskussion über Termine bei Fachärzten für eine Leistung, die nicht Bestandteil der GKV ist, auch noch „ausreichend Zeit“ zu fordern, ist zudem kess.

Profilbild Stiftung_Warentest am 17.11.2014 um 13:44 Uhr
@Pete59

In der Tat sieht das Mammografie-Screening-Programm keine systematische Beratung durch Frauenärzte vor der Durchführung der Mammografie in der Screeningeinheit vor. Nichtsdestotrotz sind Frauenärzte die ersten Ansprechpartner für ratsuchende Frauen zu allen Untersuchungen der Krebsfrüherkennung, die den frauenärztlichen Bereich betreffen. So wird auch auf der Website des Mammografie-Screening-Programms www.mammo-programm.de unter den FAQs ausgeführt, dass „das Mammografie-Screening eine ergänzende Untersuchung zur jährlich angebotenen gesetzlichen Früherkennungsuntersuchung bei Ihrem Frauenarzt oder Ihrer Frauenärztin (ist). Hier besteht die Möglichkeit, im vertrauten Rahmen mit Ihrem Arzt bzw. Ihrer Ärztin zu sprechen.“ Auch in der Patientenleitlinie „Früherkennung von Brustkrebs“ als Bestandteil des „Leitlinienprogramms Onkologie“ wird darauf verwiesen, dass ein ärztliches Beratungsgespräch vor der Inanspruchnahme der Mammografie hilfreich sein kann – und es werden konkrete Hinweise gegeben, welche Fragen mit der Frauenärztin bzw. dem Frauenarzt vor der Untersuchung beim Mammografie-Screening besprochen werden können. Frauenärzte stehen also sehr wohl in der Beratungspflicht, wenn sich ratsuchende Frauen an sie wenden.

julemke am 17.11.2014 um 08:42 Uhr
Richtig So

Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass in vielen Fällen die Beratung zu kurz ausfällt. Ich habe jahrelang als Hebamme gearbeitet.

Pete59 am 15.11.2014 um 17:49 Uhr
Was müssen Ärzte? Blick in die Richtlinie hilft!

Beim Mammographie-Screening sind die niedergelassenen (Frauen-) Ärzte ausdrücklich nicht eingebunden. Anders als z. B. bei der Darmkrebsfrüherkennung ist eine vorgeschaltete Aufklärung durch diese nicht vorgesehen (vgl. u. a. §§ 38 bzw. 14 Krebsfrüherkennungs-Richtlinie). Ich weiß daher nicht, auf welcher Grundlage Sie ein „Recht, sich über das Screening bei Ihrem Arzt beraten zu lassen“ postulieren, insinuiert ist ja wohl zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung.