
Was Fluggästen bei gecancelten Flügen zusteht, ist in der europäischen Fluggastrechteverordnung klar geregelt. Bis zu 600 Euro muss die Airline zahlen, die den Flug annulliert hat. Doch was ist, wenn sich die betreffende Airline bei der Konkurrenz um einen passenden Ersatzflug für die Betroffenen bemüht – und es dann auf diesem Ersatzflug zu einer erheblichen Verspätung kommt? Wer muss dann die Entschädigung zahlen? Darüber hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.
Welche Airline muss Fluggast entschädigen?
Annulliert eine Fluggesellschaft einen Flug, steht Fluggästen eine Entschädigung von bis zu 600 Euro zu. Nun hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Airline, die den Flug gestrichen hat, auch dann zahlen muss, wenn sie einen Ersatzflug bei einer anderen Airline mit nahezu identischen Abflugzeiten organisiert hat und der Fluggast sein Reiseziel trotzdem mehr als zwei Stunden verspätet erreicht. Die Ersatz-Airline haftet in einer solchen Situation nicht. Die erste Instanz in dem nun entschiedenen Fall, das Amtsgericht Frankfurt am Main, hatte noch die Ersatz-Airline in der Verantwortung gesehen. Doch die Folgeinstanz, das Landgericht Frankfurt und nun auch der BGH urteilten anders.
Singapore Airlines streicht Flug
Der Fall: Ein Fluggast hatte bei Singapore Airlines einen Flug von Frankfurt am Main nach Sydney gebucht, mit Zwischenlandung in Singapur. Singapore Airlines annullierte den Flug nach Singapur dann weniger als sieben Tage vor Abflug. Im ersten Moment sah es zwar so aus, als habe der betroffene Passagier noch Glück im Unglück. Singapore Airlines organisierte für ihn bei der Lufthansa nämlich einen Ersatzflug mit nahezu identischen Abflugzeiten in Frankfurt und Ankunftszeiten in Sydney.
Ersatzflug mit Lufthansa kommt 23 Stunden zu spät an
Doch auch der Ersatzflug mit Lufthansa konnte erst 16 Stunden später als geplant abheben. Der Fluggast kam schließlich 23 Stunden verspätet in Australien an. Weil sich Singapore Airlines weigerte, 600 Euro Entschädigung an den Fluggast zu zahlen, ging die Sache vor Gericht.
Amtsgericht: Ersatz-Airline muss zahlen
Das Amtsgericht Frankfurt am Main sah für den Sonderfall, dass eine annullierende Airline einen passenden Ersatzflug bei der Konkurrenz organisiert, nicht die annullierende Fluggesellschaft in der Verantwortung, sondern die Fluggesellschaft, die den Ersatzflug tatsächlich durchführt. Das Amtsgericht berief sich auf den Wortlaut der europäischen Fluggastrechteverordnung. Danach ist eine annullierende Airline nicht mehr zur Zahlung verpflichtet, wenn sie ihren Kunden weniger als sieben Tage vor der geplanten Abflug über die Abflugzeit unterrichtet und ihm einen Ersatzflug anbietet, der es ihm ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und sein Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen. Nach dem Wortlaut der Fluggastrechteverordnung ist die annullierende Airline also bereits aus der Zahlungspflicht, wenn sie einen solchen Ersatzflug anbietet. Für die Verspätung beim Ersatzflug haftet nach Ansicht des Amtsgerichts Lufthansa, weil sie den Passagier schließlich mit erheblicher Verspätung nach Australien gebracht hat.
BGH: Fluggast bekommt 600 Euro von Singapore Airlines
Der Bundesgerichtshof legt die Fluggastrechteverordnung aber anders als das Amtsgericht aus. Nach den Zielen der Fluggastrechteverordnung sei die annullierende Airline nicht schon mit dem Ersatzflug-Angebot aus der Zahlungspflicht, sondern erst dann, wenn der angebotene Ersatzflug auch tatsächlich rechtzeitig (hier maximal zwei Stunden nach der geplanten Ankunftszeit) am Reiseziel ankommt (Az. X ZR 73/16; Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs).
Tipp: Den Weg zur Entschädigung bei Airline-Ärger erklären wir ausführlich in unserem Special Fluggastrechte.
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- Veranstalter ändern Flugzeiten oder Flughäfen immer häufiger nachträglich. Wir sagen, welche Rechte Reisende haben – und welche extra Regeln für Pauschalreisen gelten.
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